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„Anwendungsbegleitende Datenerhebungen in der Nutzenbewertung öffnen Methodendiskussion“

04.04.2019 14:00
Während sich die neu gegründete Taskforce der Heads of Medicines Agencies der EMA (s. S. 12 ff.) mit der Frage beschäftigt, welche Real World-Daten in welcher Qualität und mit welchen Standards notwendig sind, um diese Daten für die Steuerung des Gesundheitswesens zu nutzen, legte die FDA bereits ein ausführliches „Framework for FDA‘s Real-World Evidence Program“ vor, mit dem die US-Zulassungsbehörde ein Konzept zur Integration von Real World-Data erarbeitet hat (s. S. 14 ff.). International sind auch schon einige Real World-Evidenz-Studien durchgeführt werden, nur in Deutschland scheint dieses Thema noch mit einem gewissen Hautgout behaftet zu sein. „Monitor Versorgungsforschung“ sprach darum zum einen mit Dr. Marco Penske, dem Head Market Access & Healthcare Affairs der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG; und bat zum zweiten einige im Beirat vertretene forschende Pharmaunternehmen um Auskunft über den Status bereits durchgeführter RWE-Studienprojekte.

http://doi.org/10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2138

>> Für die Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln zur Behandlung seltener Leiden, bei bedingten Zulassungen und Zulassungen unter außergewöhnlichen Umständen erhält der G-BA mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, kurz GSAV, künftig die Befugnis, von pharmazeutischen Unternehmern die Durchführung „anwendungsbegleitender Datenerhebungen“ zu verlangen. Welche Rolle spielen denn schon bisher anwendungsbegleitende Datenerhebungen international?
In Großbritannien ist der Anteil der Ersteinreichungen beim NICE, die Real World-Evidenz (RWE) enthalten, in den letzten drei Jahren  von 9 % im Jahr 2015 auf 22 % im Jahr 2016 und auf 37 % im Jahr 2017 konstant gestiegen. Und in Frankreich umfassen laut Angaben von IQVIA bereits heute rund 25 % der Ersteinreichungen bei der HAS Daten aus RWE. Generell kann man sagen, dass anwendungsbegleitende Datenerhebungen bereits jetzt eine tragende Rolle bei der Anerkennung von „Breakthrough“-Therapien sowie bei „Adaptive Pathways“ spielen und die Zulassungsverfahren beschleunigten. Im Rahmen dieser besonderen Zulassungen ist RWE sogar als bevorzugte Evidenz von Aufsichtsbehörden akzeptiert, um die Sicherheit und Wirksamkeit eines Medikaments zu bestätigen.

Und wie sieht es – Stand heute – hierzulande aus?
Auch in Deutschland gewinnt RWE im Rahmen des AMNOG-Prozesses zunehmend an Bedeutung. Bislang werden die Daten insbesondere zur Beschreibung des Unmet medical needs (z.B. Rheumathoide Arthritis, PAH), zur Bestimmung der Zielpopulation und der Inzidenz/Prävalenz (Krebsregister) genutzt.

Welche Studien-/Registerdesigns werden denn verwandt?
Grundsätzlich unterscheidet man folgende vier Registerformen. Das ist zum einen das Register zur Erfassung von Patienten mit bestimmten Erkrankungen (sogenannte Krankheitsregister). Dann gibt es Register zur Erfassung der Versorgung von Patienten mit bestimmten therapeutischen Substanzen oder Medizinprodukten (sog. Produktregister). Es gibt aber auch Register zur Sicherung der Behandlungsqualität (sogenannte Qualitätsregister) und last but not least populationsbezogene Register, die nicht ein Outcome (z. B. Krankheit) erfassen, sondern eine „Exposition“. Häufig werden Register durch die Wissenschaft initiiert, aber auch von politischer Seite werden zunehmend Register gefordert, wie beispielsweise das Krebs- oder das Endoprothesenregister. Auch wird aktuell im Rahmen des Nationalen Diabetesplans der Auf- und Ausbau von Diabetesregistern diskutiert.
Und wie fließen die darin gewonnenen Daten ins AMNOG ein?
In die Nutzenbewertungsverfahren z.B. von Macitentan („Opsumit“) zur Behandlung der PAH (COMPERA-Register), Baricitinib („Olumiant“) zur Behandlung von mittelschwerer bis schwerer aktiver rheumatoider Arthritis (RABBIT Register) oder von Crizotinib („Xalkori“) zur Behandlung des Bronchialkarzinoms (CRIP-Register) sind Daten aus Patientenregistern eingeflossen. Zur Quantifizierung des Zusatznutzens haben begleitende Datenerhebungen bislang nicht beigetragen. Für die Berücksichtigung begleitender Datenerhebungen gibt es keine methodischen Standards, wie diese Evidenz berücksichtigt werden kann. Wenn man künftig diese Daten zur Quantifizierung des Zusatznutzens heranziehen möchte, dann braucht es auch realistische Anforderungen an die Evidenz und eine Anpassung der Methoden bei G-BA und IQWiG. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass der G-BA das IQWiG beauftragt hat, Konzepte zur Nutzung der Daten im Rahmen der Nutzenbewertung zu erarbeiten.

Welches Evidenzlevel kann denn mit dieser Art von Datenerhebung  und den darauf aufsetzenden Studien überhaupt erzeugt werden?
Um die Wirkung eines neuen Arzneimittels im Vergleich zum Placebo oder zu einer anderen wirksamen Vergleichstherapie nachzuweisen, benötigt man in der Regel eine prospektive, randomisierte, kontrollierte, verblindete Studie, eben das wohl bekannte RCT. Das ist und bleibt der Goldstandard und wird darum auch vom IQWiG und dem G-BA mit der höchsten Evidenzstufe bewertet. Aber auch indikationsspezifische Register können wertvolle Beiträge und Ergänzungen zu vorhandenen RCT-Studien liefern.

Welche zum Beispiel?
Insbesondere dann, wenn indikationsspezifische Register eine repräsentative Stichprobe der GKV-Patienten umfassen. Natürlich müssen diese Register methodisch auf höchstem Niveau und über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden, damit aussagekräftige und vollständige Daten vorliegen. Zahlreiche Register (z.B. RABBIT) erfüllen umfassend diese methodischen, technischen und strukturellen Standards (Datenstandards, IT-Schnittstellen, Datenschutzkonzepte).

Bekanntlich hält IQWiG-Leiter Prof. Dr. Jürgen Windeler herzlich wenig davon, Register zur Nutzenbewertung heranzuziehen. Er sagte dazu im MVF-Titelinterview (MVF 01/18): „Register sind für Nutzenfragen nicht geeignet.“
In diesem Fall ist die pauschale Kritik an Patientenregistern hinsichtlich vielfältiger BIAS-Faktoren durch das IQWiG etwas überzogen. Daten aus Patientenregistern können durchaus bei der Ableitung eines Zusatznutzens eine Rolle spielen. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen ein RCT nicht realisierbar ist. Auch sind Comparative Effectiveness-Analysen auf Basis von Registerstudien durchaus möglich, wobei hier die Auswertungsmethodik (propensity score matching) von entscheidender Bedeutung ist. Darüber hinaus können Registerstudien auch Antworten auf Fragen liefern, die mit der RCT-Methodik eben nicht zu beantworten sind. Das liegt einfach daran, dass Register die Versorgungsrealität abbilden und daher im Rahmen der Versorgungsforschung wichtige Impulse zu deren Verbesserung geben können.

Wie oder worin unterscheiden sich denn durch Register gewonnene  Daten von den Daten, die in RCT erzeugt werden?
Register schaffen Evidenz, die mit RCT nicht generierbar ist, insbesondere im Hinblick auf die Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen, was die Versorgungsforschung schon lange durch den Unterschied von  „Effectiveness“ zu „Efficacy“ darstellen will. Dazu kommt, dass Regis-ter aber auch Evidenz zur Sicherheit von Patientengruppen liefern können, die üblicherweise nicht an klinischen Studien teilnehmen: Kinder und Senioren, schwerer/leichter Erkrankte und/oder Patienten mit Begleiterkrankungen/Multimorbidität bzw. Begleitmedikationen. Register bilden nun einmal die Versorgungsrealität ab, die in kontrollierten Studien aufgrund der hohen Ein- und Ausschlusskriterien eigentlich nie vorkommen kann. Anders bei Registern: Hier erlauben hohe Fallzahlen und lange Laufzeiten sogar die Überwachung seltener und/oder zeitlich verzögerter Ereignisse. Darüber hinaus können Komplikationen und/oder Arzneimittelinteraktionen valide und aussagekräftig erfasst werden.

Was halten Sie denn von der anwendungsbegleitenden Datenerhebung als solcher?
Die Regelung im GSAV ist aus meiner Sicht zu weit gefasst, wenn man sich die aktuelle Situation anschaut. Mit der geplanten Neuregelung geraten alle Orphan Drugs (auch im Standardverfahren zugelassene) in den Fokus möglicher Zusatzauflagen sowie alle Non-Orphans mit „bedingter Zulassung“. Von den 30 % der potenziell von der GSAV-Regelung umfassten AMNOG-Arzneimittel, wurden bisher 8% vom G-BA mit Registern befristet, d.h. nur etwa 2 % aller Arzneimittel werden derzeit mit potenziellen „anwendungsbegleitenden Daten“ befristet.

Wo besonders?
In der Regel sind dies bislang Orphan Drugs, bei denen Phase-3-RCT nicht möglich waren. Bei denen werden, wenn keine Phase-3-Studien absehbar sind, vom G-BA – in Anlehnung an die EMA-Auflagen – schon heute als Auflage in der Befristung des Erstbeschlusses Register gefordert. Wenn der G-BA jetzt weitere Rechte für begleitende Datenerhebungen erhalten soll, wäre eine verbindliche Abstimmung des G-BA mit der EMA vorzusehen, um hier die Prozesse synchron zu halten. Zudem sollte der G-BA im Rahmen gemeinsamer Beratungen von EMA und HTA-Institutionen auf europäischer Ebene eingebunden sein, um mögliche Anforderungen von Zulassung bzw. Zusatznutzenbewertung frühzeitig abzustimmen.

Herr Dr. Penske, danke für das Gespräch. <<

Das Interview führte MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier.

Zitationshinweis:

Penske, M., Stegmaier, P.: „Anwendungsbegleitende Datenerhebungen in der Nutzenbewertung öffnen Methodendiskussion“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (03/19), S. 18, 20; doi: 10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2138

Ausgabe 03 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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