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Innovationsfonds: Problemfall bleibt die Translation

04.04.2019 14:00
Er soll die Gesundheitsversorgung voranbringen und Innovationen fördern – der Innovatinosfonds. Mit einem Gesamtvolumen von 820 Millionen Euro wurden in der ersten Phase 290 Projekte in den Jahren 2016 bis 2018 gefördert. Nun hat das Bundesministerium für Gesundheit eine wissenschaftliche Auswertung der Förderung durch den Innovationsfonds veranlasst. Ist der Fonds ein geeignetes Instrument, um die Gesundheitsversorgung weiterzuentwickeln? Die Autoren des Zwischenberichts – der Endbericht soll dem Deutschen Bundestag bis zum 31. März 2021 vorgelegt werden – beantwortet diese Frage mit Ja.

http://doi.org/10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2142

>> Das Gesamturteil zur bisherigen Arbeit des Innovationsfonds fällt positiv aus. Doch lassen sich noch keine Aussagen darüber treffen, ob die geförderten Innovationen künftig Eingang in die Regelversorgung finden. Mit diesem Instrument könnte aber die Gesundheitsversorgung qualitativ verbessert werden – diese Prognose geht aus dem aktuellen Teilbericht über die erste Evaluationsphase des Innovationsfonds hervor. Gemäß der Evaluationsverpflichtung hat das Bundesministerium für Gesundheit die Prognos AG mit der wissenschaftlichen Auswertung der Förderungen aus dem Innovationsfonds beauftragt.
Das Evaluatorenteam von Prognos spricht dem Innovationsfonds „Meilensteincharakter“ zu. Allerdings seien Erprobung und Evaluierung von Prozessinnovationen „nur der halbe Erfolg“, räumen sie ein. „Die Tauglichkeit des Instrumentes Innovationsfonds ist schlussendlich davon abhängig, ob der Transfer von Projektergebnissen in die Regelversorgung gelingt.“ Die vom Innovationsfonds geschaffenen Prozesse und Strukturen seien aber gut geeignet, um in den Förderprojekten wichtige Erkenntnisse für die Versorgung zu gewinnen, so das positive Fazit der Autoren. Der Teilbericht konzentriert sich auf die erste Phase der Evaluation (2016 bis 2018). Darin wird geklärt, ob:

  • die Förderstrukturen effektiv sind,
  • der Innovationsfonds richtig organisiert ist,
  • die Themenauswahl sinnvoll war,
  • das Zusammenspiel der Gremien effektiv ist,
  • ob es Änderungsbedarf gibt, um die Weiterentwicklung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu optimieren,
  • und ob die eingesetzten Fördermittel wirtschaftlich und sparsam verwendet werden.


Basis für die erste Phase der Evaluation bilden nach Angaben der Prognos AG die Aufbauphase des Innovationsfonds und die bis 2018 getroffenen Entscheidungen des Innovationsausschusses. Im Zeitraum 2016 bis 2018 wurden 290 Projekte mit einem Projektvolumen von 820 Millionen Euro zur Förderung mit Mitteln des Innovationsfonds ausgewählt, davon 119 Neue Versorgungsformen (NVF) und 171 Vorhaben der Versorgungsforschung (VSF). Rund 220 Projekte sind gestartet, vier Versorgungsforschungsprojekte wurden abgeschlossen. Die Laufzeit der meisten Projekte beträgt drei Jahre, so dass mit ersten belastbaren Projektergebnissen ab Ende 2019 zu rechnen sei, heißt es im Bericht.
Im Rahmen der zweiten Evaluationsphase (2019 bis 2020) soll dann die abschließende Bewertung des gesamten Förderinstruments Innovationsfonds erfolgen. In die Analyse sollen die bis dahin vorliegenden Abschluss- und Evaluationsberichte der geförderten Projekte sowie die mögliche Übertragung von Projekterkenntnissen in die Regelversorgung einbezogen werden.
In seiner Struktur und Organisation ist der Innovationsfonds offenbar gut aufgestellt. Die gegenwärtige Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Gremien des Fonds sowie zwischen den Gremien und der Geschäftsstelle wird im Gutachten als grundsätzlich angemessen betrachtet. Die befragten Mitglieder des Innovationsausschusses und des Expertenbeirats hätten die Unterstützung der Gremien durch die Geschäftsstelle als äußerst positiv bewertet. Gleiches gelte für die Einbeziehung der Patientenvertretung in die Zusammenarbeit innerhalb des Fonds. Handlungsbedarf wird allerdings bei der Einbeziehung versorgungspraktischer Expertise gesehen: Beim Expertenbeirat, der dieses neben seiner wissenschaftlichen Expertise sicherstellen soll, könnte aus Sicht von einigen Befragten die versorgungspraktische Perspektive gestärkt werden, merken die Autoren an.
Zukünftig werde es auf eine strukturiertere Erhebung von Innovationsbedarfen und eine systematischere Generierung von Themenschwerpunkten ankommen. Damit werde auch eine Themenzuspitzung einhergehen müssen, sind die Verfasser überzeugt. Eine stärkere (themenspezifische) Einbeziehung der anderen Sozialversicherungszweige, der nicht-ärztlichen Heilberufe und von auf bestimmte Erkrankungen spezialisierten Patientenvertretungen könne die Relevanz der Themen- und Projektauswahl ebenso erhöhen, so die weitere Einschätzung.
Grundsätzlich sei bezüglich der Innovationskraft der Fondsorganisation Folgendes zu bedenken: Die letztendlichen Entscheidungen bezüglich der Themen- und Projektauswahl werden von etablierten Verbandsvertretern getroffen. Damit sei die Gefahr verbunden, dass Entscheidungen mehr aus (verbands)politischem Kalkül heraus als fachlich begründet zustandekommen und darüber hinaus das Gesamtsystem tangierende oder gar in Frage stellende Prozessinnovationen nicht wirklich in Angriff genommen werden. Allerdings müsse man sich hier die Frage stellen, ob der Innovationsfonds mit seiner korporatistischen Struktur und seinem starken Umsetzungsbezug überhaupt darauf abzielt, systemrelevante Prozessinnovationen mit disruptiven Vorzeichen in Gang zu setzen, oder ob dieses nicht die Aufgabe der herkömmlichen Forschungsförderung ist, hinterfragen die Evaluatoren. Im Hinblick auf die Umsetzungsnähe und Verwertbarkeit der Projektergebnisse gehen die Gutachter dennoch davon aus, „dass die bewilligten Projekte beider Förderbereiche ein hohes Verwertungspotenzial für die qualitative Weiterentwicklung der Versorgung besitzen“.
Was den Transfer in die Regelversorgung angeht, so sehen sie noch kein strukturiertes Verfahren für den Prozess des Transfers in die Regelversorgung, das sich etabliert hätte. „Dass es ein solches wie auch immer ausgestaltetes Verfahren geben muss, sollte unstrittig sein, da die Tauglichkeit des Instrumentes Innovationsfonds letztendlich an seinen Transfererfolgen zu messen ist. Daher muss schon bei der Projektauswahl verstärkt darauf geachtet werden, ob die Projektinhalte wirklich für eine Überführung in die Regelversorgung in Betracht kommen.“
Generell sei zu berücksichtigen, dass der konkrete Transferprozess in Abhängigkeit von den bearbeiteten Fragestellungen und den inhaltlichen Ergebnissen der Projekte unterschiedliche prozessuale Wege werde nehmen müssen; einen einfachen Mechanismus wird es nicht geben können, betonen die Gutachter. Für denkbare Endpunkte des Prozesses halten sie die unmittelbare Umsetzung von positiven Projektergebnissen im Bundesmantelvertrag, die Anpassung bzw. Neuformulierung von
G-BA-Richtlinien oder die Änderung des bundesgesetzlichen Rahmens. In vielen Fällen sei ihrer Ansicht nach auch der Bewertungsausschuss einzubeziehen. Weitgehend unrealistisch sei allerdings die Vorstellung, komplette Modelle eins zu eins in die kollektivvertragliche Versorgung übertragen zu können: „Es werden in der Regel nur Projektelemente bzw. Wirkansätze sein, die für eine Überführung in Frage kommen.“ Von herausragender Bedeutung sei, betonen sie, dass die wissenschaftlichen Begleitungen der Projekte evidenzbasierte Ergebnisse produzieren, damit methodische Bedenken im Transferprozess keine Rolle mehr spielen.


„Fördervolumen angemessen“

Insgesamt verausgabte der Fonds im Berichtszeitraum Mittel in Höhe von 289,3 Mio. Euro (2016) bzw. 288,3 Mio. Euro (2017), rechnen die Gutachter vor. Die am Risikostrukturausgleich teilnehmenden Krankenkassen und der Gesundheitsfonds seien mit jeweils 49,5 % an der Finanzierung beteiligt; hinzu komme der Finanzierungsanteil der landwirtschaftlichen Krankenkasse, der etwa 1 % der Einnahmen ausmacht.
Für die Förderung wurden insgesamt 283,0 Mio. Euro (2016) bzw. 282,2 Mio. Euro (2017) verausgabt, davon in beiden Jahren entsprechend der gesetzlichen Vorgabe 75 % für die Förderung von NVF und 25 % für die Förderung der VSF. Die Verwaltungskosten betrugen 2,2 % der Gesamtausgaben und seien damit im Vergleich zu anderen Förderprogrammen als eher gering einzustufen. Nicht enthalten seien darin die Verwaltungsaufwendungen bei den Verbänden der Leistungserbringer und Krankenkassen sowie den beteiligten Bundesministerien, die insbesondere im Zusammenhang mit der Begutachtung der Projektanträge entstehen.
Das gegenwärtige Fördervolumen wird von einem großen Teil der Befragten als angemessen bezeichnet, heißt es im Bericht. Es werden aber daneben sowohl Argumente für eine Aufstockung als auch für eine Absenkung angeführt. Für den Bereich der NVF werde argumentiert: „Ein erheblicher Nachholbedarf bei der Erprobung und Etablierung innovativer Konzepte insbesondere im internationalen Vergleich sowie generell die Bewältigung künftiger Herausforderungen sprächen für eine Ausweitung des Fördervolumens. Ein mittelfristig zu erwartender Rückgang des Potenzials an innovativen Themen und qualitativ hochwertigen Innovationsprojekten und die begrenzten Kapazitäten der Akteure (Begutachter und Begleitforscher) würden demgegenüber eine Absenkung nahelegen.“
Ähnliche Argumente würden auch für den Bereich der VSF vorgebracht: Ausgehend von der These, dass VSF in Deutschland bislang nicht ausreichend gefördert wurde, würden mehr Mittel benötigt, um die Erkenntnislage zu verbessern und Evidenz zu generieren. Als Gegenargument werde angeführt: Da das Innovationspotenzial mittelfristig zurückginge und Zweifel bestünden, dass die vorhandenen Forschungskapazitäten das jährliche Fördervolumen dauerhaft bedienen können, sei eine Absenkung angebracht.
Eindeutige quantitative Rückschlüsse auf die angemessene Höhe des Fördervolumens lassen sich aus alldem aber nicht ableiten, so die Autoren. Auch sei ein Teil der Argumente zu hinterfragen, etwa inwiefern es Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist, eine bisher nicht ausreichende Förderung der VSF auszugleichen.
Bezogen auf die künftige Angemessenheit des Fördervolumens erscheine eine fortlaufende Beobachtung des Innovationspotenzials der eingehenden Projektanträge sinnvoll. „Ist hier eine negative Entwicklung zu verzeichnen, sollte eine Absenkung der Fördervolumina ins Auge gefasst werden“, lautet daher die Empfehlung.
Für die gegenwärtige Finanzierung nennen die Verfasser folgende Argumente:

  • Mit der Finanzierung des Fonds aus GKV-Mitteln werde sowohl nach außen als auch nach innen signalisiert, dass die GKV-Gemeinschaft willens ist, Verantwortung für die Weiterentwicklung der Versorgung zu übernehmen. Das könne sich positiv auf die Überführung der Projektergebnisse in die Regelversorgung auswirken.
  • Die GKV profitiere von den geförderten Innovationen, und müsse diese auch später im Rahmen der Regelversorgung umsetzen und finanzieren.


Die Finanzierung aus einer Hand wirke sich positiv auf die Entscheidungsfähigkeit des Innovationsausschusses aus: Eine Finanzierungsbeteiligung anderer könnte aber eine neue Zusammensetzung des Innovationsausschusses zur Folge haben und damit die Entscheidungsfähigkeit des Gremiums beeinträchtigen. Zudem bestehe die Gefahr, dass die Akteure der Selbstverwaltung partiell aus der Verantwortung entlassen würden.
Gegen eine (ausschließliche) Finanzierung aus GKV-Mitteln lasse sich der generelle Hinweis vorbringen, dass die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung als gesamtstaatliche Aufgabe zu betrachten ist. Hierzu merken die Autoren an, dass eine Weiterentwicklung der Versorgung auch unabhängig vom Innovationsfonds auf gesamtstaatlicher Ebene laufend stattfindet und stattgefunden hat (z. B. über Förderschwerpunkte des BMG oder den Aktionsplan Versorgungsforschung des BMBF) und dass über den Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds in gewissem Umfang auch Steuermittel in die Finanzierung des Innovationsfonds einfließen.

Evaluation der Prozesse

Beteiligte und externe Akteure haben unter anderem auch die Ausschreibungspraxis im Rahmen des Gutachtens beurteilt. Der Innovationsfonds hat seit seiner Auflage unter Einbeziehung aller Gremien 22 Förderbekanntmachungen erarbeitet und veröffentlicht, heißt es im Bericht. Der Zeitraum für die Antragsstellung (Zeitraum zwischen Veröffentlichung der Bekanntmachung und Einreichungsfrist) hat sich dabei kontinuierlich verlängert: 2016 betrug er im Schnitt noch 2,3 Monate, bis 2018 hat er sich im Schnitt auf 4,3 Monate verlängert. Eine sich abzeichnende Vergrößerung der Abstände zwischen den Veröffentlichungen auf ein Jahr soll in Zukunft verstetigt werden, heißt es weiter im Papier.
Beide Entwicklungen werden offenbar von den Förderempfängern begrüßt. In den NVF sei etwa ausreichend zeitlicher Vorlauf notwendig, um qualitativ hochwertig Anträge schreiben zu können. Längere Abstände zwischen den Förderbekanntmachungen würden es den Antragstellern erleichtern, ausreichend personelle Kapazitäten für die Antragstellung zur Verfügung zu stellen und notwendige Konsortial- oder Projektpartner einzubinden. Vor allem wenn neuartige und im Programmsinne innovative Projektstrukturen gefördert werden sollen, reduzierten längere Vorbereitungsphasen das Risiko, diese Ideen vom Projektantrag auszuschließen. Aus Sicht der Förderempfänger schafften ein fester Veröffentlichungszeitraum und eine rechtsunverbindliche Vorabbekanntmachung der geförderten Themen zusätzliche Planungssicherheit.


Förderkriterien: Gewichtung unklar

Die Evaluatoren stellten sich die Frage, inwieweit die Kriterien für die praktische Beurteilung der Förderwürdigkeit eines Projektes nutzbar sind und ob sie zur Zielerreichung des Innovationsfonds beitragen. Anhand der Äußerungen der Mitglieder des IA und des Expertenbeirats lasse sich kein klares Bild zeichnen. Die Gewichtung der einzelnen Kriterien werde von ihnen sehr unterschiedlich dargestellt. So bleibe es unklar, welche Kriterien für die Bewertung von Anträgen tatsächlich ausschlaggebend und welche nachrangig waren. Ähnliche Äußerungen gebe es auch von Seiten der Förderempfänger und der Stakeholder: Zwar würden keine Kriterien fehlen, die Formulierungen seien allerdings so offen, dass die Interpretation eine Herausforderung darstelle. Die Verfasser des Zwischenberichts weisen jedoch darauf hin, dass eine unterschiedliche Gewichtung zwischen Mitgliedern des IA und des Expertenbeirates sachgerecht sein kann, da unterschiedliche Perspektiven eingenommen werden (z. B. zur Verbesserung der Versorgung oder zur methodischen Qualität).

Formale Anforderungen

Der Projektträger und die Geschäftsstelle stellten ein großes Spektrum an Informations- und Beratungsangeboten mit den Förderbekanntmachungen zur Verfügung, heißt es weiter im Bericht. Doch offenbar gibt es hier noch Nachbesserungsbedarf: Von Seiten der Förderempfänger sei die Verständlichkeit der formalen Anforderungen an die Projektanträge kritisiert worden, insbesondere bei tabellarischen Anhängen zum Budget und den allgemeinen Nebenbestimmungen sowie etwaigen Auflagen. Diese seien daher mehrfach von Geschäftsstelle und Projektträger überarbeitet worden.
Insgesamt sei dennoch die Verfügbarkeit von projektunspezifischen, allgemeinen Beratungsangeboten im Zusammenspiel mit der Möglichkeit, individuelle Anfragen zu stellen, als sehr positiv zu bewerten und werde im Großen und Ganzen der hohen Komplexität der Projekte gerecht, lautet das Fazit. Dies gelte vor allem für neue Projektkonsortien, insbesondere von unerfahrenen Antragstellern, bei denen das Risiko besteht, dass sie ohne Unterstützungsstrukturen den als aufwendig empfundenen Antragsstellungsprozess nicht bewältigen können, aber auch für große und komplexe Konsortien, die aufgrund ihrer Struktur erhöhten Beratungsbedarf haben.
Intransparenz bemängelt
Sehr unterschiedlich sei die Transparenz der Bearbeitungsfristen von Förderempfängern und Projektträgern, bzw. Geschäftsstelle bewertet worden. Während im Rahmen der Prozessanalyse den Evaluatoren sehr klare Bearbeitungsfristen von Seiten der Geschäftsstelle genannt worden seien, hätten die Förderempfänger häufig intransparente und lange Bearbeitungszeiträume bei der Antragsbewertung bemängelt.
Die Ungewissheit, wann ein Förderbescheid mit Aufhebung der aufschiebenden Bedingung eintreffe, verursache dabei mitunter Projektverzögerungen, weil beispielsweise Personalrekrutierungen nicht früh genug eingeleitet werden können, heißt es weiter im Bericht. Ähnliches gelte auch für die Zeiträume zur Bearbeitung von Auflagen, die unter anderem eine wirtschaftliche und ordnungsgemäße Verwendung der Mittel sicherstellen sollten: Einige Förderempfänger hätten beklagt, dass ihnen (teils zu enge) Fristen für die Anpassung ihres Antrags gesetzt würden, umgekehrt aber Unklarheit darüber herrschte, wann eine Rückmeldung vom Projektträger erfolgen würde. Auch dies hätte mitunter die weitere Projektplanung erschwert.
Der Start mehrerer Projekte ist verschoben worden, und auch im Projektverlauf von 30 NVF- und 16 VSF-Projekten seien größere Probleme aufgetreten, heißt es im Bericht. Als Ursachen nannten die Förderempfänger insbesondere Probleme bei der Rekrutierung von passendem Personal innerhalb der gegebenen Zeit sowie zu knapp bemessene Zeitpläne (u. a. bezüglich der Patientenrekrutierung) und Unsicherheiten bezüglich der Termine für Förderbescheide. Auch die Genehmigung von Anpassungen der Projekt-arbeitspläne habe Zeit in Anspruch genommen. „Diese Erkenntnisse sollten bei der zukünftigen Projektauswahl und der Kommunikation mit den Förderempfängern Berücksichtigung finden.“

Mehr Flexibilität

Der größte Kritikpunkt an der Abwicklung der Förderung liege in der mangelnden Flexibilität während der Förderung und dem Aufwand, der sich aus administrativen Abläufen ergibt, stellen die Verfasser des Berichts klar. Aus Sicht der Förderempfänger würden die sehr engen Vorgaben zur Projektplanung der Projektrealität nicht gerecht. Die Forderung des Förderers nach sehr detaillierten Angaben werde während der Projektdurchführung immer wieder von veränderten Rahmenbedingungen, etwa in Bezug auf Personalbedarfe oder Rekrutierungsschwierigkeiten, eingeholt, was zu einem hohen Aufwand durch Änderungsanträge führe. Vor allem bei kleineren und kostenneutralen Änderungen biete sich hier aus Sicht der Antragsteller eine Flexibilisierung in der Projektdurchführung an.
Aus Sicht einiger Förderempfänger sollte darüber hinaus die Nennung einer festen Fallzahl abgeschafft werden und durch Zahlenkorridore ersetzt werden. „Diese Kritik ist Projektträger und Geschäftsstelle bekannt, wurde aber nicht berücksichtigt, weil die Befürchtung besteht, dass hierunter die Qualität und Belastbarkeit der Projektergebnisse leidet.“ Diese seien elementar für die zentrale Zielsetzung des Innovationsfonds, belastbare Erkenntnisse zur Wirksamkeit innovativer Versorgungsansätzen zu generieren.
Zudem seien definierte Fallzahlen ein Bestandteil eines verlässlichen Evaluationskonzepts, dessen Beurteilung für die Förderentscheidung relevant ist. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Rahmen des Innovationsfonds Projekte gefördert werden sollen, die bisher noch nicht in größerem Maßstab erprobt wurden, seien hier die Freiheit und Flexibilität der Antragsteller gegen die Validität der Ergebnisse gegeneinander abzuwägen. Auch sollte im Rahmen einer Antragstellung beim Innovationsfonds eine realistische Planung zugrunde gelegt werden. „Insofern scheint hier Bedarf für eine intensivere Beratung zu bestehen“, schlussfolgern die Autoren des Berichts.
Als auffällig beurteilen sie, dass über alle Punkte des Förderprozesses hinweg das Fördergeschehen von den Antragstellern der VSF als deutlich positiver bewertet wird als von Förderempfängern der NVF. Ausschlaggebend hierfür seien drei Aspekte:

  • Zum einen seien die Projekte in den NVF zumeist deutlich größer – sowohl in Bezug auf die Konsortialgröße als auch in Bezug auf das Fördervolumen – und bedürften daher größerer Abstimmungsprozesse mit dem Fördergeber. Außerdem sei häufig der Aufwand, der für die Rekrutierung von Patienten und Leistungserbringern aufgewendet werden muss bzw. der für das Aushandeln eines Selektivvertrags nötig ist, unterschätzt worden.
  • Zum anderen sei die Art der Projekte in den NVF in seiner Grundstruktur neuartig, und es könne daher auf deutlich weniger Erfahrungswerte zurückgegriffen werden. Dies habe erhöhten Abstimmungsbedarf zwischen Projektträger und Geschäftsstelle nach sich gezogen.
  • Zuletzt unterscheide sich die Konsortialführung zwischen den Förderlinien: Während in der VSF erfahrene Antragsteller – Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken – als Konsortialführer überwiegen würden, gebe es in den Projekten zu NVF deutlich häufiger Konsortialführungen, die auf weniger Infrastruktur und Erfahrung in Bezug auf das Schreiben und Umsetzen von Förderanträgen zurückgreifen können. Auch dies könne sich in einer unterschiedlichen Bewertung des Förderprozesses niederschlagen.


Für den Bereich der NVF stellen die Autoren des Berichts im Zeitverlauf einen Rückgang der eingereichten Anträge fest. Als mögliche Erklärung für den deutlichen Rückgang von der zweiten zur dritten Förderwelle führen sie die bereits bestehende Projektvorbereitung von Antragstellern beim Auftakt der Förderung sowie den Unterschied zwischen den Förderbekanntmachungen (themenspezifische und themenoffene vs. ausschließlich themenoffene) an.
Die bereits geförderten Projektbeteiligten würden teilweise angeben, dass ihre derzeitigen Ressourcen nicht für weitere Projektanträge ausreichen würden, weshalb anzunehmen sei, dass sich die Zahl potenzieller Antragsteller um diese Akteure verringert. In der vierten Förderwelle seien allerdings wieder mehr Anträge eingereicht worden, „sodass insgesamt nicht von einem generellen Kapazitätsengpass zur Antragstellung auszugehen ist“.


Tendenz zu kleineren Projekten

Hinsichtlich der Größe der geförderten Projekte, gemessen am Fördervolumen, zeichnet sich ein Trend zu kleineren Projekten ab. Darüber hinaus ließen sich deutliche Unterschiede in den Bewilligungsquoten der Projekte zwischen den verschiedenen Themenfeldern, und auch im Hinblick auf die themenoffenen Förderungen feststellen. So weisen die Vorhaben in folgenden Themenfeldern nur wenige eingereichte Anträge beziehungsweise geförderte Projekte auf:

  • Krankheitsübergreifende Versorgungsmodelle,
  • Versorgungsmodelle mit übergreifender und messbarer Ergebnis- und Prozessverantwortung,
  • Modelle mit Delegation und Substitution von Leistungen,
  • Auf- und Ausbau der geriatrischen Versorgung,
  • Verbesserung der Kommunikation mit Patienten und Förderung der Gesundheitskompetenz,
  • Versorgungsmodelle für Menschen mit Behinderungen,
  • Versorgungsmodelle für vulnerable Gruppen,
  • Versorgungsmodelle in strukturschwachen oder ländlichen Gebieten sowie
  • Modellprojekte zur Arzneimitteltherapie sowie Arzneimitteltherapiesicherheit.


Hier stelle sich die Frage nach den Ursachen bei geringer Annahme von Themenfeldern auf den Seiten der Antragsteller wie der entscheidenden Gremien bei geringen Bewilligungsquoten, so die Autoren.
Im Bereich der VSF konstatieren sie einen Anstieg der eingereichten Anträge im Zeitablauf der Förderwellen. Diesen erklären sie einerseits durch die Wiedereinreichung zuvor abgelehnter Anträge, sowie möglicherweise durch vermehrte Projektanträge einzelner Antragsteller und insgesamt einer Etablierung des Innovationsfonds als neue Fördermaßnahme in der VSF. Die absolute Zahl bewilligter Projekte sei hingegen in den ersten drei Förderwellen vergleichbar hoch gewesen. Die Bewilligungsquote sei somit im Zeitverlauf, bei konstantem jährlichen Gesamtfördervolumen, gesunken.

Wenig Projekte mit hoher Relevanz

Anteilig seien in der ersten Förderwelle weniger Projekte mit großem Fördervolumen gefördert worden als in der zweiten und dritten Förderwelle. Hinsichtlich der verschiedenen Themenfelder stellen die Evaluatoren fest, dass zu allen Themen Anträge eingereicht und bewilligt worden seien. Die Zahl der Anträge je Themenfeld variiere aber ausgesprochen stark. Zu zahlreichen Themen mit einer hohen Relevanz für die Versorgung seien nur vereinzelte Anträge eingereicht bzw. bewilligt worden. So ließen sich u. a. in folgenden Themenfeldern kaum geförderte Projekte finden:

  • Innovative Konzepte patientenorientierter Pflege,
  • Ursachen, Umfang und Auswirkungen administrativer und bürokratischer Anforderungen im Gesundheitswesen,
  • Versorgung von Menschen mit Behinderungen,
  • Zusammenarbeit von ärztlichem und nicht-ärztlichem Gesundheitspersonal,
  • Modelle zur Stärkung der Krankenpflege sowie
  • Transfer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse, Diffusion des medizinischen Fortschritts in die Regelversorgung.


Insgesamt sei in der Zunahme der eingereichten Anträge im Bereich VSF allerdings eine zunehmende Auswahlmöglichkeit und damit steigende Wahrscheinlichkeit für eine qualitativ hochwertige Projektauswahl zu sehen. Für die künftige Ausrichtung des Innovationsfonds sehen die Verfasser des Berichts ein Handlungsbedarf in dem Nebeneinander von den themenspezifischen und den themenoffenen Förderbekanntmachungen. Die themenoffene Förderung werde generell begrüßt. Entscheidender Vorteil der themenoffenen Bekanntmachungen sei, dass hier Projektideen eingereicht werden können, die bislang keiner der ausgewiesenen Gesundheitsexperten im Blick hat, die aber aus Versorgungsgesichtspunkten von hoher Relevanz sind. „Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass in diesem Rahmen unter Umständen nicht nur innovative Projektideen eingereicht werden, sondern alle Themen, die sich in den themenspezifischen Bekannt-
machungen nicht unterbringen lassen.“ Folglich bestehe die Notwendigkeit für ein Verfahren, durch welches sich aus der Fülle an Anträgen die wirklich innovativen Projekte mit qualitativ hochwertigen Forschungsansätzen und hohem Potenzial zur Übertragung in die Regelversorgung herausarbeiten lassen.
Aus den Erhebungen werde weiter deutlich, dass in der Evaluation von Selektivverträgen und Richtlinien des G-BA im Innovationsfonds weitere Handlungsfelder liegen. Kontroverse Einschätzungen der Befragten zeigten unterschiedliche Erwartungen und Interessen. Aus Sicht der Evaluatoren ist bei der Frage der Evaluation von Selektivverträgen ein maßgebliches Kriterium, inwieweit diese Verträge tatsächliche Innovationen ins Gesundheitssystem hineintragen. Selbiges gelte für die Ergebnisse der Evaluationen von Richtlinien.
Projekte „eindeutig innovativ“
Darüber hinaus sollte aus ihrer Sicht eine doppelte Finanzierung der Evaluation von Selektivverträgen vermieden werden. Bei der Bewertung und Weiterentwicklung des Innovationsfonds sei zudem zu berücksichtigen, dass Projekte zur Evaluation von Selektivverträgen und Richtlinien bisher in geringem Umfang beantragt und gefördert worden seien.
„Der Innovationsbegriff des Innovationsfonds stützt sich im Gegensatz zur gängigen Praxis im Kern nicht in erster Linie auf den Neuigkeitswert der untersuchten Fragen, sondern konzentriert sich auf die Prüfung der Übertragbarkeit neuer Lösungen in unterschiedlichen Kontextbedingungen“, stellen die Autoren des Berichts klar. Hinweise zum Innovationsgrad der geförderten Projekte würden bisher vor allem bezüglich der Vorerfahrungen vorliegen. Für die NVF sei festzuhalten, dass die meisten Projekte bereits in Deutschland oder im Ausland in anderen Projekten getestet wurden oder im Ausland bereits Bestandteil der Versorgung sind, wodurch weit überwiegend schon Vorerfahrungen bestehen würden. Dies könne ein Hinweis für einen geringeren Innovationsgrad sein, „muss es aber nicht“. Nur wenige der NVF seien bislang ausschließlich in der Literatur beschrieben worden, und seien damit eindeutig als innovativ einzuordnen.
VSF-Projekte beschäftigten sich vergleichsweise etwas häufiger mit Fragestellungen, zu denen zuvor noch nicht geforscht wurde. Neuartige Zusammensetzungen von Projektkonsortien stellten ebenfalls Hinweise für den Innovationsgrad der Projekte dar. Grundsätzlich sei die Beteiligung von Leistungserbringern im Sinne des SGB V in Projekten beider Förderlinien häufig. Krankenkassen beziehungsweise deren Verbände seien in den NVF häufiger, in den VSF hingegen seltener vertreten. Die häufigsten beteiligten Forschungseinrichtungen seien Universitäten. Die Konsortialführung werde überwiegend durch Universitätskliniken und Universitäten wahrgenommen.
Die geförderten Projekte wiesen überwiegend Konsortien auf, die zuvor keine gemeinsamen Projekte umgesetzt haben. Hervorzuheben seien hierbei insbesondere Kooperationen mit sonstigen Leistungserbringern sowie die Zusammenarbeit über Krankenkassenarten hinweg. „Insofern fördert der Innovationsfonds die Entstehung innovativer Projektstrukturen“, lautet das Fazit der Verfasser.


Nicht-Akademia wenig vertreten

Ferner gehen sie auf die berufsgruppen-übergreifende Zusammenarbeit ein. Hinsichtlich der einbezogenen Berufsgruppen zeige sich, dass im Gegensatz zur Ärzteschaft die nicht akademischen Berufsgruppen, die im Gesundheitswesen tätig sind (insb. Pflege, Heilberufe, Medizinische Fachfachangestellte), nicht entsprechend ihrer Bedeutung in der Versorgung in den Projekten vertreten sind.
In den einzelnen Themenfeldern der NVF und VSF würden sich unterschiedlich viele sektorenübergreifende Projekte finden. Die mit Abstand am häufigsten einbezogenen Versorgungsbereiche seien die ambulante ärztliche und die Krankenhausversorgung, sowohl in Projekten mit nur einem Versorgungsbereich als auch bei sektorenübergreifenden Projekten. Insgesamt sei allerdings bei rund einem Drittel aller geförderten Projekte kein sektorenübergreifender Ansatz erkennbar. Darüber hinaus würden in den Projekten – bis auf wenige Ausnahmen – kaum andere Sozialversicherungsträger und Unterstützungssysteme berücksichtigt. „Es bleibt abzuwarten, ob die diesbezüglichen themenspezifischen Förderbekanntmachungen und daraufhin geförderte NVF der vierten und fünften Förderwelle (2018 und 2019) eine Erhöhung der sektorenübergreifenden Bedeutung des Innovationsfonds herbeiführen können.“
Die Auswertung nach der Art der Inter-vention(en) der NVF zeigte einen hohen Anteil an Projekten mit Einsatz von digitalen und technologischen Komponenten sowie der Vernetzung, Kooperation und Koordination von verschiedenen Leistungserbringern. Demgegenüber stehe der auffällig geringe Anteil an Projekten mit Interventionen zur Substitution und Delegation von ärztlichen Leistungen. Interventionen in Form von expliziten zumeist ärztlichen Zusatzleistungen, zu denen von Seiten Befragter die Sorge geäußert worden sei, dass diese zu einer Vielzahl neuer Gebührenpositionen führen könnten, seien im Vergleich zu anderen Interventionen ebenfalls vergleichsweise selten.
Die Patientennähe der Projekte, im Sinne der Einbindung von Patientenorganisationen beziehungsweise der Patientenperspektive auf andere Art, bewerten die Gutachter insgesamt als eher gering. Im gleichen Zug heben sie aber auch positiv hervor, „dass patientenrelevante Endpunkte – im Sinne des Patientennutzens – in der Regel sowohl in den Zielsetzungen der Projekte als auch bei deren Evaluation berücksichtigt werden“. Allerdings seien Patientenorganisationen nur in Einzelfällen in den Projektkonsortien vertreten. Die Einbindung der Patientenperspektive habe in den meisten Projekten einen geringen Stellenwert, und es bestehe kein einheitliches Verständnis davon, was der Einbezug der Patientenperspektive bedeutet.
In beiden Förderlinien (NVF- und VSF-Projekte) wird die Zielgruppe der älteren Menschen mit einem hohen Fördervolumen bedient, stellen die Autoren fest. Bislang wenig adressiert werden aber Zielgruppen wie sozial Benachteiligte und Menschen mit Migrationshintergrund, heißt es im Gutachten weiter. Zudem finde nur eine geringe Anzahl an Projekten mit Verknüpfungen von Gesundheits- und Sozialthemen Berücksichtigung.
Zwar sei der Fokus auf die Zielgruppe der älteren Menschen hinsichtlich deren hohen Bedarfs und den daraus resultierenden Kosten für das Gesundheitssystem gerechtfertigt, räumt das Evaluatorenteam ein. Zu beachten sei aber ebenfalls, „dass die bislang vernachlässigten Zielgruppen eine erhöhte Krankheitslast und Zugangsbarrieren zum Versorgungssystem aufweisen können“. Insofern sei die stärkere Berücksichtigung dieser Zielgruppen ein dringendes Handlungsfeld für die Weiterentwicklung des Innovationsfonds. <<

Autorin: Olga Gilbers

Zitationshinweis:

Gilbers, O., „Innovationsfonds: Problemfall bleibt die Translation“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (03/19), S. 28-33; doi: 10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2142

Ausgabe 03 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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