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Die Innovation des Innovationsfonds

04.06.2018 14:00
Rund 30% der Anträge des Innovationsfonds werden positiv beschieden – eine im Vergleich zu anderen Fördergebern recht hohe Erfolgsrate. Ablehnungen können verschiedene Gründe haben – angefangen bei formalen Fehlern, über inhaltliche Mängel bis hin zu politisch oder monetär begründeten Faktoren. Nun könnte es durchaus sein, dass in den knapp 70% der abgelehnten Anträge einige oder gar viele Projektideen und -ansätze verborgen sind, die dem Ziel einer besseren Versorgung für immer entzogen sind; zumindest dann, wenn die negativ beschiedenen Antragstellenden nicht doch noch den Mut finden, ihr Projekt in einer nächsten Ausschreibungswelle des Innovationsfonds oder auch bei anderen Drittmittelgebern erneut einzureichen. Wer über einen Innovationsfonds 2.0 nachdenkt, wie ihn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn auf dem G-BA-Kongress „Zwei Jahre Innovationsfonds“ (siehe MVF 04/18) angekündigt hat, darf nicht nur auf weitere Jahre jeweils 200 Millionen (statt bisher 300 Millionen) Euro an Versichertengeldern in die Hand nehmen wollen, sondern muss auch darüber nachdenken, wie diese besser (womöglich besser als bisher) eingesetzt werden können und wie die zentralen Stellschrauben aussehen, um dies zu erreichen.

http://doi.org/10.24945/MVF.01.19.1866-0533.2119

>> Zu diesen Stellschrauben gehört unter anderem die in der letzten Legislatur negativ beschiedene Übertragbarkeit der Mittel, die laut Staatssekretär Lutz Stroppe neu diskutiert werde, wie er im August 2018 auf dem
G-BA-Kongress „Zwei Jahre Innovationsfonds“ zu Protokoll gab. Dazu gehört ebenso, dass „tatsächlich aus den Erfahrungen gelernt“ wird, wie es Spahn formulierte. Dazu sollte der Frage nachgegangen werden, „welche Details künftig anzupassen sind, und vor allem was regelhafter angelegt werden kann, damit Gutes auch in die Regelversorgung kommt“. Dazu soll unter anderem eine Evaluation des Innovationsfonds als solchem dienen, die das damit beauftragte Wirtschaftsforschungs- und Beratungsunternehmen Prognos im März 2019 dem Deutschen Bundestag vorlegen soll.
Dies wird allerdings nur – so die Planung – ein Zwischenbericht sein, welcher zum einen eine Bewertung des Innovationsfonds als Politikinstrument, zum anderen Handlungsempfehlungen zur Stärkung von dessen Wirksamkeit beinhaltet. Der Endbericht, der dem Bundestag erst im März 2021 vorgelegt wird, soll hingegen das tatsächliche, bis dahin evaluierbare Potenzial der geförderten Projekte zur Weiterentwicklung der Versorgung im Sinne der Ziele des Innovationsfonds beinhalten und – noch weitreichender – den wahren Impact des Innovationsfonds auf die Versorgung darstellen.
Das Problem dabei: Prognos wird und kann sich dabei nur auf die bis dahin vorliegenden Zwischen- oder auch Endevaluationen stützen, die die Antragsteller zu veröffentlichen haben. Wo und wie diese Veröffentlichung erfolgt, ist nicht genau festgelegt. In den geltenden „Allgemeinen Nebenbestimmungen“ (ANBest-IF), die sich der beim G-BA angesiedelte Innovationsausschuss für Förderungen aus dem Innovationsfonds selbst gesetzt hat, steht nur, dass der „Förderempfänger verpflichtet ist, das Ergebnis – mindestens im sachlichen Gehalt des Schlussberichts – innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Projekts auf geeignete Weise der Fachöffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland zugänglich zu machen“. Darüber hinaus würde auch der Förderer, also der Innovationsausschuss, den Ergebnisbericht eines Projekts der Versorgungsforschung (VF) sowie den Evaluationsbericht bei einem Projekts zu Neuen Versorgungsformen (NVF) veröffentlichen.
Veröffentlicht werden können indes nur jene Ergebnisse, die aus den 30% der durch den Innovationsfonds geförderten Projekten stammen – ob diese nun in ihrer jeweiligen Endevaluation, wie erhofft, positiv oder negativ ausfallen; wobei letzteres ganz normaler Weise auch der Fall sein wird.
Hier gab der positiv denkende Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundes- und gleichzeitig Vorsitzender des Innovationsausschusses, auf dem G-BA-Kongress die Rate positiv evaluierter Projekte niedrig und pragmatisch vor: Seiner Meinung nach müssten 15 bis 30 Prozent der geförderten Projekte so erfolgreich sein, dass sie am Ende in die Versorgung kommen – ob in Form von Integrierten Verträgen, innerhalb von DMP oder in der Regelversorgung sei dahingestellt. Hecken: „Meine Messzahl ist nicht, dass 100 Prozent in die Regelversorgung übernommen werden, das wäre absurd“, denn Forschung bestehe eben auch darin zu erkennen, dass manche Dinge nicht funktionieren.
Was ist nun mit all den Projektansätzen, die im Auswahlprozess abgelehnt wurden? Verbergen sich vielleicht (oder gerade) in diesen 70% der nicht geförderten Projekten viele Ideen, Konzepte und Ansätze, die ebenfalls im Stande wären, die Versorgungsqualität in Deutschland weiter zu verbessern? Ob das so ist, ist unbekannt, da bisher alle jene Projekte, die abschlägig beschieden worden sind, öffentlich nicht weiter betrachtet werden dürfen. Der Grund: Weder die Projektantragstellenden, noch die Titel, geschweige denn die dahinterstehenden Ideen und Ansätze, noch die involvierten Projektpartner werden an irgendeiner Stelle transparent.
Auf Anfrage der Fachzeitschrift „Monitor Versorgungsforschung“ (MVF), die um einen Einblick in alle Innovationsfonds-Anträge – damit auch die abgelehnten – bat, teilt der G-BA schriftlich mit: „Beim Innovationsausschuss erfolgt die Antragstellung nicht öffentlich und für jeden einsehbar, sondern vertraulich. Die Antragsteller verlassen sich darauf, dass im Rahmen ihrer Anträge, die personenbezogenen Daten sowie geistiges Eigentum bzw. Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, lediglich die Informationen veröffentlicht werden, deren Veröffentlichung sie auch zugestimmt haben. Dieses Vorgehen ist konform mit § 6 des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes, wonach der Anspruch auf Informationszugang nicht besteht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Zugang zu Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen darf nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat.“
Das könnte natürlich der Innovationsausschuss ändern, indem er seine „ANBest-IF“ abändert und künftige Förderentscheidungen auch davon abhängig macht, dass
a) entweder alle Angaben zu eingereichten Förderprojekten in ein öffentlich zugängliches Register eingetragen werden, oder
b) dem Antragstellenden selbst die Entscheidung überlassen wird, ob er zumindest die wichtigsten Projektangaben zugänglich machen und damit ergänzend eine Art Ideenschutz nach Art eines Gebrauchsmusterschutzes erhalten möchte.
Auf jeden Fall würde es – so ein von MVF befragter Experte – „Sinn machen, auch die Titel der angedachten, aber letztlich nicht geförderten Projekte zu veröffentlichen“. Auf jeden Fall sollten nebst einer wissenschaftlich fundierten Synopse die Basisdaten der Anträge (Jahr, Titel des Antrages, standardisierte Zuordnung der Erkrankungen nach ICD 10, Angabe des Versorgungsthemas und Indikationsbereichs nach ICD 10, Institution, Kontaktperson/-daten) aufgelistet werden.
Dies hätte den Vorteil, dass zum einen interessante Projekte frühzeitig bekannt werden, zum anderen so teilnahmewillige potenzielle Projektpartner einfacher als bisher zusammenfinden können. Und als weiteren Bonus: Auf der Basis der so entstehenden Transparenz könnte öffentlich diskutiert werden, ob ein abgelehntes Projekt zu Recht abgelehnt wurde. Dies kann Gründe haben, die nichts mit der Güte der dahinterstehenden Idee zu tun haben müssen. Um dies zu verstehen, muss man allerdings tiefer in zwei komplexe Welten eintauchen; zum einen in die Fördersystematik des Innovationsfonds, zum anderen in die ihm zu Grunde liegende Logik.
Die Fördersystematik
Die Fördersystematik des Innovationsfonds wird determiniert durch das zwei-, eigentlich dreistufige Entscheidungsmodell des Innovationsausschusses. Rechtsgrundlage für die Arbeit des beim G-BA eingerichteten Innovationsausschusses sind die Paragrafen 92a und 92b des Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V). Der Innovationsausschuss, dem nach § 92b Abs. 1 SGB V elf Mitglieder angehören, legt in den jeweiligen Förderbekanntmachungen die Schwerpunkte und Kriterien zur Vergabe der Mittel aus dem Innovationsfonds fest und entscheidet letztendlich über die eingegangenen Förder-anträge. Wie er dies tut, hat der Innovationsausschuss selbst in einer – vom BMG genehmigten – Geschäftsordnung beschlossen. Diese regelt insbesondere, wie die Aufgaben, Besetzung und Bestellung der Mitglieder des Innovationsausschusses auszusehen haben, welche Formalien der Beschlussfassungen – wie z.B. Stimmrechte und deren Verteilung – zu beachten sind, wie die Einsetzung und Arbeitsweise der Arbeitsausschüsse aussehen soll, welche Aufgaben die Geschäftsstelle und welche der beauftragte Projektträger zu übernehmen, und ebenso, wie die Arbeitsweise des Expertenbeirats in der Zusammenarbeit mit dem Innovationsausschuss auszusehen hat.
Welche Projekte überhaupt für eine Förderung in Frage kommen, wird in einer ebenfalls vom Innovationsausschuss selbst erarbeiteten und erneut vom BMG genehmigten Verfahrensordnung geregelt. Hier ist definiert, wie das Antrags- und Förderverfahren auszusehen hat, wie die Festlegung und Veröffentlichung der Förderbekanntmachungen definiert ist; aber auch, wer die Antragsberechtigten sind und wie die Kriterien und Verfahren der Antragsbewertung einschließlich der Arbeitsweise des Expertenbeirates lauten.
Der vom Bundesministerium für Gesundheit berufene Expertenbeirat hat die Aufgabe, zum einen wissenschaftlichen, zum anderen aber auch versorgungspraktischen Sachverstand in die Beratungsverfahren des Innovationsausschusses einzubringen. Dies tut der ehrenamtlich tätige Expertenbeirat mit einer durchaus aufwändigen, sehr zeit-intensiven Bewertung der eingegangenen Projektanträge.
Dabei empfiehlt der Innovationsausschuss den Antragstellern, schon vor Abgabe eines Antrags mit dem Projektträger Kontakt aufzunehmen. Projektträger ist der Verein des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) e.V., der vom Innovationsausschuss mit der Abwicklung der Fördermaßnahme beauftragt wurde. Unter anderen hatte sich das Deutsche Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF) e.V. gut begründet für die Einsetzung eines zumindest in der Gundlagenforschung erfahrenen Projektträgers ausgesprochen.
Das DLR stellt für die Antragsteller eine Beratungshotline zur Verfügung, über die – wie Hecken auf dem G-BA-Kongress ausführte – bereits mehr als 10.500 „intensive Telefonate mit Antragstellern“ geführt worden sind, um Detailfragen zu diskutieren. Des weiteren seien 7 Webinare mit über 1.300 Teilnehmenden sowie 2 weitere zu laufenden Projekten mit über 400 Teilnehmenden veranstaltet, zudem über 150.000 Formulare und Unterlagen von der Website des Innovationsfonds heruntergeladen worden (alle Zahlen: Stand August 2018).
Ebenfalls mit Stand August 2018, dem Veranstaltungsmonat des Innovations-Kon-
gresses des G-BA, sind laut Ausführungen Heckens 914 Anträge bearbeitet und 1.498 rechtsverbindliche Bescheide erlassen worden, da zusätzlich zum Förderbescheid weitere Bescheide erforderlich sein können, wenn es um genehmigungspflichtige Änderungen innerhalb eines Projekts geht. Inzwischen (Tab. 1) kamen 55 weitere neue Projekte zur Versorgungsforschung (VF), sowie 39 Projekte zu Neuen Versorgungsformen (NVF) hinzu, wobei die Förderquote bei VF (bei in dieser Welle 200) Einreichungen bei den bisherigen 30%
geblieben ist, indes bei den NVF auf gut 40%
gestiegen ist, da diesmal „nur“ 93 Anträge eingereicht wurden und so die in dieser Welle zur Verfügung stehende Fördersumme besser ausgeschöpft werden konnte.
Insgesamt wurden seit 2016 – dem Start des Innovationsfonds – 389 Anträge im Bereich der NVF und weitere 529 Anträge beim Part der Versorgungsforschung (VF) gestellt. Davon wurden 120 NVF-Projekte und 173 VF-Projekte positiv beschieden und damit aus dem Innovationsfonds gefördert. Damit ergibt sich erneut die Frage: Sind die bislang positiv beschiedenen Projekte wirklich die richtigen, die im Stande sind, die Versorgung nachhaltig zu verbessern? Ein von MVF befragter Experte sagt dazu: „Wenn man schon in einem öffentlichen Fördersektor, der mit Zwangsgeldern organisiert wird, unterwegs ist, muss man sich auch darum bemühen, nicht nur ausreichend gute, sondern die
besten Innovationsideen zu fördern.“
Wobei bei der Beantwortung dieser recht schwierigen Frage klar sein muss, dass es das erklärte Ziel der Politik ist, mit dem Innovationsfonds insbesondere Vorhaben zu unterstützen, welche die sektorenübergreifende Versorgung verbessern und die ein Umsetzungspotenzial aufweisen, sowie solche, deren Ziel eine dauerhafte Weiterentwicklung der selektivvertraglichen Versorgung ist.
Ob das Ziel der dauerhaften Weiterentwicklung der selektivvertraglichen Versorgung tatsächlich erreicht wird, kann man jedoch erst dann sagen, wenn die Endevalua-tionen veröffentlicht werden und feststeht, wie eine solche Implementierung/Translation überhaupt aussehen kann. Allerdings kann man auf Basis der bisher positiv beschiedenen und in Kurzform veröffentlichten Förderbescheide schon jetzt bezweifeln, dass es überhaupt genug Projekte gibt, welche die sektoren-übergreifende Versorgung verbessern könnten.
Nach einer im Jahr 2018 erstellten Auswertung des Berliner Wissensmanagement-Unternehmens Ordinary People haben schon die Themenvorgaben der einzelnen Förderwellen keinen nachvollziehbaren inhaltlichen Zusammenhang zur sektoren-übergreifenden Versorgung. So tragen auch nur zehn Projekte den Begriff (inklusive sektorenübergreifend-koordiniert) im Titel, weitere fünf erwähnen die Begriffe „transsektoral“, „multisektoral“ oder „intersektoral“:
• Avenue-Pal – Analyse und Verbesserung des sektor- und bereichsübergreifenden Schnittstellen- und Verlegungsmanagements in der Palliativversorgung
• Dent@Prevent – Implementierung von Routinedaten & PROMS in die evidenz-informierte intersektorale (zahn-)medizinische Versorgung
• EMSE – Entwicklung von Methoden zur Nutzung von Routinedaten für ein sektorenübergreifendes Entlassmanagement
• GerNE – E-Health-basierte, sektorenübergreifende geriatrische Versorgung / Geriatrisches Netzwerk
• HerzEffekt MV – Entwicklung und spezifischer Aufbau eines sektorenübergreifenden Care-Centers zur Versorgungsoptimierung chronischer Herzerkrankungen in MV
• INDEeD – Inanspruchnahme und sektorenübergreifende Versorgungsmuster von Patienten in Notfallversorgungsstrukturen in Deutschland
• isPO – integrierte, sektorenübergreifende Psychoonkologie
• MSTVK – Aufbau und Implementierung eines multimodalen, sektoren- und trägerübergreifenden Versorgungskonzeptes bei Majoramputation
• PROMISE – Prozessoptimierung durch interdisziplinäre, sektorenübergreifende Versorgung bei Hüft- und Kniearthrosen
• PsychCare – Wirksamkeit sektorenübergreifender Versorgungsmodelle in der Psychiatrie – eine prospektive, kontrollierte multizentrische Beobachtungsstudie (PsychCare)
• RECOVER – Modell der sektorenübergreifend-koordinierten, schweregradgestuften, evidenzbasierten Versorgung psychischer Erkrankungen
• RemugVplan – Regionale multisektorale geriatrische Versorgungsplanung
• Sektorübergreifend organisierte Versorgung komplexer chronischer Erkrankungen: Schlaganfall-Lotsen in Ostwestfalen-Lippe
• TELnet@NRW – Telemedizinisches, intersektorales Netzwerk als neue digitale Struktur
• TIGER – Transsektorales Interventionsprogramm zur Verbesserung der geriatrischen Versorgung in Regensburg

Nach der Einschätzung  von Ordinary People ist die Themenkaskade zum einen undurchschaubar, zum anderen trotz der Vorgaben der Ausschreibungen eher forscher-
getrieben. Auch lägen vielfältige „Projekt-Doppelungen“ und Überschneidungen vor. Das Problem: Ohne (Versorgungs)-Zielvorhaben sowie standardisierte Projektmanagement- und Implementierungsbedingungen lässt sich nach Ansicht von OP weder eine transparente, vergleichende und steuerbare Projektlandschaft aufsetzen, noch evident beurteilen.
Damit steht zu vermuten, dass das eigentlich intendierte, die Versorgung wirklich verbessernde Ziel der sektorenübergreifenden Versorgung nur marginal erreicht werden kann.
Das wiederum hat zwei Gründe. Der Erste: „Während in einer klinischen Studie nur die Studien-
erfordernisse zu beachten sind,
verlangen Interventionen im Versorgungsalltag in der Regel eine nachhaltige Veränderung von Prozessen und Strukturen, und damit oft auch von Alltagsroutinen“, schreiben die Expertenbeiräte in ihrem Beitrag „Überlegungen des Expertenbeirats zu Anträgen im Rahmen des Innovationsfonds“ (3). Sie verweisen in dem Artikel darauf, dass wissenschaftliche und praktische Erfahrungen zeigen würden, dass eben dies häufig nicht gelinge – „eine Ursache dafür kann der Widerstand gegen den Wandel sein“. Der Expertenbeirat empfiehlt deshalb eine „explizite Implementierungsstrategie in der Studienphase und in der Zeit nach der Studie“, die dafür sorgen könne, „dass die Intervention nicht wie ein Fremdkörper abgestoßen, sondern angenommen und akzeptiert wird“.
Der zweite Grund ist ganz einfach der, dass es eben nur zwei Handvoll geförderter Projekte gibt, die auf eine sektorenübergreifende Versorgung – zumindest in Teilen – fokussieren.
Woran liegt das? Weil es zu wenig Einreichungen gab, die dieses, von der Politik an fast oberste Priorität gesetzte Ziel aufgreifen und angehen wollten? Das Problem: Die Frage kann man nicht beantworten, weil abgelehnte Anträge mit Hinweis auf den in § 6 des Informationsgesetzes intendierten Ideenschutz nicht veröffentlicht werden.
Warum aber könnten Anträge, die die sektorenübergreifende Versorgung verbessern wollen – wenn es sie denn überhaupt in hinreichender Menge und Güte gegeben hat – abgelehnt worden sein?
Dazu hat „Monitor Versorgungsforschung“  einige Antragsteller und Projektpartner befragt, die angenommene und abgelehnte Anträgen überblicken und die darum vergleichen können.
Nun könnte man annehmen, dass bei der Beantwortung der Frage auch ein Blick in die Ablehnungsbescheide zielfführend wäre, die es allerdings erst ab der zweiten Förderwelle gibt. Allerdings sind die Ablehnungsbescheide nicht öffentlich zugänglich.
Auch hätten sie wahrscheinlich einen nur begrenzten Nutzwert. Das liegt vor allem daran, wie einer der von MVF in Einzelinterviews befragten Experten erklärt, dass die Ablehnungsbescheide rechtswirksam formuliert sind. Das heißt: Auf Basis dieser Erklärungen zur Ablehnung des jeweiligen Förderantrags kann ein Antragsteller gegen den Innovationsausschuss gerichtlich vorgehen. Das haben denn auch zwei Antragsteller getan – indes ohne Erfolg.
Schon anhand dieser im Vergleich zur Menge der Einreichungen niedrigen Zahl der Rechtsverfahren wird deutlich: Der beim G-BA angesiedelte Innovationsausschuss fasst die ablehnenden Bescheide natürlich so ab, dass der Antragsteller (respektive dessen Anwälte) keine ausreichenden Ansatzpunkte hat. Das mache der Innovationsausschuss mitunter so, dass – so einer der interviewten Experten – „der Einreichende den Eindruck hat, dass es eine Frechheit war, dass er überhaupt eingereicht hat“. Da würde auf „irgendwelchen Schwachstellen herumgeritten, nur um eine möglichst rechtssichere Begründung für die Ablehnung zu finden“.
Mit den wahren Ablehnungsgründen wird das oft recht wenig zu tun haben. Bei einigen der Befragten war es sogar so, dass ihr jeweiliges Lieblingsprojekt, von dem sie absolut sicher waren, dass es zum einen methodisch sauber aufgestellt, zum anderen die Versorgung – zumindest für bestimmte Subpopulationen – verbessern würde, nicht in die Förderung durch den Innovationsfonds gekommen ist. Dies sei aus verschiedensten, zum Teil nachvollziehbaren, zum Teil völlig intransparenten Gründen geschehen.
Die Logik des Innovationsfonds
Wie wird ein Antrag im Fördersystem des Innovationsfonds verarbeitet? Der Antrag muss nach Veröffentlichung der Ausschreibung beim Innovationsausschuss (1) und dem DLR (2) über ein Onlineportal (4) beim Projektträger DLR eingereicht werden. Dieser prüft den Antrag nach formalen Kriterien, unter anderem auf Vollständigkeit und auf Vorhandensein, vielleicht auch Stimmigkeit, des Evaluationskonzepts. Anträge, die diese erste Hürde überwunden haben, gehen zum Innovationsausschuss und dem 12-köpfigen Expertenbeirat (5). Dieser ist vom BMG unter dem damaligen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe berufen und seitdem personell nicht verändert worden. Ihm gehören Wissenschaftler an, die sowohl aus der Versorgungsforschung stammen, als auch aus der direkten Patientenversorgung und der Lehre, aber auch ein Krankenhauschef sowie ein ehemaliger prominenter Kassenmanager sind dabei.
Bei der Menge der Einreichungen werden Anträge aus Kapazitätsgründen nicht vom Vollplenum des Expertenbeirats beurteilt, sondern pro Antrag immer zwei Mitglieder mit der Erstbewertung betraut. Schon dabei kann es zu unterschiedlichen Konstellatio-nen kommen. Doch zuallererst müssen die mit einem Antrag konfrontierten Expertenbeiräte erklären, ob sie befangen sind. Hier ist eine erste Schwachstelle verborgen: Was ist befangen? Reicht es, wenn ein Expertenbeirat den Antragsteller kennt, was sicher häufig der Fall sein wird? Früher mit dem Antragsteller zusammengearbeitet hat, derselben Fachgesellschaft oder demselben Verein angehört? Oder müssen deutlichere Interessenkonflikte bestehen, um eine Befangenheit erklären zu müssen – etwa, dass der Expertenbeirat oder dessen Arbeitgeber in das Projekt selbst eingebunden ist? Erst wenn die „Befangenheit“ geklärt ist, wird der Antrag beurteilt. Nun kann es sein, dass
a) ein methodisch perfekter Antrag mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit der Umsetzung an zwei Expertenbeiräte gerät, die von der Methodik begeistert sind, aber der späteren Translationsmöglichkeit etwas weniger Beachtung schenken (Methodik wichtiger als Verwendbarkeit)
b) ein die Versorgung wirklich verbessernder Antrag mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Umsetzung, indes einem methodisch nicht ganz so sauberen Antrag von zwei Expertenbeiräten beurteilt wird, die von der Idee begeistert sind, und darum die Güte der Methodik hinten anstellen (Verwendbarkeit vor Methodik).

Wenn beide Experten zum gleichen Ergebnis kommen, wird der Antrag direkt dem Innovationsausschuss mit einer positiven oder negativen Bewertung (die nicht veröffentlicht wird) zur Entscheidung vorgelegt. Kommen beide Experten jedoch nicht zum gleichen Ergebnis, muss sich das Gesamtplenum des Expertenbeirats mit dem betreffenden Projekt befassen und zu einer einstimmigen Beschlussfassung (die  nicht veröffentlicht wird) kommen. Danach geht der Antrag zur finalen Entscheidungsfindung an den Innovationsausschuss.
Einer der befragten Expertenbeiräte sagt über die eigene Arbeit: „Wenigstens werden nicht die schlechtesten Anträge gefördert.“ Ein anderer befragter Wissenschaftler weist jedoch an der Stelle auf nicht wenige positiv beschiedene Anträge hin, die entweder „von hoffnungsfroher Ignoranz geprägt“ oder aber einfach „im real existierenden Versorgungs-system nicht umsetzbar“ seien. „Da haben sich viele zusammengefunden, die der komplexen
Mechanik des Fördergeschehens nicht mächtig sind“, gibt ein weiterer Befragter aus der Kassenszene zu bedenken. Zwar hätten die Antragsteller „viel Geld bekommen, schaffen es aber nicht, die Projekte entsprechend umzusetzen, weil Geld eben nicht die Gesetzgebung aushebelt“. Noch ein weiterer Fakt kommt hinzu: Bisher waren quasi die Kassen Wächter des auszugebenden Versichertengeldes, nach den Förderrichtlinien sei das aber nun der Projektträger, der nach Einschätzung des befragten Experten wiederum keine Ahnung von der Sozialgesetzgebung habe.
In der ersten Förderwelle war es so, dass der Expertenbeirat – wohlgemerkt alles ehrenamtlich – viel Mühe auf seine Bewertungen verwandt hat, der Innovationsausschuss aber nicht selten von dieser Bewertung in beide Richtungen abgewichen ist. Wie oft und warum das geschah, ist  (weil nicht veröffentlicht) unbekannt. Das heißt: Ein Antrag kann gefördert werden, obwohl der Expertenbeirat dagegen hat, ein anderer Antrag wird nicht gefördert, obwohl der Expertenbeirat eine positive Bewertung abgegeben hat. Das hat sich jedoch ab der zweiten Förderwelle geändert, weil der Expertenbeirat beim Innovationsausschuss intervenierte und auf seine durchaus wertvolle Bewertungsarbeit pochte; seitdem soll es keine Abweichungen mehr gegeben haben.
Diese Vorgehensweise kann man nun aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, wo es kein richtig oder falsch gibt:
a) Ist das Projekt förderwürdig, das mit einem hohen methodischen Goldstandard aufgesetzt ist?
b) Ist das Projekt förderwürdig, das in der Lage ist, die Versorgung nachhaltig zu verbessern?
c) Ist das Projekt förderwürdig, das vielleicht nicht dem Goldstandard entspricht, aber dem G-BA eine hinreichende Evidenz für eine praktische Entscheidung liefert, ein Detail der Versorgung zum Besseren zu verändern?
d) Ist das Projekt förderwürdig, das – wenn es um die noch nicht definierte Translation in die Regelversorgung geht – bei den beteiligten Bänken (oder auch nur einem davon) kein stoppendes Veto auslösen wird?
Allein anhand dieser Fragen wird deutlich, dass die Förderung oder Ablehnung eines Innovationsfonds-Projekts nicht nur mit der Güte des Projekts oder der Idee als solcher zu tun haben muss. Es wird dabei immer um eine Kompromiss-Entscheidung gehen, wobei jeder Antrag dem Spiel der Kräfte unterworfen ist; nämlich der Einflüsse der im G-BA aktiven „Bänke“ (6), gebildet aus GKV-Spitzenverband sowie den Spitzenorganisationen der Leistungserbringer DKG, KBV, KZBV, die in der gleichen Konstellation (jedoch hier ergänzt um einen Vertreter des BMBF sowie zwei des BMG) im Innovationsausschuss (7) aktiv sind.
Letzteres ist ein absolutes Novum in der Selbstverwaltung, die sich ansonsten dagegen verwehrt, die Politik in ihre Gremien einzubinden. Hecken argumentiert hier, dass es absolut sinnvoll sei, die Vertreter der Ministerien in den Innovationsfonds-Ausschuss einzubinden, da im Zuge der geplanten späteren Überführung positiv evaluierter Projekte der Gesetzgeber gefordert sein kann. So sagte Hecken im MVF-Titelinterview (01/17): „Es ist ein Paradigmenwechsel, der mit dem Innovationsfonds verbunden ist. Die Versorgung flächendeckend zu verbessern, ist das Hauptziel, das man nur erreichen kann, wenn alle Verantwortlichen am Tisch sitzen. Wenn die Parteien, die den G-BA und auch den Innovationsausschuss tragen, in einem einstimmigen Auswahlprozess im Beisein von zwei Bundesministerien jene Projekte beschließen, von denen sie selbst annehmen, dass sie für die Regelversorgung tauglich sind, wird es nach vier Jahren leichter sein, auch für die Translation zu sorgen“ (8).
Jede der Spitzenorganisationen der Leis-
tungserbringer – aber natürlich auch die der Krankenkassen – hat ihre eigene Agenda, manchmal eine verborgene (hidden agenda), oft aber eine recht offensichtliche. Nun wäre es zu simplifizierend zu sagen, ein Projekt würde von einer „Bank“ nur deshalb abgelehnt, weil es der zu vertretenden Klientel Einkommenseinbußen oder politische Nachteile bringen oder einfach das Gesamtbudget der GKV sprengen könnte, so sinnvoll das Ziel auch sein mag.
Mögliche Ablehnungsgründe können viel kleiner und spezieller sein. Zum Beispiel, in dem sich der Vertreter einer der „Bänke“ nicht eingebunden und übergangen fühlt, weil sich ein – sagen wir – Systemfremder anmaßt, sich um einen Kernbereich zu kümmern, der zum ursächlichen Betätigungs-, aber auch Identifikationsfeld der Leistungserbringerschaft (oder der Kostenträger) gehört, für das die betreffende „Bank“ zuständig ist. Die sich jedoch nicht in ausreichendem Maße um die entsprechende Detailfrage gekümmert hat, da das betreffende Projekt auf diesen anscheinend nach wie vor real existierenden Qualitätsmangel hinweist und diesen beheben will. Alleine schon deshalb kann von der betreffenden „Bank“ ein Veto ausgesprochen werden. Wahrscheinlich jedoch mit einer anders lautenden Begründung versehen, die aber wiederum nicht veröffentlichungspflichtig ist.
Ablehnungsgründe dürften deshalb recht schnell für all jene Projekte gefunden werden, die den Zielen einer „Bank“ zuwider laufen oder nicht in deren Strategie passen. Was wohl die meisten sektorenübergreifenden Projekte betreffen dürfte, denn diese würden – wären sie denn erfolgreich – die bisherige Sektorenaufteilung und -honorierung gefährden, mit der viele „Bänke“ der Selbstverwaltung sich ganz gut arrangiert haben.
Was passiert wohl mit einem Antrag, zu dem im Vorfeld der Entscheidungsberatungen ein „Bänke“-Vertreter sagt: „Selbst wenn sich das Projekt bewährt, werde ich – wenn es hinterher umgesetzt werden soll – ein Veto einlegen!“ Wird dieses Projekt gefördert? Obwohl alle wissen, dass ein im Vorfeld angekündigte Veto nahezu eine Stoppwirkung haben wird?
Nun ist es so, dass theoretisch eine einzelne „Bank“ im G-BA-Plenum, wenn es um eine mögliche, weil evident sinnvolle Umsetzung in die Regelversorgung geht, von den anderen überstimmt werden kann. Doch haben im Zweifel alle „Bänke“ eines oder gar mehrere Projekte, die sie aus den verschiedensten Gründen lieber nicht realisiert sehen möchten. „Da gilt im Vorfeld bestimmter Entscheidungen der Grundsatz, dass sich die Veto-Player zu Paketen einigen“, erklärt einer der befragten Kassenmanager, der sich ziemlich sicher ist, dass Verhandlungen im G-BA nach folgendem Muster laufen: die DKG will drei bestimmte Projekte nicht, die KV drei andere nicht und der Spitzenverband wiederum drei weitere nicht. Der befragte Experte: „Damit hat man schon neun Projekte, die auf keinen Fall umgesetzt werden.“
Die Krux ist nur, dass eben gerade die Projekte mit hohem Verbesserungspotenzial den „Bänken“ unangenehm werden könnten.
Eine Gretchenfrage: Macht es dann überhaupt Sinn, solche Projekte zu fördern?
Die Antwort könnte positiv ausfallen, wenn das Gesundheitssystem – vor allem dessen
Protagonisten – veränderungswillig wäre. Weil sie das indes en gros nicht sind, könnte es aus Sicht der Beitragszahler (die den Innovationsfonds mit vielen Millionen finanzieren, die somit der Versorgung entzogen sind) durchaus besser sein, Projekte, die hinterher sowieso nicht umsetzbar sind oder im real existierenden System nicht lebensfähig sein werden, erst gar nicht zu fördern. So lange – so ein Experte – Bänke im G-BA Sitz und Stimme haben und sagen können, „dem stimmen wir sowieso nicht zu“, sei der Verbleib solcher, selbst bester Projekte „Verschwendung von Versichertengeldern“.
Auch das führt wieder zu der Frage: Sind die 30% der geförderten Projekte wirklich die
besten oder nicht?
Die Antwort: Man weiß es leider nicht. Genau aus diesem Grunde ist einerseits eine Veröffentlichung der geförderten Projekte (mitsamt der Entscheidungshistorie) in einer online-gestützten Wissens-Datenbank sinnvoll. Dann könnten Querverbindungen hergestellt und Auffälligkeiten entdeckt werden, was in den bisher vom Innovationsausschuss ins Netz gestellten PDFs kaum möglich ist, weil die Auswertung zu aufwendig ist: Die  PDFs kann man zwar durchscrollen, um nacheinander je eine Seite pro Projekt durchzulesen, mehr aber auch nicht. Andererseits müssen aber auch die abgelehnten Projektanträge veröffentlicht werden, damit die Öffentlichkeit, vor allem die Community
aus Wissenschaft, Versorgern, Politikern und auch Patientenvertretern erfährt, welche Projekte und Ideen mit womöglich hohem Verbesserungspotenzial Gefahr laufen, zu verschwinden – wenn sie denn nicht bei anderen Drittmittelgebern erneut eingereicht werden.
Was durchaus ein Grund für eine gewollte Nichtveröffentlichung sein kann; oder wie ein befragter Wissenschaftler meint: „Es geht hier  letztlich um Ideen, die nicht geschützt sind.“ Nebenbei: Anfangs war es beim Innovationsfonds ein absolutes „No go“, ein schon einmal anderswo abgelehntes Projekt zu fördern. Das aber wurde im Laufe der Zeit nicht mehr so eng gesehen.
Zu diskutieren ist, welche Angaben im Zuge des § 6 des Informationsgesetzes möglich, vor allem aber nötig und sinnvoll sind. Dazu sollten der Name und die Institution des Einreichenden, die Konsortialpartner sowie vor allem eine möglichst fundierte, standardisierte Synopse gehören. Einer der befragten Experten aus der Wissenschaft geht sogar so weit, dass er nicht nur fordert, künftig die „Summe aller Anträge an den Innovationsfonds zu nutzen“, sondern auch rät, als eine grundlegende Förderauflage aufzunehmen, dass „ein auf 400 Worte begrenztes Abstract z.B. mit zwei relevanten Literaturzitaten abzufassen ist, das alle notwendigen Informationen enthält, die für eine belastbare Bewertung erforderlich sind“. Die Bewertung sollte dann aber nicht ein Expertenbeirat, sondern eine Art Peer Review leisten, indem eine möglichst große Zahl von erfahrenen Gutachtern eingebunden ist.
Wie könnten die erforderlichen Informationen aussehen? Ein interviewter Wissenschaftler entwirft dazu ein Zwei-Stufen-Modell:
1. Politische Dimension: Trägt bei positivem Abschluss das Projekt potenziell zur Verbesserung der Versorgung bei? Die mögliche Verbesserung ist im Klartext und allgemeinverständlich darzustellen.
2. Wissenschaftliche Dimension: Kann die formulierte Fragestellung mit den beschriebenen Methoden überhaupt beantwortet werden? Wenn ja, wie?

Beide Antworten müssen – so der Wissenschaftler – mit wenigen stichhaltigen Argumenten begründet und dann vom Projektverantwortlichen und dem schon benannten Evaluator unterschrieben werden. Der Grund: Es wird bei den Neuen Versorgungsformen anzunehmen sein, dass die erste Frage auf der Basis von Versorgungskompetenz, die zweite Frage hingegen nur auf der Basis einer sehr profunden wissenschaftlichen, speziell methodisch-exakten Kompetenz beantwortet werden kann.
Ein anderer zu diesem Themenkreis befragter Wissenschaftler verweist an dieser Stelle auf Erfahrungen, die er mit EU-Innovationsprojekten gemacht hat. Er erwähnt unter anderem das „European Cooperation in Science and Technology“-Network (9), ein internationales Multi-Stakeholder-Fördernetz-
werk, an dem viele politische Entscheidungsträger, die Zivilgesellschaft, aber auch der Privatsektor beteiligt sind. Die Mitglieder haben die gemeinsame, internationale und gemeinnützige COST-Vereinigung gegründet, die Ausschreibungen zu den verschiedensten Themen (auch zu Gesundheit) veröffentlicht, wobei es allerdings nicht nur möglich ist, sehr strukturierte Einzelanträge zu stellen, sondern auch an laufenden Aktionen teilzunehmen, die dann über den normalen Finanzierungszeitraum von vier Jahren weiter ausgebaut werden können. Wichtig ist, dass die Angebotsbewertung auf Förderfähigkeit nicht nur auf Vorschlag durch den wissenschaftlichen Ausschuss mit anschließender Antragsgenehmigung durch das CSO (Committee of Senior Officials) erfolgt, sondern auch durch unabhängige externe Experten und Ad-hoc-Überprüfungsgremien anhand folgender Bewertungskriterien bewertet werden: Science & Technology Excellence (Höchstzahl 15 Punkte), Networking Excellence (15 Punkte),
Impact (15 Punkte) und Implementation (5 Punkte). Dabei soll das Verfahren zur Einreichung, Bewertung, Auswahl und Genehmigung von Vorschlägen „vollständig wissenschafts- und technologiegetrieben“ sein und einen „einfachen, transparenten und wettbewerbsfähigen“ Bewertungs- und Auswahlprozess für Vorschläge gewährleisten, der die Bottom-Up-, offenen und integrativen Prinzipien von COST widerspiegelt. Also all das, was dem Innovationsfonds derzeitiger Ausprägung noch fehlt.
Natürlich haben auch solche Peer-Review-Verfahren neben Vorteilen auch Schattenseiten. Man bräuchte – so ein weiterer befragter Wissenschaftler – zum einem einen „transparenten Bewertungsprozess, der auch Vetternwirtschaft aufdeckt“, vor allem aber ein „alternatives System“, in dem nicht nur Versorgungsforscher mitwirken, sondern vor allem auch aktiv an der Realversorgung Beteiligte sowie erfahrene Kassenmanager ihre Perspektiven einbringen.
Womit man aber annähernd wieder bei der Besetzung des Innovationsausschusses samt seines Expertenbeirats angelangt ist. Eine ergänzende Möglichkeit wäre es jedoch, das bisherige Entscheidungssystem durch eine Art Schiedsstelle zu ergänzen, wie es zum Beispiel beim AMNOG (10) der Fall ist. Dazu müsste allerdings das Gesetz entsprechend verändert werden. Das müsste dann das BMG  in die Wege zu leiten.
Die Governance
Ein weiteres, durch die Hidden Agenda-Thematik schon offenkundig gewordenes Problem, ist die im § 92b SGB V geregelte Installation des Innovationsausschusses beim G-BA. Ob das tatsächlich ein Problem ist, kommt auf die Sichtweise an.
Natürlich wäre es möglich, den Innovationsausschuss dem direkten Zugriff des G-BA zu entziehen, wozu allerdings zuerst § 92b entsprechend geändert werden müsste, der schon in der Überschrift eine eindeutige Zuordnung trifft, weil er betitelt ist mit: „Durchführung der Förderung von neuen Versorgungsformen zur Weiterentwicklung der Versorgung und von Versorgungsforschung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss.“ Hätte der Gesetzgeber eine andere Zuordnung des Innovationsfonds und seines -ausschusses gewollt, wäre der Paragraf anders überschrieben worden. Nun hätte eine Zuordnung des Innovationsausschusses in einem – sagen wir – unabhängigeren  Umfeld als dem des G-BA seine Vorteile; aber eben auch Nachteile.
Der im Jahr 2004 mit § 22 des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) errichtete Gemeinsame Bundesausschuss übernahm die Aufgaben seiner Vorgängerorganisationen und damit die der früheren Bundesausschüsse der Ärzte/Zahnärzte und Krankenkassen, sowie des Ausschusses Krankenhaus sowie des Koordinierungsausschusses (11). Seitdem bestimmt das, „was der Versorgung nutzt und schadet“ (O-Ton eines befragten Experten) der G-BA. Solange das so ist – wobei sich im aktuell diskutierten TSVG durchaus eine erste Änderung abzeichnet – muss nach Worten des Experten „die nachgeordnete Logik des Innovationsausschusses der grundsätzlichen Logik des G-BA, die sich aus dem entsprechenden Gesetz ergibt, folgen“.
Wer sich diese mögliche Sichtweise zu eigen macht, muss auch zugestehen, dass damit auch die Wissenschaft, die sich um Gelder
aus dem Innovationsfonds bemüht, diese Logik ebenfalls anerkennen muss. Der Experte: „Wenn der Innovationsfonds dazu dienen soll, die Versichertengelder adäquat auszugeben, statt ein Projekt zu bezahlen, das einen hübschen Impact-Artikel ergibt, ist er beim G-BA genau richtig aufgehängt.“ Dann aber ist der gesamte Innovationsfonds samt Ausschuss und Beirat und all seinen Förderprojekten eine Art „Zuarbeit für den G-BA“, die sich damit in die gleiche Reihung wie das IQWiG oder das IQTIG stellt. Der Experte: „Genau darum darf man hier nicht nur den Goldstandard im Kopf haben, sondern muss sachgerecht die Projekte abblocken, die am Ende sowieso keine Chance haben werden.“
Zudem wird der, der dieser Logik – Innovationsausschuss als Vorbereitungseinheit für Entscheidungen des G-BA – zustimmt, zwangsläufig zu anderen Ergebnissen kommen als jener, der sich der Wissenschaftslogik verbunden fühlt.
Wer als Wissenschaftler freier forschen will, müsste eine Förderung beim BMBF beantragen, wobei klar ist: Jede auf Anwendung zielende Forschungsförderung wird ein Kompromiss sein. „Ein Wissenschaftler, der sich darauf einlässt, per Förderung einem System zuzuarbeiten, das nicht der Wahrheit, sondern dem Geld und der Macht verpflichtet ist, muss sich damit abfinden, dass Entscheidungen anders laufen“, sagt dazu ein interviewter Experte.
Fazit
Wenn die Politik ihr Fördervorgehen wirk-
lich verändern möchte, wäre zu überlegen, an welchen Hauptzielen (das wäre ein großes, weiteres Thema, nämlich das der „Versorgungsziele“ (12)) sich ein Innovationsfonds 2.0 orientieren sollte und wie er neu aufgestellt werden könnte. Das heißt: Er sollte nicht nur transparenter und effizienter werden, sondern für veröffentlichte Ideen vielleicht sogar eine Art Gebrauchsmusterschutz bieten.
Vor allem muss definiert werden, wie eine vernünftige Adaption des Innovationsfonds außerhalb des G-BA – falls das überhaupt sinnvoll ist – vorstellbar sein könnte.
Wie man dieses sehr hoch gesteckte Ziel jenseits eines Innovationsfonds erreichen kann, ist völlig offen. Der Bundesverband Managed Care e.V. stellte dazu Mitte 2018 ausführliche „Handlungsempfehlungen zur Weiterentwicklung des Innovationsfonds“ (13) vor. Unter anderem wird darin angerissen, dass teilweise Projektanträge aufgrund formaler Kriterien trotz sinnvoller Konzepte scheitern würden. Der BMC fordert daher, dass „bei abgelehnten Projekten das Votum des Expertenbeirats mitgeteilt werden sollte, ebenso wie eine Information darüber, ob die Wiedereinreichung des Konzeptes empfohlen wird.
Das Deutsche Netzwerk Versorgungsfor-schung (DNVF) e.V. konkretisiert den BMC-Vorschlag, in dem es fordert (14), dass sich der „Input des Innovationsausschusses sich noch mehr auf Fragen der Praxisrelevanz und eine Einschätzung des Translationspotenzials fokussieren“ sollte. Gleichzeitig sollte nach Ansicht des DNVF die Rolle des Expertenbeirates gestärkt  und die „Letztentscheidung über die Förderung von beiden Gremien gemeinsam und gleichberechtigt getroffen“ werden. Hierbei müssten Interessenkonflikte offen gelegt, zudem sollten die Entscheidungskriterien transparent sein und die Voten – negative wie positive – veröffentlicht werden.
Handlungsempfehlungen gab es im November 2018 auch von der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin e.V. (15). Die DG Telemed regt darin unter anderem an, dass schon bei der Prüfung der Förderanträge eine frühzeitige Plausibilisierung der Projekte in Bezug auf ihr Strukturpotenzial und die Tragfähigkeit für eine spätere Übernahme in das GKV-Versorgungssystem erfolgen sollte. Zudem sollte sich ein künftiger Schwerpunkt der Ausschreibung auf die dringend notwendige Förderung sektorübergreifender und interdisziplinärer zukunftsfähiger Versorgungsstrukturen beziehen, die Mittel des Innovationsfonds entsprechend verstärkt (ca. 2/3), strukturbezogen statt themenbezogen eingesetzt werden, um so Lösungsansätze für die vorhandenen strukturellen Versorgungsdefizite zu generieren.
Die Techniker Krankenkasse favorisiert hingegen einen ganz anderen Weg. Die TK schlug schon Anfang 2018 vor, statt der Wiederauflage des Innovationsfonds ein
„Innovationsbudget“ (16) zur Förderung neuer Versorgungsformen in Form eines Mindestausgabenwerts von 2,50 Euro je Versichertem zu etablieren. Der Grund: Erste Erfahrungen hätten gezeigt, dass die bisherige „Form der zentralistischen Förderung“ nicht in der Lage sei, den Innovationsstau nachhaltig aufzulösen. Das Problem dabei wird sein, dass bei diesem Ansatz jede Kasse machen kann, was sie will und von Transparenz, auch von der Förderung von Versorgungsforschung, keine Rede mehr sein wird.
Dabei hatte noch Prof. Dr. Eberhard Wille, bis Ende 2018 stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, auf dem G-BA-Kongress „Zwei Jahre Innovationsfonds“ (1) den budgetären Part für die Versorgungsforschung „für unproblematisch“ und „sicher gerechtfertigt“ gehalten, weil Deutschland in diesem Bereich gegenüber anderen Ländern hinterherhinken würde. Beim weit größeren Budget für die Neuen Versorgungsformen sollte seiner Meinung nach jedoch die Frage gestellt werden, ob man diese über den Innovationsfonds finanzieren müsse, oder ob man das nicht auch anders machen könne. Denn, so Prof. Wille, das Geld könnte man ja auch für die Versorgung oder in der Pflege einsetzen, so gesehen sei die „Legitimation hierfür schon beachtlich“.
Umso mehr muss man bereit sein, darüber nachzudenken, wie man das der Versorgung entzogene und für die pure Hoffnung auf mehr Evidenz eingesetzte Budget so einsetzen kann, dass es dem großen Ziel der Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland am nächsten kommt. Oder wie es Prof. Hecken – der persönlich sehr viel dafür getan hat, dass der Innovationsfonds überhaupt umgesetzt und für sonstige G-BA-Verhältnisse recht schnell ans Laufen gekommen ist – auf dem Kongress „Zwei Jahre Innovationsfonds“ im August 2018 formuliert hatte: Das große Fiasko wäre, wenn wir „in drei Jahren blauäugig in der Gegend stehen und 1,2 Milliarden in die Luft geschossen haben“. Wenn das das Ergebnis wäre, würde er sich schämen, denn – so Hecken weiter – „das kann nicht unser Ziel sein“.
von:
Peter Stegmaier und
Prof. Dr. Reinhold Roski

 

Zitationshinweis: Stegmaier, P., Roski, R.: „Die Innovation des Innovationsfonds“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (01/19), S. 29-35, doi: 10.24945/MVF.01.19.1866-0533.2119

Ausgabe 01 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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