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Gute Daten – gute Besserung

04.04.2019 14:00
In der Digitalisierung stecken große Chancen, um Patienten besser zu versorgen, das zeigen mehrere Modellprojekte. Um erfolgreich zu sein, benötigen Ärzte nicht nur große, hochwertige Datenpools und Algorithmen. Datenschutz und Datensicherheit spielen eine wichtige Rolle, sollten aber nicht zum Feigenblatt werden, um alles Neue abzulehnen.

http://doi.org/10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2145

>> Digital Health kombiniert die Expertise aus unterschiedlichen Bereichen. Zum interdisziplinären Ansatz gehören neben der Gesundheit und der Gesundheitsversorgung vor allem unser Lebensstil sowie gesellschaftliche Aspekte. Innovative Tools werten auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) Daten aus, um die Versorgung von Patienten zu verbessern. Jetzt geht es von der Forschung zur Anwendung. Dass Digital Health in letzter Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat, liegt an unterschiedlichen Entwicklungen.


Wissenschaft und Technik machen Fortschritte

Im Bereich der Lebenswissenschaften machen „Omics“-Technologien große Fortschritte. Sie beschreiben den Zustand von Zellen u.a. auf Basis ihrer genetischen Ausstattung (Genomics), ihrer genetischen Aktivität (Transcritomics), ihres Proteinmusters (Proteomics) sowie ihres Stoffwechsels (Metabolomics). Zeitliche Veränderungen dieses „molekularen Fingerabdrucks“ stehen nicht nur mit Erkrankungen in Verbindung, sondern signalisieren, ob eine Pharmakotherapie erfolgreich ist.
Während diverse „Omics“ im Labor bestimmt werden, haben Anwender viele Möglichkeiten in ihrer Hand. In Deutschland haben sich Smartphones flächendeckend verbreitet. Und es geht weiter: Zwischen 2013 und 2017 verdoppelte sich die Zahl an Health Apps alle zwei Jahre 1. Zwar stehen bei vielen dieser kleinen Anwendungen Wellness-Themen im Fokus. Es gibt aber auch immer mehr Apps zu medizinischen Themen. Hier geht es beispielsweise um einzelne Krankheitsbilder, um Verhütung oder um den Kinderwunsch sowie um Aspekte zur Pharmakotherapie bis hin zu eigenständigen digitalen Therapien. Apps erzeugen Daten, das ist eine Grundvor-aussetzung für nachgelagerte Analysen im KI-Bereich.
An vielen Stellen lassen sich Daten per Cloud übertragen, um sie etwa mit anderen Patienten zu teilen. Und exponentiell steigende Rechnerleistungen bzw. neue Speichertechnologien machen den Umfang mit großen Datenmengen, sprich Big Data, deutlich leichter. Im letzten Schritt setzen KI-Algorithmen an, um aus Daten wertvolle Informationen zu gewinnen (Abb. 1). Was in der Theorie einfach klingt, geht mit zahlreichen, teils erheblichen Anstrengungen im Versorgungsalltag einher.

Datenschutz: Gefragt ist das richtige Maß

Aus Sicht von IQVIA bietet Digital Health große Chancen, falls alle Hürden beseitigt werden. Um einen praktischen Mehrwert im Versorgungsalltag zu schaffen, sollten zeitnah elektronische Patientenakten (ePA) eingeführt werden. Bleibt als Herausforderung, die europäische Datenschutzgrundverordnung in deutsches Recht zu überführen. Wir brauchen ein hohes Schutzniveau, das steht außer Frage. Pannen wie beim National Health Service – britische Patientendaten waren online abrufbar – zerstören das Vertrauen in moderne Technologien. Andererseits benötigen Institutionen und Unternehmen Zugriff auf pseudo-anonymisierte Daten – das sollte niemand verhindern. Um derart komplexe technische Standards zu entwickeln, ist die Expertise aller Beteiligten gefragt, nicht nur Standesvertreter sollten sich zu Wort melden. Ansonsten bleibt als Gefahr, dass Vorgaben am Markt vorbei entwickelt werden.

Health Professionals in die Pflicht nehmen

Mit Technik allein ist es aber nicht getan. Denn nur hochwertige, sorgfältig gepflegte elektronische Patientenakten bieten im medizinischen Alltag einen Mehrwert. Das bedeutet, wir müssen Ärzte und Apotheker in die Pflicht nehmen, alle ePA sorgfältig zu pflegen. Über monetäre Anreize sollte nachgedacht werden, denn der Aufwand von Health Professionals ist gerade bei komplexen Erkrankungen hoch. Ärzte und Apotheker müssen Behandlungsergebnisse in quantifizierbarer Form, etwa als Laborparameter, mit Therapien in Verbindung setzen. Stehen ausreichend viele Daten zur Verfügung, sind evidenzbasierte Aussagen zum Nutzen für Patienten mittelfristig denkbar.

Neue Perspektiven in der Diagnostik

Derzeit spielen Big Data und Werkzeuge aus der künstlichen Intelligenz noch keine große Rolle. Allerdings zeigen wissenschaftliche Studien, welche Potenziale sich darin verbergen – quasi als Blick in die Zukunft. Einige Beispiele zur Diagnostik und Therapie:
Gliome sind aggressive Tumore des Gehirns, pro Jahr erkranken etwa 4.500 Menschen neu. Onkologen kombinieren chirurgische Eingriffe mit Chemo- und Strahlentherapien. Häufig treten Rezidive auf. Umso wichtiger ist, den Krankheitsverlauf engmaschig per MRT zu kontrollieren, vor allem beim Start einer neuen Therapie. Doch bei der Beurteilung von Bilddaten machen Ärzte Fehler. Deshalb haben Heidelberger Wissenschaftler ein System entwickelt, um Bilddaten standardisiert und automatisch zu analysieren 2. Basis ist eine Datenbank mit knapp 500 Referenzaufnahmen. Algorithmen wurden damit trainiert, um Hirntumore zu erkennen und zu vermessen.
Auch bei aggressiven Melanomen zeigt KI, welchen Platz die künstliche Intelligenz vielleicht schon bald einnehmen könnte 3. Dermatologen gingen nach dem gleichen Prinzip vor. Sie legten eine Datenbank mit Aufnahmen von 2.169 Melanomen an. In allen Fällen hatten Pathologen den Befund bestätigt. Hinzu kamen Bilder von 18.566 harmlosen Muttermalen. Anschließend traten 157 Haut-ärzte gegen den Algorithmus an. Von ihnen erzielten sieben bessere Ergebnisse als die Software, 14 waren in etwa gleich gut, aber 136 schnitten schlechter ab. Zwar ging es in der Studie nur darum, Melanome von gutartigen Veränderungen zu unterscheiden. Mit größeren Datenbanken als Basis des maschinellen Lernens sind den diagnostischen Möglichkeiten kaum Grenzen gesetzt.

Neue Perspektiven in der Therapie

Bei der Behandlung von Patienten zeigt KI ebenfalls ihre Stärken. Ärzte am Boston Children‘s Hospital haben einen autonomen Roboterkatheter entwickelt und in Tierexperimenten getestet 4. Ihr Tool arbeitet mit Druck- und Berührungssensoren. Per KI-Tool gelang die Navigation bis zur Aortenklappe. Die Software zur Steuerung wurde zuvor mit 2.000 Aufnahmen vom Inneren des Herzens gefüttert.
KI eröffnet auch für die Pharmakotherapie neue Perspektiven. IQVIA zeigte dies am Beispiel von Patienten mit Osteoarthritis. Rund 2.500 Hausärzte bzw. Allgemeinmediziner beteiligten sich. Alle anonymisierten Daten wurden mit Tools aus dem Bereich des maschinellen Lernens ausgewertet. Das Ziel von Forschern war, Aussagen über die Krankheitsprogression und über mögliche Komorbiditäten zu treffen: Welche Patienten sollten möglichst früh therapiert werden, um den weiteren Verlauf zu bremsen, und wer profitiert vom „watchful waiting“? Wer benötigt schwache und wer starke Analgetika? Und wer sollte auf weitere Krankheiten untersucht sowie behandelt werden? Per KI gelang in der Studie eine „Triage“ von Patienten unter Angabe ihres Chronifizierungs- bzw. Progressionsrisikos (Abb. 2).

Ärzte von Routineaufgaben entlasten

Bleibt als Fazit: Digital Health wird die Versorgung von Patienten revolutionieren – unter der Voraussetzung, dass methodisch hochwertige, umfangreiche Datenpools („Big Data“) vorliegen. Mit Tools aus der künstlichen Intelligenz finden Wissenschaftler Trends in Daten, um Diagnostik und Therapie zu verbessern. Ärzte verlieren deshalb noch lange nicht ihren Beruf. Sie werden aber von Aufgaben entlastet und können mehr Zeit für die Patienten aufwenden.


von: Dr. Frank Wartenberg, President Central Europe von IQVIA

Zitationshinweis:

Wartenberg, F.: „Gute Daten – gute Besserung“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (03/19), S. 43-44, doi: 10.24945/MVF.03.19.1866-0533.2145

Ausgabe 03 / 2019

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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