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OA MVF 06/12: "Kommentar: Datentransparenz ohne Regionaldaten?"

23.09.2012 15:00
Susanne Ozegowski ist Doktorandin an der TU Berlin im Fachgebiet Management im Gesundheitswesen. Zusammen mit Prof. Dr. Leonie Sundmacher hat sie eine Petition zur Einbeziehung eines Regionalmerkmals in den Datensatz, der gemäß der Datentransparenz-Regelung für die Versorgungsforschung zugänglich wird, beim Deutschen Bundestag eingereicht.

>> „Datentransparenz“ ist das Stichwort, das der Versorgungsforschung ab dem nächsten Jahr die Möglichkeit geben soll, auf einen umfassenden Pool an Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung zuzugreifen. Der Titel „Datentransparenz“ findet sich zwar bereits seit dem GKV-Modernisierungsgesetz von 2004 im SGB V. Dessen Umsetzung war jedoch an die Selbstverwaltung delegiert, was letztlich aufgrund ungeklärter Finanzierungs- und Durchführungsfragen zu einem jahrelangen Stillstand in diesem Bereich führte.

Erst mit der Verabschiedung des Versorgungsstrukturgesetzes Ende 2011 kam neuer Schwung in die Thematik, indem das BMG das Heft des Handelns hier in die eigene Hand nahm. Demnach werden die Routinedaten, die zur Berechnung des Morbi-RSA verwendet werden, zukünftig auch beim DIMDI für Zwecke der Versorgungsforschung zur Verfügung stehen. Dieser Datensatz umfasst neben demographischen Merkmalen die Abrechnungsdaten aus der ambulanten und stationären Versorgung sowie die Arzneimittelverordnungen für die ca. 70 Mio. gesetzlich Versicherten in Deutschland. Die Angaben werden nicht nur als Querschnitt verfügbar sein, sondern im Laufe der Jahre auch als Längsschnitt aufbereitet. Damit werden mit diesen sektor-übergreifenden Daten unter anderem Analysen zum Versorgungsgeschehen, zur Arzneimittelepidemiologie sowie zur (Inanspruchnahme-basierten) Krankheitsinzidenz und -prävalenz möglich.

Doch auch diese neue Datentransparenz-Regelung ist nicht ohne Makel: So fehlen etliche relevante Informationen, die zwar Teil der GKV-Routinedaten, jedoch aufgrund ihrer Irrelevanz für die Berechnung des Morbi-RSA nicht Bestandteil des Datensatzes sind. Darunter fällt z.B. der Leistungserbringerbezug, der für Untersuchungen zur Versorgungsqualität einzelner Leistungserbringer entscheidend ist.

Eine ganz erhebliche Einschränkung möglicher Erkenntnisse aus diesen Daten ist darüber hinaus das Fehlen des Regionalmerkmals, also der Möglichkeit, jeden Versicherten seinem Wohnort (z.B. anhand des Kreis-Kennzeichens) zuzuordnen. Während dieses Merkmal bisher in den Morbi-RSA-Daten erfasst ist, wird es zukünftig - und demnach parallel zur Umsetzung der Datentransparenz-Regelung - entfallen. Grund dafür ist die auslaufende Konvergenzregelung, die eine zu starke finanzielle Umverteilungswirkung des Morbi-RSA zwischen den Bundesländern verhindern sollte (§ 272 SGB V). Diese bildete bisher die Gesetzesgrundlage für die Erfassung des Regionalmerkmals.

Welche Konsequenzen hat der Wegfall des Regionalmerkmals? Drei Aspekte stechen hier besonders hervor:

Erstens wird dadurch eine Berücksichtigung regionaler Strukturindikatoren verhindert. Wir wissen jedoch, dass die Anbieterstrukturen, wie z.B. die Ärzte- und Krankenhaus-Bettendichte, einen erheblichen Einfluss auf die Quantität (und möglicherweise auch Qualität?) der Versorgung haben. Zum anderen ist auch eine Einbeziehung nachfrageseitiger Determinanten sinnvoll: Da die verfügbaren Routinedaten keinen Rückschluss auf den sozioökonomischen Status des einzelnen Versicherten zulassen, ließe sich mittels des Regionalkennzeichens zumindest die soziale Lage des Kreises anhand von Arbeitslosen- oder Einkommensstatistiken berücksichtigen.

Zweitens werden regional begrenzte Analysen mit den Daten unmöglich. Um Versorgungsstrukturen jedoch bedarfsgerecht und wohnortnah zu planen, sind zunächst einmal Daten erforderlich, die den kleinräumigen Status Quo der Gesundheit und Versorgung beschreiben und damit eine Approximation des Versorgungsbedarfs erlauben.

Ein dritter Aspekt sind regional vergleichende Analysen. Dieser Forschungszweig steckt in Deutschland - im Gegensatz zu einigen unserer Nachbarländer - noch in den Kinderschuhen. Sofern wir das sozialrechtlich verankerte Ziel der „bedarfsgerechten und gleichmäßigen“ (§ 70 Abs. 1 SGB V) Versorgung jedoch ernst nehmen, darf es keine systematisch schlechtere Versorgung in einzelnen Regionen gegenüber anderen geben. Forschungsergebnisse, die auf erhebliche regionale Unterschiede beispielsweise in der Krebsmortalität (Sundmacher 2011) oder der Qualität der Pharmakotherapie älterer Menschen (Riens und Mangiapane 2012) hinweisen, bedürfen daher dringend weiterer Ursachenforschung.

Vor diesem Hintergrund ist kürzlich eine Petition entstanden, die den Deutschen Bundestag zu einer Beibehaltung des Regionalmerkmals in den Daten auffordert. Zu deren Mitzeichnern zählen zahlreiche Wissenschaftler aus Versorgungsforschung, Gesundheitswissenschaften und Gesundheitsökonomie, darunter vier Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, die Geschäftsführer des WIdO und ZI sowie einige Vertreter aus der Patientenvertretung. Unterstützt wird die Petition vom Deutschen Netzwerk Versorgungsforschung, der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie und der Gesellschaft für Arzneimittelanwendungsforschung und Arzneimittelepidemiologie. Mit dem Ende der Mitzeichnungsfrist für die Petition am 3.12. liegt das Heft des Handelns jetzt wieder beim Bundestag. Wenn man Versorgungsforschung jedoch nicht als Selbstzweck begreift, sondern als eine Voraussetzung, um die Versorgungsqualität im Sinne der Patientinnen und Patienten zu verbessern, dann sollte die Entscheidung des Bundestages eigentlich klar sein. <<

PDF siehe Archiv, MVF 06/12

 

Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Ozegowski, S.,: „Kommentar: Datentransparenz ohne Regionaldaten?“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 06/12, S. 30)

Ausgabe 06 / 2012

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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