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„Enge Kooperation erforderlich“

08.10.2014 13:44
Das Medikationsmanagement hat eine längere Vorgeschichte, die Mitte der 1990er Jahre begann und mit so unterschiedlichen Themen wie Pharmazeutische Betreuung, arzneimittelbezogene Probleme, Pharmakovigilanz, Disease-Management-Programme, Arzneimitteldokumentation und elektronische Gesundheitskarte verbunden war. Kernaufgabe aller dieser Bemühungen war immer der Umgang der Ärzte, Apotheker und Patienten mit dem Arzneimittel und die Minimierung der damit verbundenen Risiken.

In Anlehnung an verfügbare Definitionen in der Apothekenbetriebsordnung von 2013 bzw. einem ABDA-Grundsatzpapier von 2014 kann Medikationsmanagement folgendermaßen definiert werden:
„Ein Medikationsmanagement umfasst die wiederholte, computergestützte und systematische Analyse der Gesamtmedikation, einschließlich der Selbstmedikation, auf Basis eines Medikationsprofils zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit und Therapietreue durch Identifizierung und Lösung von arzneimittelbezogenen Problemen in enger Kooperation zwischen Arzt, Apotheker und Patient.“

Die Therapie begleitende Dokumentation der von einem Patienten angewendeten rezeptpflichtigen und rezeptfreien Arzneimittel bildet die unverzichtbare Voraussetzung dafür, dass unter Nutzung spezieller Softwareprogramme verschiedene Checks zur Gewährleistung der Arzneimitteltherapiesicherheit durchgeführt werden können. Dazu gehören die Prüfung auf Interaktionen und auf unbeabsichtigte Doppelverordnungen ebenso wie die gezielte Nachfrage bei etwaigen unerwünschten Arzneimittelwirkungen, auf die z.B. Probleme mit der Compliance hindeuten können. Derartige Softwareprogramme für eine strukturierte Patientenbetreuung sind für die Apotheken bereits entwickelt, können aber prinzipiell auch in Arztpraxen eingesetzt werden. Umfassende Prüfungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit sind aber nur möglich, wenn ein Zugang zu den dokumentierten Arzneimitteldaten gegeben ist. Die Prüfergebnisse bedürfen jedoch immer der fachlichen Bewertung durch Ärzte und Apotheker, idealerweise in enger Kooperation.

Die Komplexität der Arzneimitteltherapie ist vor allem bei chronisch kranken und damit oft auch älteren Menschen eine häufige Ursache für arzneimittelbedingte Schäden, die zumindest teilweise vermieden werden können. Medikationshistorien als die gebräuchlichste Form der individuellen Arzneimitteldokumentation dienen in diesem Zusammenhang zur Überprüfung der Medikation eines konkreten Patienten auf so genannte arzneimittelbezogene Probleme wie zum Beispiel Interaktionen, Compliance-Probleme, unerwünschte Arzneimittelwirkungen und andere. Ein sekundäres Anliegen ist die Datenaufbereitung für eine epidemiologisch abgesicherte Evidenz, die das Wissen über Nutzen und Risiken von Arzneimitteln, einschließlich der ökonomischen Konsequenzen, erhöht und in künftige Therapieentscheidungen einfließen kann. Unter Berücksichtigung allgemein akzeptierter Prinzipien des Datenschutzes sollte die Arzneimitteldokumentation deshalb als unverzichtbarer Bestandteil eines umfassenden Betreuungsprogramms aufgefasst werden, mit dessen Hilfe die individuelle Arzneimitteltherapie durch die Reduzierung möglicher Risiken optimiert wird.
Ganz allgemein lassen sich die Nutzeffekte einer systematischen Arzneimitteldokumentation im Rahmen von strukturierten Betreuungskonzepten folgendermaßen definieren:
1. Datenarchivierung bzw. Erinnerungs-
funktion
2. Kontinuierliches Monitoring der Therapie
3. Beurteilung der Anwendungsdauer und der Compliance
4. Identifikation von arzneimittelbezogenen Problemen
5. Optimierung der individuellen Therapie
6. Epidemiologischer Erkenntnisgewinn

Die rezeptpflichtigen und rezeptfreien Arzneimittel werden in einer chronologischen Arzneimittelhistorie für jeden einzelnen Patienten bei Verordnung durch den Arzt oder bei der Abgabe in der Apotheke gespeichert. Daraus wird rechnergestützt das Medikationsprofil entwickelt, das in einem Fenster alle gleichzeitig angewendeten Arzneimittel nach Indikation sortiert über einen Zeitraum von sechs Monaten ausweist. Durch automatisierte Checks der ständig fortgeschriebenen Arzneimittelhistorie mit Hilfe spezieller Softwareprogramme können Risiken der Arzneimitteltherapie vorausschauend erkannt und vermieden, aber auch Kosten gespart werden.
Voraussetzung zur Durchführung dieser Checks ist wiederum, dass zuvor die so genannten Stammdaten eines Patienten erfasst wurden, mit denen die Verordnungs- bzw. Anwendungsdaten laufend abgeglichen werden. Dazu zählen neben Alter und Geschlecht und gegebenenfalls Gewicht auch Allergien oder Unverträglichkeiten, die bei früheren Therapien aufgetreten sind. Die gegenwärtig verfügbare Software erlaubt dabei die routinemäßige Prüfung folgender Fragestellungen, die gleichzeitig auch die wichtigsten Hauptgruppen von arzneimittelbezogenen Problemen darstellen:
• absolute und relative Kontraindikationen
• dokumentierte Arzneimittel- und Nahrungsmittelallergien,
• Arzneimittel- und Nahrungsmittelinter-
aktionen,
• Dosierung (EDM/TDM und ggf. Dosisanpassung),
• Applikationszeiten und – intervalle sowie
• etwaige unerwartete Neuverordnungen, die auch Ausdruck einer versehentlichen Fehlverordnung sein können.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine möglichst vollständige Erfassung der Arzneimitteldaten zwar wünschenswert ist, die einzelnen Prüffunktionen aber auch bei unvollständigen Datenbeständen ausgeführt werden können. Der potenzielle Nutzen der Arzneimitteldokumentation wird dann aber nicht in vollem Umfang ausgeschöpft.

Medikationsprofile


Medikationsprofile und die für die regelmässigen Checks notwendige Software kann in der ambulanten wie in der klinischen Betreuung von Patienten eingesetzt werden. Besonders chronische Patienten weisen häufig ein komplexes Medikationsregime auf, das nicht nur eine bereits bestehende, sondern auch die neu angesetzte Therapie berücksichtigen muss. Bei therapeutisch induzierten Veränderungen der bisherigen Medikation können sowohl neue unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten als auch Interaktionen den angestrebten Therapieerfolg in Frage stellen. Dies gilt grundsätzlich für alle Patienten, die mit Arzneimitteln behandelt werden, ist aber für Hochrisikopatienten, z.B. Patienten mit Niereninsuffizienz, Immunsuppression, Krebserkrankungen, neurologischen Erkrankungen oder auch unter einer Intensivtherapie von besonderer Bedeutung. Die rechtzeitige Erkennung der genannten arzneimittelbezogenen Probleme und die Einleitung einer im Behandlungsteam abgestimmten Intervention können dazu beitragen, fatale Folgen für den Patienten zu vermeiden und eventuelle Folgekosten einer arzneimittelbedingten Morbidität zu reduzieren.

Ein klinisch-pharmazeutisches Arzneimittelmonitoring auf der Station eines Krankenhauses basiert ebenfalls auf den Informationen, die über die Medikationshistorie erfasst und im Medikationsprofil graphisch dargestellt werden. Dabei ist es hilfreich, wenn bei der Krankenhausaufnahme die zur Zeit angewendeten Arzneimittel bereits in dokumentierter Form vorliegen. Das Monitoring beinhaltet hier zusätzlich zur Erfassung und Dokumentation der Patientenstammdaten, die für die individuelle Arzneimitteltherapie relevant sind, auch klinische Laborparameter. Medikationsveränderungen nach Krankenhausentlassung sind ebenfalls zu dokumentieren, so dass die Weiterbehandlung sicher gewährleistet wird. Sofern im Anschluss kein kontinuierliches Monitoring erfolgt, sollten die dokumentierten Arzneimittelanwendungen in regelmäßigen Abständen im Sinne eines Medication Reviews überprüft und nicht mehr erforderliche Arzneimittel in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten abgesetzt werden. Diese regelmäßige Medikationsüberprüfung hat sich vor allem auch in Altenpflegeheimen als zweckmäßig erwiesen.

Medikationsplan

Ein einheitlicher Medikationsplan wurde erstmals in Zusammenhang mit dem „Zukunftskonzept Arzneimittelversorgung“ der ABDA und KBV (sog. ABDA-KBV-Modell, jetzt ARMIN) vorgeschlagen. Dieses gemeinsam von Ärzten und Apothekern getragene Konzept sieht u. a. eine gemeinsame Betreuung eines chronisch Kranken mit 5 oder mehr Arzneimitteln gleichzeitig für mindestens ein Jahr durch einen Arzt und einen Apotheker vor. Auch in der hausärztlichen Leitlinie „Multimedikation“ wird das Führen eines aktuellen Medikamentenplanes vorgeschlagen, was wiederum voraussetzt, dass Medikationspläne im Therapieverlauf aktualisiert werden können. Dies sollte aber aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht handschriftlich im ausgedruckten Medikationsplan erfolgen. Deshalb wurde in den Medikationsplan ein Barcode integriert, der alle wichtigen Datenfelder des Medikationsplanes enthält und mit handelsüblichen Scannern ausgelesen und nach erfolgter Aktualisierung am Rechner wieder zusammen mit dem neuen Medikationsplan ausgedruckt werden kann.

Der Medikationsplan dient demnach in erster Linie der Information des Patienten, aber auch des behandelnden Arztes bzw. des betreuenden Apothekers, sofern diese keine eigene Arzneimitteldokumentation für den Patienten angelegt haben. In den Rechner eingelesen stellt der einheitliche Medikationsplan die Basisdaten für eine strukturierte Medikationsanalyse zur Verfügung, indem die einzelnen in die Software integrierten Prüfschritte (auf Interaktionen, Kontraindikationen, Doppelverordnungen, Dosierung usw.) darauf zugreifen und die Ergebnisse auf dem Bildschirm präsentieren.

Ergebnisse und bisherige Erfahrungen

Die auch kostenrelevante Nutzenkomponenten einer Arzneimitteldokumentation ergeben sich aus folgenden Einzelschritten, bei denen grundsätzlich auf die gespeicherte Medikationshistorie zurückgegriffen werden muss:
• Berücksichtigung bestehender Kontraindikationen (Allergien, Begleiterkrankungen etc.)
• Vermeidung versehentlicher Fehlverordnungen durch Abgleich mit zuvor verordneten Arzneimitteln, einschließlich unzweckmäßiger Stärken und Darreichungsformen,
• Erkennung und Ausschluss von Doppelverordnungen,
• Einschätzung der Patientencompliance über die Abstände der Rezepteinlösung,
• Überprüfung der individuellen Dosierung (soweit angegeben oder vom Patienten erfragbar),
• Erkennung und Vermeidung schwerwiegender Interaktionen mit klinischen Konsequenzen,
• Aufnahme von AM-Unverträglichkeiten, die zum Medikationsabbruch geführt haben, als  Patientenmerkmal, um eine künftige Wiederverordnung zu vermeiden.

Ein Zusatznutzen, der aus einer Aggregation und pharmakoepidemiologischen Verwertung der dokumentierten Arzneimitteldaten zu erwarten ist, kann hingegen nur dann realisiert werden, wenn eine anonymisierte Zusammenführung relevanter Daten unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen gewährleistet ist.

Da vor dem Hintergrund immer knapper bemessener Mittel im Gesundheitswesen und der Einführung von DRG in Krankenhäusern wirtschaftliche Steuerungsprozesse auch im stationären Bereich an Bedeutung gewinnen, kann die pharmakoökonomische Auswertung der Medikationsprofile einen Beitrag zu einem pharmakoökonomischen Controlling leisten. Folgende Aussagen können grundsätzlich getroffen werden, sofern entsprechende Auswertungsroutine in der Software hinterlegt sind:
• Ermittlung der Arzneimittelkosten pro Patient und Tag,
• Ermittlung der Arzneimittelkosten pro Behandlungsphase,
• Ermittlung des Arzneimitteleinsatzes pro Station oder Klinik.

Diskussion und Ausblick

Die prinzipielle Verfügbarkeit von Medikationsprofilen und einer Software, die im Hintergrund einen kontinuierlichen Abgleich der Daten für die Checks zur Arzneimitteltherapiesicherheit erlaubt, garantiert noch nicht, dass diese Checks regelmäßig durchgeführt und die Therapie auch tatsächlich optimiert wird. Dazu sind nicht nur eine enge Kooperation von Arzt, Apotheker und Patient erforderlich, sondern auch zielführende gesundheitspolitische Entscheidungen. In diesem Zusammenhang muss an erster Stelle die bislang nicht erfüllte Forderung nach einer verpflichtenden Dokumentation der angewendeten Arzneimittel auf der elektronischen Gesundheitskarte genannt werden.

Haupthinderungsgrund ist in erster Linie der Hinweis der Ärzte auf einen unzureichenden Datenschutz für die betroffenen Patienten bei gleichzeitiger Ablehnung der Transparenz, die eine Dokumentation aller verordneten und angewendeten Arzneimittel mit sich bringt. Solange ein genereller Zugriff auf die Arzneimitteldaten nicht gegeben ist, müsste deshalb überlegt werden, ob Medikationsprofile Ärzten oder auch anderen Apotheken zur Verfügung gestellt werden können, sei es als Papierausdruck oder in elektronischer Form. Wichtig für die weitere Diskussion ist aber vor allem, dass Arzneimitteldokumentation und Medikationsmanagement ihren Zweck nicht erfüllen, wenn sie nicht in entsprechende softwaregestützte Betreuungsprogramme eingebunden ist, die dem üblichen Betreuungs- und Beratungsablauf so gut wie möglich angepasst sein müssen, um praktikabel zu sein.

Ein systematisch durchgeführtes Medikationsmanagement kann Kosten sparen, indem es den Therapieerfolg verbessert und vor allem Schäden vom Patienten abwendet, die durch unsachgemäße Anwendung entstehen können. Die Kosteneinsparung zu beziffern ist schwierig, weil vermiedene Kosten nur mit Hilfe von Modellrechnungen grob geschätzt werden können. Summen von einer bis drei Milliarden Euro pro Jahr werden zwar genannt, können aber nicht belegt werden.

Dennoch muss immer wieder betont werden, dass IT-gestützte Prozesse nicht nur Probleme lösen, sondern auch neue Probleme schaffen können, so dass immer eine begleitende Risikoforschung und Qualitätssicherung erfolgen muss. Auch die Patienten lassen sich nicht entsprechend der vorgesehenen Abläufe standardisieren: Die Mehrheit wird wahrscheinlich mit Hilfe geeigneter Softwareprogramme gut und auch besser als bisher betreut werden können. Gleichzeitig muss allen Beteiligten genügend Spielraum gelassen werden, um auf individuelle Besonderheiten reagieren zu können bzw. über individuelle Sonderfälle zu neuen Erkenntnissen zu gelangen.

von:
Prof. Dr. Marion Schaefer
Institut für Klinische Pharmakologie, Charité Universitätsmedizin Berlin
(gekürzter Vortrag, gehalten bei der Arbeitsgemeinschaft GESUNDHEIT 65 PLUS am 21.8.2014, Berlin)

Ausgabe 05 / 2014

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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