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Ohne Rezept gegen den Schmerz

31.03.2015 14:00
Die Einnahme nicht rezeptpflichtiger Analgetika ermöglicht Patienten, akute Schmerzen ohne eine ärztliche Verordnung direkt selbst zu behandeln. Bei einem verantwortungsvollen Umgang und sinnvollen Einsatz leisten die schmerzdämpfenden Wirkstoffe aus der Apotheke deshalb einen wichtigen Beitrag zur Versorgung bei leichten bis mittelstarken Schmerzen unterschiedlicher Genese. Jedoch ist bei der Selbstmedikation mit Analgetika ohne ärztliche Überwachung die Gefahr einer Fehlanwendung erhöht. Die Analyse der letzten Jahre zeigt einen eher konservativen Markt, in dem sich dennoch einige Trends abzeichnen.

http://doi.org/10.24945/MVF.01.16.1866-0533.1939

>> Schmerz ist kein einheitliches Phänomen sondern eine individuelle Erfahrung, die neben dem körperlichen Leiden auch von emotionalen Faktoren abhängt. Die ethische Dimension der Linderung von Schmerzen zeigt sich darin, dass die Organisation Human Rights Watch den Anspruch auf eine Schmerztherapie zu den Menschenrechten zählt. Somit hat auch die Sicherstellung der Therapie akuter und chronischer Schmerzen im Gesundheitswesen eine hohe Priorität (vgl. Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. – DSG). Tatsächlich schränken Schmerzen in jeglicher Form die Lebensqualität und Belastbarkeit der Patienten erheblich ein. In den Statistiken der GKV zeigt sich die gesellschaftliche Bedeutung: Muskel- und Skeletterkrankungen, die in der Regel mit Schmerzen verbunden sind, sowie Atemwegsinfekte und psychische Erkrankungen sind die häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeitstage.


Geregelte Versorgung bei Schmerz

Als Leitfaden in der Anwendung von Schmerzmitteln hat die World Health Organisation (WHO) ein Stufenschema definiert. Danach umfasst die erste Gruppe Nicht-Opioidanalgetika, die leichte bis mittelstarke Schmerzen am Ort des Entstehens bekämpfen. Sie haben neben der schmerzstillenden auch eine stark entzündungshemmende Wirkung und können teilweise ohne Rezept bezogen werden (vgl. Deutsche Schmerzgesellschaft e.V.). Die Opioidanalgetika zur Therapie mittelstarker bis starker Schmerzen unterliegen aufgrund ihres hohen Suchtpotentials der Rezeptpflicht und gehören zum Teil zur Gruppe der Betäubungsmittel. Sie werden vornehmlich zur stationären Behandlung starker Schmerzen sowie zur ärztlich überwachten Langzeittherapie chronischer Schmerzen eingesetzt und von der GKV erstattet. Abbildung 1 zeigt in einem abgewandelten WHO-Stufenschema auch den Markt der rezeptfreien Analgetika und ordnet deren Bedeutung in der Schmerztherapie entsprechend ein. Zum Bereich der Selbstmedikation bei Schmerzen gehört auch die Wirkstoffgruppe der Triptane zur Behandlung der Migräne.
Seit das GKV-Modernisierungsgesetz am ersten Januar 2004 in Kraft trat, sind alle frei verkäuflichen Medikamente grundsätzlich vom Patienten zu zahlen – Kinder bis zum 12. Lebensjahr und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen sind von dieser Regelung ausgenommen. Für einige dieser OTC-Präparate hat der Gemeinsame Bundesausschuss jedoch Ausnahmen zum geltenden Verordnungsausschluss festgelegt. Darunter fällt beispielsweise niedrig dosierte Acetylsalicylsäure, die als Therapiestandard zur Nachsorge von Herzinfarkt und Schlaganfall sowie nach arteriellen Eingriffen gilt. In Konsequenz werden diese eigentlich rezeptfreien Arzneimittel im Rahmen einer Leitlinientherapie vom behandelnden Arzt verordnet und von der GKV erstattet und fallen somit nicht in den Bereich der Selbstmedikation.


Selbstmedikation bei Schmerzen: eine Herausforderung?

Bei akuten Schmerzen im Alltag ist der direkte Zugang zu rezeptfreien Analgetika ein wichtiger Baustein im Bereich der ambulanten Versorgung. Beispielsweise ist bei einem Migräneanfall eine möglichst schnelle Behandlung erforderlich, die durch eine rezeptfreie Abgabe der Arzneimittel in der Apotheke gewährleistet wird. Zudem überlegen viele Patienten, ob ein Arztbesuch notwendig ist, oder ob sich geringfügige Erkrankungen mit rezeptfreien Medikamenten aus der Apotheke behandeln lassen. Entscheidet sich ein Patient dafür, ohne vorherige Arztkonsultation rezeptfreie Arzneimittel anzuwenden, werden auf der einen Seite ein potentieller Arztbesuch und die damit verbundenen Ausgaben eingespart. Auf der anderen Seite kann eine fehlerhafte Selbstmedikation gesundheitliche Folgen für den Patienten und damit verbundene höhere Ausgaben für die Krankenkassen mit sich bringen. Insbesondere die unkontrollierte Einnahme von freiverkäuflichen Arzneimitteln parallel zur ärztlich verordneten Medikation kann laut Berufsverband Deutscher Internisten e.V. Arzneimittelwirkungen aufheben bzw. gefährliche Wechselwirkungen hervorrufen. Hier stellt die Eigenverantwortung des Patienten neben der Chance des einfachen und direkten Zugangs auch eine Herausforderung dar. Prof. Kay Brune von der DSG meint dazu: „Im Großen und Ganzen gehen die Deutschen mit Schmerzmitteln verantwortungsvoll um. Trotzdem gibt es Missbrauch.“ Eine Aufklärung in der Apotheke, wie Schmerzmittel wirken und wann ihr Einsatz sinnvoll ist, wirkt dem entgegen. Darüber hinaus gibt es heute auch im Internet fundierte Informationsangebote. Beispielsweise stellt die AWMF neben medizinischen Leitlinien auch Patienteninformationen über die Schmerztherapie zur Verfügung.
OTC-Arzneimittel stellen einen wichtigen Teil der ambulanten Gesundheitsversorgung dar. 57 Prozent der verkauften Packungen in der Offizin-Apotheke entfallen auf Arzneimittel, die ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen. Präparate zur Schmerztherapie sind in diesem Bereich mit 10,6 Prozent der abgegebenen Packungen der absatzstärkste OTC-Markt. Dennoch ist der Verkauf rezeptfreier Analgetika in der Offizin und im Versandhandel in den letzten Jahren insgesamt leicht rückläufig - eine Entwicklung, die insbesondere vor dem Hintergrund der starken Grippewellen in 2013 und 2015 auffällig ist. Während im Jahr 2009 noch 110 Millionen Packungen rezeptfreier Schmerzmittel abgegeben wurden, waren es in 2015 mit knapp 101 Millionen gut acht Prozent weniger (Quelle: Apo Fusion, INSIGHT Health).


Viele Präparate, wenige Wirkstoffe



Die rezeptfreien Analgetika unterteilen sich in Wirkstoffe zur Behandlung von Schmerzen mit unterschiedlicher Ursache und Substanzen zur Migräne-Therapie. Darunter fällt der Bereich der Selbstmedikation, der sich auf Arzneimittel beschränkt, die ohne Vorlage einer ärztlichen Verordnung abgegeben werden. Patienten erhalten die Präparate zur Selbstmedikation in Deutschland entweder in der Offizin oder über den Versandhandel. Im Vergleich zu mehr als 220 rezeptfreien Präparaten zahlreicher Hersteller, gibt es nur wenige schmerzdämpfende Wirkstoffe. Mit 92 Prozent der abgegebenen Packungen bestimmen die Wirkstoffe Ibuprofen, Acetylsalicylsäure und Paracetamol den Markt. Auf rezeptfreies Diclofenac in oraler Form entfallen bisher drei Prozent des Absatzes, da sich diese Präparate vergleichsweise kurz auf dem Markt befinden. Rezeptfreie Migränemittel spielen mit vier Prozent der abgegebenen Packungen ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Als absatzrelevanter Wirkstoff im Bereich der Selbstmedikation bei Migräne ist Naratriptan zu nennen (Quelle: Apo Fusion, INSIGHT Health).


Größere Packungen im Trend?

Bei der Abgabe von Analgetika ohne Rezept zeigt sich, dass zu über 71 Prozent mittlere Packungsgrößen mit einer Anzahl von 20 Stück abgegeben werden. Insgesamt war die Abgabe dieser Packungsgröße in Offizin und Versandhandelsapotheken in den vergangenen drei Jahren mit 4,9 Prozent leicht rückläufig. Hingegen verzeichnen Packungen mit einem Inhalt von 50 Stück, die im Gesamtabsatz mit einem Anteil von lediglich 4,7 Prozent weiterhin eine geringe Rolle spielen, ein Wachstum von 35 Prozent (Quelle: Apo Fusion, INSIGHT Health). Der leichte Trend zu größeren Packungen zeigt sich vor allem im Versandhandel. Während Apotheken die unmittelbare Versorgung bei akuten Schmerzen sicherstellen, wird im Versandhandel meist vorsorglich und kostengünstiger bestellt. Im Jahr 2012 wurde darüber diskutiert, ob eine Begrenzung der Packungsgröße bei freiverkäuflichen Schmerzmitteln die Patienten vor einer ärztlich unkontrollierten und übermäßig langen Einnahme schützt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Patientensicherheit leisten kann.
Das Bundesministerium für Gesundheit folgte der Empfehlung des Sachverständigen-Ausschuss im 13. Entwurf zur Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) in diesem Punkt jedoch nicht. Allerdings gibt es seit April 2009 eine teilweise Rezeptpflicht für Paracetamol, wenn in einer Packung mehr als 10 Gramm des Wirkstoffes enthalten sind. Erwachsene sollten pro Tag nicht mehr als vier Gramm einnehmen, wobei die zulässige Dosis von Alter und Körpergewicht abhängt (vgl. ABDA, 2009).
Wie zuvor beschrieben, dominieren die Wirkstoffe Ibuprofen, Acetylsalicylsäure und Paracetamol den Markt der rezeptfreien Analgetika. Bei nahezu gleichbleibenden Absätzen im gesamten Marktsegment steigt der Verkauf rezeptfreier Analgetika, die als Hauptwirkstoff Ibuprofen enthalten, stetig an. Es zeigt sich eine deutliche Verschiebung der Wirkstoffanteile: Anstelle von Arzneimitteln, die Paracetamol und Acetylsalicylsäure enthalten, werden deutlich mehr Ibuprofen-haltige Präparate über den Großhandel abgegeben (vgl. Abb. 2). Im Jahr 2015 wurden mit knapp 54 Millionen Packungen mehr als doppelt so viele Packungen des Wirkstoffs Ibuprofen verkauft als noch vor 10 Jahren. Damit einhergehend verringerte sich die Abgabe von Präparaten mit Acetylsalicylsäure und Paracetamol im 10-Jahreszeitraum um fast 50 Prozent. Die Verschiebung der Wirkstoffanteile könnte auch eine Folge von Medienberichten zu Risikoprofilen und Nebenwirkungen der unterschiedlichen Analgetika sein. Gemäß einer Studie der europäischen Arzneimittelbehörde EMA ist in einem von sechs Fällen des akuten Leberversagens eine Überdosis Paracetamol der Auslöser (vgl. Pharmazeutische Zeitung, 2015). Ibuprofen hingegen gilt als Wirkstoff mit gutem Nebenwirkungsprofil, der im Vergleich zur Acetylsalicylsäure auch keinen Einfluss auf die Blutgerinnung hat und bei Kindern das Mittel der Wahl darstellt.


Fazit

Die Selbstmedikation mit Schmerzmitteln stagnierte in den vergangenen Jahren bei einem Absatzvolumen von gut 100 Millionen Packungen – im Durchschnitt also mehr als eine Packung pro Einwohner. Neben einem leichten Trend zur Abgabe größerer Packungen ist bei den rezeptfreien Analgetika eine deutliche Verschiebung der Wirkstoffanteile zu sehen. Während die Absätze von Präparaten mit Paracetamol zurückgehen, gewinnen Analgetika mit Ibuprofen deutlich Marktanteile. Patienten entscheiden sich also bewusst für einen bestimmten schmerzdämpfenden Wirkstoff. Ob diese Entscheidung auf guter Information beruht oder möglicherweise einem Trend im Arzneimittelmarkt folgt, ist nicht eindeutig zu klären.
Um die Möglichkeiten der Selbstmedikation für Patienten zu verbessern, müssen die Risiken insbesondere in Bezug auf die unkontrollierte Einnahme reduziert werden. An dieser Stelle kann beispielsweise der behandelnde Arzt im Gespräch aktiv die Selbstmedikation erfragen, diese dokumentieren und den Patienten auf mögliche Wechselwirkungen aufmerksam machen. Ebenso können Aufklärungsprogramme, eine fachlich fundierte Beratung in der Apotheke und die Erstellung eines individuellen Medikationsplans dazu beitragen, dass die ambulante Schmerzversorgung der Patienten durch einen verantwortungsbewussten Umgang mit rezeptfreien Analgetika weiter verbessert wird. <<

Autorinnen:

Kathrin Pieloth,
Jana Heiler,
Esther Zöllner*

Zitationshinweis: doi: 10.24945/MVF.01.16.1866-0533.1939

Ausgabe 01 / 2016

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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