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Wenn DMP alleine nicht ausreichen

30.03.2016 14:00
Der Gesetzgeber hat die Grundlagen im Jahr 2002 für das Disease-Management-Programme (DMP) Diabetes mellitus Typ 2 und im Jahr 2004 für das DMP Diabetes mellitus Typ 1 geschaffen, an denen mittlerweile über zwei Millionen Diabetiker teilnehmen. Mit der Einführung der DMP vor inzwischen mehr als zehn Jahren hat sich die ambulante Versorgung für Diabetiker insgesamt verbessert. Doch um wie viel? Bei welchen Parametern? Wie bei Komplikationsraten, insbesondere der des Diabetischen Fußsyndroms?

>> Bisher hat das Bundesversicherungsamt (BVA), als Hüter der DMP-Datenschätze, die risikoadjustierten Evaluationsberichte für Diabetes lediglich für die Zulassungsjahre 2003 bis 2008 ausgewertet und kommt zu dem an sich positiven Ergebnis, dass „der Vergleich der Mittelwerte zu den einzelnen medizinischen Zielwerten mit den Ergebnissen aus epidemiologischen Studien zeigt, dass die bei den DMP-Teilnehmern erhobenen Mittelwerte bei einigen Zielwerten deutlich positivere Werte aufweisen.“ Weitergehende Einzelanalysen gibt es jedoch nur dazu, dass bei vielen DMP im Zeitablauf insbesondere eine Verbesserung der Blutdruckkontrolle und des Raucherstatus (Aufgabe des Tabakkonsums) zu beobachten sind und die Blutzuckereinstellung (gemessen über den HbA1c-Wert) bei einer Vielzahl von DMP gehalten oder verbessert werden kann. Daraus zieht dann das BVA den Schluss, dass „aus den vorliegenden medizinischen Daten die Hypothese abgeleitet werden kann, dass die an DMP teilnehmenden Versicherten von der Teilnahme deutlich profitieren“. Indes: Die Komplikationsraten der Mikroangiopathie, insbesondere die des Diabetischen Fußsyndroms (DFS), blieben über die Jahre nahezu gleich hoch. Und das, obwohl in allen DMP Regelungen integriert sind, welche die diabetesbedingten Folgeerkrankungen unter anderem frühzeitig erkennen und behandeln sollen.
So schreibt Dr. Holger Lawall, Leiter der Abteilung Angiologie/Diabetologie des Gefäßzentrums Asklepios Westklinikum in Hamburg, in seinem Fachbeitrag zum „Diabetischen Fuß-Syndrom“ im „Deutschen Gesundheitsbericht Diabetes 2015“, dass das Diabetische Fußsyndrom als eine der Hauptkomplikationen von Patienten mit Diabetes mellitus gilt. Die bedeutendsten Konsequenzen diabetischer Fußprobleme seien dabei Ulzerationen sowie kleine (Minor-) und hohe (Major-) Amputationen. Die Zahlen sind nicht nur deshalb alarmierend, weil laut Lawall in der Bundesrepublik schätzungsweise 250.000 Menschen mit Diabetes eine Fußläsion und etwa 1 Mio. Diabetiker ein erhöhtes Risiko haben, eine Fußverletzung zu erleiden, sondern weil die Neuerkrankungsrate „unverändert bei 2,2 bis 5,9 Prozent liegt“, die Prävalenz mit steigendem Lebensalter – bei den über 50-jährigen Patienten zwischen 5 und 10 Prozent – zunimmt und immerhin jeder vierte Diabetiker im Laufe seines Lebens ein DFS erleidet. So ist es auch kein Wunder, dass das Risiko einer Majoramputation für Diabetiker nach wie vor um das circa 20fache erhöht ist und etwa 16.000 pro Jahr beträgt, wobei davon laut Lawall über 70 Prozent bei Menschen mit Diabetes mellitus durchgeführt werden. Das verursacht nicht nur einen oft unnötigen Lebensqualitätsverlust, sondern auch Kosten: Mit rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr (Hauner 2006) wird ein Großteil der Ausgaben, den die GKV in Deutschland für Diabetes ausgeben muss, alleine durch das DFS verursacht.
Die real existente Fehlversorgung hat dazu geführt, dass sich vor allem Ärzte zusammengefunden haben, um dagegen anzukämpfen. Und das mit Erfolg. Eine Art Leuchtturmprojekt ist dabei das Netzwerk „Diabetischer Fuß Köln und Umgebung“, das bereits seit 2002 eine recht bemerkenswerte Entwicklung zurückgelegt hat, indem es sich von einem Zusammenschluss zur Koordinierung der kollegialen Zusammenarbeit bis hin zum funktionierenden Netzwerk mit teilnehmenden Ärzten und Krankenhäusern entwickelt hat, das inzwischen auch von Krankenkassen unterstützt wird. 2012 bekam es dafür den Gesundheitspreis des Landes NRW „aufgrund des besonders innovativen Charakters für die Weiterentwicklung des nordrhein-westfälischen Gesundheitswesens“, wie es
NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens formuliert hatte.
Und das anscheinend mit Erfolg, wie im „Qualitätsbericht 2009“ des Kölner Netzwerks nachzulesen ist: In der durch das Netzwerk angebotenen Integrierten Versorgung, in das 75 % aller im Netzwerk versorgten Patienten eingeschrieben sind, wurden von 2005 bis 2008 bei 82 von 3.277 Behandlungen (2,5 %) eine Amputation oberhalb des Knöchels durchgeführt. Das gesetzte Ziel, Majoramputationen bei weniger als 5 % der Patienten mit akutem DFS durchzuführen, sei damit er- reicht worden.
Derartige Fußnetze gibt es seitdem auch in einigen anderen Regionen wie Düsseldorf, Essen, sowie in den Bereichen Eu-
regio und Nordrhein. Hier gibt es alleine fünf Netzwerke, in denen seit 2003 rund 10.000 Menschen behandelt wurden, wobei nach Aussagen des Kölner Qualitätsberichtes „die Notwendigkeit von Beinamputationen um drei Viertel gesenkt“ werden konnte. Ähnliche Ansätze dieser Art gibt es aber auch in München, Hamburg und Berlin.
Dennoch unterscheiden sich diese Netze, vor allem in der Verbindlichkeit, was die therapeutische Vorgehensweise, aber auch was die Qualitätsstandards anbelangt, denen sich die teilnehmenden Ärzte verpflichtet haben.
Genau hier macht Köln, aber auch Berlin einen Unterschied, wobei letzteres sowieso ein Sonderfall ist. Denn bei dem Versorgungsprogramm zur Behandlung des Diabetischen Fußsyndroms in der Bundeshauptstadt handelt es sich in erster Linie nicht allein um die Initiative von Ärzten, sondern auch die einer Krankenkasse: der AOK Nordost. Hier fiel Petra Riesner, bei der AOK Nordost – Die Gesundheitskasse als Teamleiterin zuständig im Bereich Versorgung - Strategie, Programme und Verträge, bei der Prüfung der Zielerreichungsgrade der Qualitätssicherungsziele im DMP Diabetes auf, dass:
• die im DMP festgelegte, einmal jährliche Fußuntersuchung nicht lückenlos bei allen Diabetikern durchgeführt wurde,
• bei der Feststellung eines auffälligen Fußstatus nicht immer eine Überweisung oder eine zu späte Überweisung zu einem Spezialisten erfolgte,
• die Mit- und Weiterbehandlung des auffälligen Fußes erst stark zeitverzögert eingeleitet wurde,
• es zu Amputationen kam, obwohl in den DMP-Dokumentationen stetig nur niedrige Schweregrade (wie z.B. Wagner/Armstrong O A) angegeben waren.

Im Rahmen einer detaillierteren Bewertung der DMP-Dokumentation wurde dann in einer weiteren Versorgungsanalyse gezielt die von den behandelnden Ärzten gemachten Angaben zu den Schweregraden des DFS (Wagner-Grade und Armstrong-Klassifikationen) betrachtet. Dabei zeigte sich in den Daten der AOK Nordost für die Region Berlin das folgende Bild für Typ 1-Diabetiker:
• bei rund 14,5% der Versicherten wurde ein DFS dokumentiert, davon lag bei 8,2% der Versicherten ein Schweregrad über Wagner 0 vor.
Und für Typ 2-Diabetiker:
• bei rund 9,5% der Versicherten wurde ein DFS dokumentiert, davon lag bei 16,3% der Versicherten ein Schweregrad über Wagner 0 vor.

Hier wurde dringender Handlungsbedarf gesehen. Denn eigentliches Ziel der DMP ist es, diabetesbedingte Folgeerkrankungen frühzeitig erkennen und behandeln zu können. Bezogen auf die diabetische Begleiterkrankung DFS bedeutet das, dass mindestens einmal jährlich bei allen Diabetikern eine Fußinspektion und -untersuchung durchgeführt werden soll. Liegt bereits ein erhöhtes Risiko vor, sind diese ärztlichen Kontrolluntersuchungen in kürzeren Intervallen durchzuführen, denn die frühzeitige Einleitung einer multiprofessionellen Behandlung kann schwere Endstadien der Folgeerkrankungen des Diabetes positiv beeinflussen.
Diese erkannten Auffälligkeiten in den Datenauswertungen nahm zum damaligen Zeitpunkt die AOK Nordost zum Anlass, mittels einer stichprobenhaften Befragung bei den betroffenen Versicherten zu überprüfen. Hierzu wurden 105 Versicherte, bei denen ein „auffälliger Fußstatus“ erhoben wurde, telefonisch befragt. Dabei fiel beispielsweise auf, dass circa 83% der Versicherten in der hausärztlichen Versorgung keine Überweisung zur fachärztlichen Mitbehandlung hatten. Positiv konnte hingegen festgestellt werden, dass rund 89 % der angerufenen Diabetiker angaben, dass sie immerhin ihre Füße eigenständig oder mit Hilfe von Angehörigen kontrollieren und auf Auffälligkeiten untersuchen würden.
Die Ergebnisse der Bewertung der DMP-Dokumentation sowie der Patientenbefragung nahm die AOK Nordost bereits 2011 zum Anlass, für die Region Berlin mit Unterstützung und Beratung von Dr. Dirk Hochlehnert vom Kölner Fußnetz sowie in Zusammenarbeit mit einigen engagierten Berliner DiabetologInnen einen Versorgungsvertrag zur Behandlung von Patienten mit DFS zu entwickeln und zu schließen, weil im Fazit festgestellt werden musste, dass anscheinend – so Riesner – „die Regelungen im DMP alleine nicht ausreichen, um die Versorgungssituation optimieren zu können“.
Seitdem können nun Versicherte der AOK Nordost, die im DMP Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 eingeschrieben sind und an einem DFS leiden bzw. bei denen ein auffälliger Fußstatus festgestellt wurde, an diesem Versorgungsvertrag teilnehmen. Wenn sie denn von einem Arzt behandelt werden, der an diesem Vertrag auch teilnimmt.
Das tun aber aktuell nur 21 Ärzte, die sich zum großen Teil bereits vor Ausschreibung des Vertrags in einem Fußnetz Berlin-Brandenburg engagiert hatten und die Gelegenheit gerne ergriffen. Doch nach dieser Startphase stellt sich die Akquise weiterer Ärzte eher schwierig dar, denn an diesem Versorgungsvertrag können nur Ärzte mit dem Schwerpunkt Diabetologie sowie einer Spezialisierung auf die Behandlung diabetischer Füße teilnehmen: Eine besondere Teilnahmevoraussetzung dafür ist die Zertifizierung als ambulante Fußbehandlungseinrichtung durch die AG Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), die mit Kosten und weiteren Investitionen verbunden ist. Zudem verteilen sich diese 21 teilnehmenden Ärzte vorwiegend auf den Westteil Berlins. In einigen Berliner Bezirken konnte noch kein einziger diabetologisch tätiger Arzt gefunden werden, der die Fortbildung und Zertifizierung, aber auch den Invest für das zusätzlich nötige Personal (wie etwa eine Wundschwester) auf sich nehmen wollte.
Das liegt sicher auch daran, dass der Vertrag anfangs befristet war. Doch seit Mitte 2013 läuft dieser unbefristet, auch wenn er seitens der Kasse jederzeit kündbar ist, bspw. auch, wenn die Versorgung gemäß des Vertrages qualitativ und wirtschaftlich den Erwartungen nicht gerecht werden kann.
So sieht es aber gewiss nicht aus. Denn aus internen, aber bisher noch unveröffentlichten Evaluationen geht hervor, dass für den Zeitraum des zweiten Vertragsjahres (und damit des Beobachtungsjahres 2013) die so behandelten 1.400 Versicherten ein 16prozentig geringeres Risiko haben amputiert zu werden. Das heißt jenseits aller Lebensqualitätsparameter auch, dass entsprechend ebenso das Risiko einer Hospitalisierungsrate um 16% sinkt. Doch im Umkehrschluss ebenso, dass die „normal“ in anderen DMP aller anderen Krankenkassen in Berlin behandelten Versicherten nach wie vor mehr Füße ganz oder auch nur teilweise amputiert werden als eigentlich nötig. „Wie geht die Krankenkassenlandschaft mit einer derartigen Er-
kenntnis um“, fragt sich darum ganz zu recht Harald Möhlmann, Geschäftsführer Versorgungsmanagement der AOK Nordost. Und er setzt dazu: „Eigentlich müsste ein solcher Versorgungsvertrag überregional, vielleicht sogar bundesweit ausgerollt werden, sobald wir die Zahlen veröffentlicht haben und sie als evident anerkannt werden. <<

Ausgabe 02 / 2016

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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