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Ein Verkehrsunfall oder ein Paradigmenwechsel?

03.04.2017 14:00
„Befinden wir uns in einem gemeinsamen Experiment?“ Das fragte Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann (Uni Greifswald) Ministerialdirektor Dr. Ulrich Orlowski (BMG), der im Eingangsreferat des 7. MVF-Fachkongresses „Regionale Versorgung“ das Thema „Regionalität - Das neue Paradigma der Versorgung“ erläuterte. Auf dem MVF-Kongress, auf dem Analyse, Modellprojekte und die Translation im Mittelpunkt standen, wurde schnell klar, dass Regionalität schon bei dem Thema beginnt, wie es definiert wird und jenseits jedweder Qualitätsdimension der Erfolg aller Projekte vor allem davon abhängig sein wird, wie schnell die Finanzierungsfrage geklärt ist.

>> „Wir beginnen mit den Innovationsfondsprojekten und währenddessen überlegen wir, wie die Überführung in die Regelversorgung gelingen kann“, fragte Hoffmann den Ministerialdirektor im BMG nach seinem Vortrag, in dem jener die Unterschiede bei schon heute möglichen regionalen Versorgungsfinanzierungen an zwei Beispielen erläuterte. Dessen Antwort: „Wenn man das negativ sehen will, kann man das so sehen.“ Doch seien die Innovationsfondsprojekte der innovativen Versorgungsformen keine l‘art pour l‘art-Projekte, sondern hätten, um die Überführung in die Regelversorgung zu ermöglichen, von vorne herein, „die Kassen als die zentralen Player“ dabei, doch sei auch die RSA-Weiterentwicklung in der nächsten Legislaturperiode und die schon laufende Vorbereitung der dazu gehörigen Diskussion nötig, um die finanziellen Rahmenbedingungen definieren zu können. Denn die meisten dieser Projekte – so zumindest seine Erfahrung mit Integrationversorgungsprojekten – trügen sich nicht alleine aus Qualitäts- und Effizienzreserven, das hätte „komischerweise irgendwie noch nie geklappt“.
Darum werde man Rahmenbedingungen generieren müssen, die – wenn es um die Überführung in die Regelversorgung geht – besonders auf die Finanzierungsfrage eine Antwort geben werden müssen. Doch das werde ein schwieriger Prozess, denn zunächst einmal werden die Rahmenbedingungen zentral über den Risikostrukturausgleich finanziert. Zentral heißt aber auch: gleich! Da aber die Verhältnisse und infrastrukturellen Rahmenbedingungen in allen Regionen – sowohl innerhalb als auch außerhalb der Systeme – höchst unterschiedlich seien, stelle sich die große Frage, inwieweit es überhaupt gelingen werde, Versorgungsprojekte innerhalb von Regionen zu organisieren.
Um zwei bisher schon etablierte, aber recht unterschiedliche Finanzierungsansätze zu verdeutlichen, wählte Orlowski als eine Antipode die stationäre Psychiatrie, die nach dem PsychVVG eine bundeseinheitliche Leistungsbeschreibung mit empirisch basierten, einheitlichen Tagespauschalen (PEPP) aufweist; bei der jedoch bereits die Umwandlung des Preissystems in ein Budgetsystem (kein Landesbasisfallwert, sondern hausindividueller Entgeltwert) vollzogen worden sei, um strukturelle und regionale Besonderheiten bei den Verhandlungen des Gesamtbetrages auf Hausebene zu berücksichtigen. Damit würden die regionalen strukturellen Besonderheiten im PsychVVG als Faktor der Bildung des Gesamtbeitrags zum berücksichtigt, womit das Vergütungssystem stärker regional ausgerichtet sei.
Bei der Somatik hingegen gäbe es eine bundeseinheitliche Leistungsbeschreibung mit empirisch basiertem Preissystem (DRG) und landeseinheitlichen Preisen. Der Landesbasisfallwert (keine Preisverhandlungen, nur Menge auf Hausebene) werde nun einmal auf Landesebene vereinbart, was keine prospektive Berücksichtigung der Kostenentwicklung oder eine Berücksichtigung unterschiedlicher Kostenniveaus zulasse. Nun laufe die aktuelle Forderung der DKG auf eine zusätzliche (erhöhende) Berücksichtigung unterschiedlicher regionaler Effekte auf Hausebene hinaus, was zur Frage führe: Wie gehen wir mit regionalen Niveaueffekten auf Haus- bzw. Landesebene in der Somatik um?
Als dritte Antipode brachte Orlowski die ambulante vertragsärztliche Versorgung ins Spiel, die zwar eine bundeseinheitliche Leistungsbeschreibung mit bundeseinheitlichem Bewertungssystem als Bewertungsrelation (EBM), aber eine regionale Euro-Gebührenordnung (auf Grundlage des bundeseinheitlichen Orientierungswertes) und eine morbiditätsorientierte Gesamtvergütung aufweise. Hier könnten die Verhandlungspartner Zu- und Abschläge bei regionalen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur sowie für besonders förderungsfähige Leistungserbringer insbesondere  in unterversorgten Gebieten vereinbaren.
Doch sei die Berücksichtigung regionaler Besonderheiten hier nur fakultativ. „Ist das ein Verkehrsunfall oder ein Paradigmenwechsel?“, fragte Orlowski, die  Diskussion stehe zwar an, gehöre aber nicht hierher. Wohl aber der Fakt, dass seit der Scharfschaltung des Versorgungsstrukturgesetzes die Vertragspartner die erwähnten Zu- und Abschläge auf regionalen Ebene zu den Gesamtvergütungen für besondere Kosten und Versorgungsstrukturen sowie für besondere besoldungsfähige Leistungserbringer insbesondere in unterversorgten Gebieten  vereinbaren können. Orlowski: „Sie können das vereinbaren“, doch sei dieser Akt weder schiedsstellenfähig, noch könne er erzwungen werden. Was dazu führe, dass das Budget, das über „dieses Können“ in die Versorgung fließt, bei einem Gesamtbetrag in Bereich vertragsärztlicher Versorgung von insgesamt rund 35 Milliarden nur 200 Million Euro betrüge; die aber zuzüglich der Gelder zu sehen seien, die  über den Strukturfonds in die regionale Finanzierung fließen.
Dennoch sei eine einheitliche Beantwortung der Frage nach der Relevanz von Regionalität im Wettbewerb, welche die „Konnexität zwischen Zuweisungen und Leistungserbringung“ darstelle, notwendig. Doch wie das geschehen soll, ist unklar. „Was bedeutet Regionalisierung auf der Erbringungs- und der Finanzierungsseite“, fragte Orlowski und gab die ehrliche Antwort: „Ich weiß es auch nicht. „Gleicher Preis für gleiche Leistung oder regionale Vergütungskomponenten auf der Basis gleicher Preise? Oder: Bundeseinheitliche Zuweisung mit oder ohne Regionalkomponente? Oder auch: Regionale Beitragskalkulation  neben bundesdurchschnittlicher Beitragskalkulation mit regionaler neben bundesunmittelbarer Aufsicht?
Für ihn sei jedoch klar, dass alle Projekte, die im Rahmen der Integrationsversorgung  oder mit Hilfe des Innovationsfonds gestartet werden, nur dann funktionieren werden, wenn die Frage der Finanzierung geklärt ist, denn allein die vertragliche Gestaltungsmöglichkeit führe nicht dazu. Orlowski: „Da können sie Modelle machen, wie sie wollen, wenn die erfolgreichen Projekte des Innovationsfonds in die Regelversorgung überführt werden sollen, müssen die Finanzierungsfragen beantwortet werden.“ Daher müsse man sich entscheiden, ob man an dem Mantra „gleicher Preis für gleiche Leistung“ festhalten wolle oder den Weg in regionale Vergütungskomponenten ausbauen oder fortsetzen wolle.
Das sei doch ein Spagat, warf Kongress-Mitvorsitzender Prof. Dr. Dr. Alfred Holzgreve (Vivantes) ein, und zwar zwischen regional funktionierenden Projekten einerseits und dem Zwang, diese, nur in einem bestimmten Setting, funktionierenden Projekte zwanghaft ausrollen zu müssen. Besser wäre es doch, wenn es dafür verschiedene Strukturen gebe, weil die Versorgung überall eben nicht gleich sei. „Das würde ich anders sehen“, antwortete Orlowski. Natürlich sei  im  klar, dass die Versorgungsbedürfnisse und Rahmenbedingungen in den Regionen recht unterschiedlich sei.
Es gehe doch darum, dass der Leistungserbringer-Rahmen es ermöglichen müsse, dass unterschiedliche Strukturen für die zu versorgenden Menschen geschaffen werden können – wozu eben auch die entsprechende Finanzierungssystematik gehöre. Orlowski: „Man braucht einen Rahmen, der es erlaubt, dass sich die Unterschiede entfalten können, aber mit einer Finanzierungsstruktur verbunden sind, die das hergibt.“ Die spannende Frage sei halt die, wie das geschehen soll:  Mit einem einheitlichen Preis als Grundprinzip oder ohne?
Aber für welchen Regionenbegriff, warf Dr. Andreas Meusch (WINEG) ein. Er äußerte die Sorge, dass in der politischen Diskussion Regionen schnell mit Bundesländern gleichgesetzt werden. Meusch: „Regionale Vielfalt darf nicht zu regionaler Willkür werden.“ Es sei die Aufgabe der Versorgungsforschung zu analysieren, wo  regionale Unterschiede medizinisch sinnvoll und begründbar sind, und wo sie nur als Ausrede für Willkür herhalten. „Ich teile letzteres“, meinte Orlowski dazu. Bisher sei die regionale Diskussion auf der Finanzierungsebene daran gescheitert, dass  die Landesgrenze kein geeigneter Parameter für eine regionale Abgrenzung sei. Doch hätte er den Eindruck, dass man auf Grundlage des von Wille und Ulrich vorgelegten Gutachtens* man einen Schritt weiter gekommen sei, weil es die Faktoren auf die kommunalen Grenzen dekliniere, was es erlaube, die Realität in ihren Unterschieden stärker zum Tragen zu bringen. <<

 

Link zum *Gutachten
„Weiterentwicklungsbedarf des Versichertenklassifikationsverfahrens im Anwendungskontext der vertragsärztlichen Versorgung“ von Prof. Dr. med. Saskia Drösler, Prof. Dr. med. Benno Neukirch, Prof. Dr. rer. pol. Volker Ulrich und Prof. Dr. rer. pol. Eberhard Wille im Auftrag der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi).
Link:
www.zi.de/cms/veranstaltungen/zi-forum/18-november-2016/

Ausgabe 02 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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