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Antibiotikaversorgung: Realität und Zielsetzung

24.07.2017 14:00
Antibiotika zur Behandlung von bakteriell verursachten Infektionskrankheiten zählen zu den bedeutendsten Fortschritten in der Medizin. Allerdings machen unterschiedliche Angriffspunkte dieser Arzneimittel sowie ein nach Schwere der Infektion sinnvoller Einsatz die Auswahl des richtigen Wirkstoffes zu einer Herausforderung. Eine grundsätzlich sorgsame Nutzenabwägung sowie die richtige Einnahme haben aber einen wesentlichen Einfluss auf den Therapieerfolg und damit letztlich auch auf die Vermeidung von Resistenzen. Diese Thematik wird zunehmend durch multiresistente Bakterienstämme und eine geringe Anzahl neu zugelassener Antibiotika verschärft. Wie sich der Einsatz von Antibiotika in den letzten Jahren entwickelt hat und welche Maßnahmen für eine bedarfsgerechte Versorgung ergriffen werden, beleuchtet der vorliegende Beitrag.

http://10.24945/MVF.04.17.1866-0533.2029

>> Wie aus dem aktuellen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse hervorgeht, verordnen Ärzte mittlerweile sorgsamer Antibiotika, zumindest bei Erkältungskrankheiten. „Diese Trendwende geht in die richtige Richtung“, sagt Tim Steimle, Fachbereichsleiter Arzneimittel bei der TK. Dennoch zählen systemische Antibiotika im J01-Markt nach wie vor mit im Durchschnitt 4,9 DDD pro GKV-Versicherten in 2016 zu den häufig verordneten Arzneimitteln. Bestätigen lässt sich aber der sinkende Gesamtverbrauch im ambulanten GKV-Markt: Lag dieser in 2013 noch bei insgesamt 382 Mio. DDD, sinkt er in 2016 auf 355 Mio. DDD. Auffällig ist auch, dass im 7-Jahreszeitraum von 2010-2016 das Jahr 2013 die höchsten Verbrauchsmengen an systemischen Antibiotika aufweist, danach fallen die Zahlen stetig (Quelle: regioMA, INSIGHT Health). Ein möglicher Grund für den hohen Wert in 2013 könnte die geringere Influenza-Impfquote in 2012 sein. Wie Daten von INSIGHT Health zeigen, nahmen die Impfungen im Vergleich zu 2011 um 12 Prozent ab, gleichzeitig war die Saison 2012/2013 von einer schweren Grippewelle und einer moderaten Wirksamkeit der Influenza-Impfung geprägt (vgl. RKI, 2013). In Folge dessen könnten viele Patienten mit Grippesymptomen Antibiotika-Verordnungen erhalten haben. Einerseits könnte es sich dabei um ein Phänomen der Fehlnutzung handeln und zwar dahingehend, dass Ärzte bei viralen Infekten ohne Überprüfung einer bakteriellen Beteiligung aus eigener Entscheidung bzw. auf Druck des Patienten Antibiotika verordnen. Oder ob die Antibiotika andererseits zur adäquaten Therapie sekundärer Superinfektionen zielführend eingesetzt worden sind, kann an dieser Stelle nicht beurteilt werden.
Makrolide werden seltener eingesetzt
Bei einer Betrachtung der einzelnen Substanzklassen im Markt der systemischen Antibiotika erzielen die Breitspektrum-Penicilline mit 32,6 Prozent den größten DDD-Anteil in der GKV – darunter auch das seit 1981 zugelassene Antibiotikum Amoxicillin mit allein 28,3 Prozent im 1. Quartal 2017. Damit wird, wie in Abbildung 1 gezeigt, diese oft als Standardtherapeutika bezeichnete Klasse neben den Cephalosporinen, den Fluorchinolonen und den Makrolid-Antibiotika am häufigsten verordnet. Entfielen allerdings auf Letztere in 2010 noch mit 24,7 Prozent die meisten Verordnungen, reihen sich die Makrolide sieben Jahre später hinter den oralen Breitspektrum-Penicillinen ein (Quelle: regioMA, INSIGHT Health). Möglicherweise bedingen zunehmende Resistenzraten, die vor allem in Südeuropa deutlich höher ausfallen und insbesondere Pneumokokken betreffen, diesen Trend (vgl. Paul-Ehrlich-Gesellschaft, 2013). Im Vergleich zu den Makroliden steigern die oralen Breitspektrum-Penicilline ihren Verordnungsanteil innerhalb des Betrachtungszeitraums um 4,1 Prozent.
Wie ebenfalls aus Abbildung 1 hervorgeht, sind die Verordnungsanteile der oralen Cephalosporine konstant hoch. Erst in 2016 fällt diese Substanzklasse mit 20,8 Prozent unter die Verordnungsanteile der oralen Breitspektrum-Penicilline und Makrolide mit je 21,5 Prozent (Quelle: regioMA, INSIGHT Health). Ebenso wie viele Vertreter der Cephalosporine als Mittel der 2. Wahl in der antibiotischen Therapie gelten, sollen auch Fluorchinolone möglichst nur bei schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Infektionen eingesetzt werden. Gepaart mit dem Umstand, dass diese Substanzklasse seit Jahresbeginn wegen starker Nebenwirkungen eine neue Risikobewertung durch die Europäische Zulassungsbehörde für Arzneimittel durchläuft, wird es spannend sein, zu beobachten, wie sich die Verordnungsanteile der einzelnen Klassen weiter entwickeln werden (vgl. WIdO, 2017).
Neue Substanzen und
Reserveantibiotika
Im ambulanten GKV-Markt der systemischen Antibiotika sind im 1. Quartal dieses Jahres 61 unterschiedliche Substanzen verordnet worden. Mit einem Großteil dieser Wirkstoffe lassen sich die häufigsten bakteriellen Infektionen meist zielgerichtet und erfolgreich therapieren. Jedoch zeigen immer mehr Bakterienstämme Resistenzen, zur deren Bekämpfung Ärzte dann auf Reserve- oder neuere Antibiotika zurückgreifen müssen. Neu zugelassene Antibiotika der letzten Dekade waren ausdrücklich zur Resistenzüberwindung entwickelt worden und auch die Neueinführungen seit 2011 sind gegen Problemkeime wie beispielsweise multiresistente oder gram-negative Bakterien gerichtet. In 2016 waren dies die Li-poglycopeptide Oritavancin und Dalbavancin sowie in diesem Jahr die Kombination aus Cephalosporin und Betalactamase-Inhibitor (Ceftazidim + Avibactam). Mit Stand vom 07. Juli 2017 listet der vfa 15 Breitspektrum-Antibiotika sowie 10 Antibiotika bzw. Antiinfektiva gegen bestimmte Bakterienstämme in Phase III-Studien. Diese Zahlen machen deutlich, dass das Bestreben von Wissenschaft, pharmazeutischen Unternehmern und der Politik, die Antibiotika-Entwicklung voranzutreiben, etwas bewirkt. Dennoch kamen seit der Jahrtausendwende gerade einmal 19 neue Präparate auf den deutschen Markt. Von 1981 bis 1999 waren es hingegen 42 (vgl. vfa, 2017). Neben neuen Substanzen sind Reserveantibiotika die Behandlungsoption, wenn das Standardantibiotikum versagt bzw. als nicht geeignet erscheint. Die Zuordnung unterscheidet sich allerdings je nach Quelle, wobei die im Folgenden vorgenommene Einteilung sich an der 20. WHO-Liste für essenzielle Arzneimittel von März 2017 orientiert.
Legt man die WHO-Einteilung in Reserve und Watch Group zugrunde zeigt sich, dass die DDD-Anteile dieser Antibiotika im ambulanten GKV-Mark nicht zunehmen. Vielmehr pendeln sie sich in den letzten drei Jahren bei ca. 25 Prozent ein. Je nach angewandter Kategorisierung der Antibiotika und dem betrachteten Sektor, kann die Menge an Reserveantibiotika jedoch erheblich höher liegen. In einem Bericht der Arbeitsgruppe GERMAP zum Antibiotikaverbrauch und der Verbreitung von Antibiotikaresistenzen aus 2015 liegen die DDD-Anteile für Reserveantibiotika bei ca. 41 Prozent. Ungeachtet der unterschiedlichen Zahlen wird der Verbrauch von Reserveantibiotika als zu hoch eingeschätzt.  
Wenig Antibiotika in Brandenburg
Verglichen mit anderen Ländern Europas liegt Deutschland beim Antibiotika-Verbrauch in DDD pro 1.000 Einwohner im unteren Drittel und damit deutlich unter dem EU-Schnitt (vgl. Surveillance of antimicrobial consumption in Europe, 2012). Aber auch innerhalb Deutschlands lassen sich deutliche Unterschiede im Antibiotikaverbrauch erkennen. Wie Abbildung 2 zeigt, werden im Jahr 2016 mit 3,0 DDD pro Versicherten in Brandenburg die wenigsten Tagesdosen verordnet. Generell lässt sich erkennen, dass auch im Jahr 2016 der Verbrauch von Antibiotika im Westen höher ist, als im Osten (Quelle: regioMA, INSIGHT Health). Die Ursachen für diesen Ost-West-Gradienten sind nicht bekannt. Es wird unter anderem vermutet, dass Ärzte der neuen Bundesländer die Bemühungen der damaligen DDR zur Verordnungseingrenzung und der strengeren Indikationsstellung weiterführen (vgl. ZI, 2010). Ob sich diese Effekte mit dem Generationenwechsel der Ärzteschaft und dem starken demografischen Wandel nivellieren, bleibt abzuwarten. Handlungsbedarf scheint es aktuell vorwiegend in den alten Bundesländern zu geben. Einen solchen haben beispielsweise die Kassenärztliche Vereinigung und Krankenkassen in Nordrhein erkannt. Um eine Überversorgung mit systemischen Antibiotika abzubauen, erhalten Ärzte mit überdurchschnittlich vielen Antibiotikaverordnungen Informationsschreiben. Zusätzlich hat die KV mit dem BKK-Landesverband Nordwest einen Vertrag zum gezielten Einsatz von Antibiotika und Vermeidung von Resistenzen geschlossen. Teilnehmende Praxen sollen vor einer Antibiotika-Gabe Schnelltests bei Verdacht auf eine Rachenentzündung durchführen, bei Harnwegs- und Wundinfektionen sollen Antibiogramme vor der Antibiotika-Gabe stehen (vgl. KVNO aktuell, 2016).
Resistenzvermeidung:
Zielsetzungen und Maßnahmen
Als Ursachen für Resistenzen werden ein hoher Verbrauch, eine zu kurze Einnahmezeit durch den Patienten und die nicht zielgerichtete Anwendung diskutiert. Auch der verbreitete Einsatz von Antibiotika in der Tiermast wird für die Entstehung zahlreicher humanpathogener, multiresistenter Keime verantwortlich gemacht. An den Ursachen setzt die 2015 von der Bundesregierung verabschiedete neue Antibiotika-Resistenzstrategie „DART 2020“ an. Neben der Verbesserung von Therapieoptionen soll Bewusstsein und Kompetenz im Umgang mit Antibiotika gefördert aber auch Forschung und Entwicklung unterstützt werden. Unter anderem konnte die 2014 am Robert-Koch-Institut eingerichtete Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance kontinuierlich weiter ausgebaut werden (vgl. BMG, 2016 und RKI, 2015). Für die Förderung von Projekten mit einem Transfer in den Versorgungsalltag steht der Innovationsfonds. Hier setzt beispielsweise das bundesweite Projekt RESIST (Resistenzvermeidung durch adäquaten Antibiotikaeinsatz) des vdek und weiteren Partnern an. Maßnahmen wie Feedback-Berichte zum Verordnungsverhalten sowie Schulungen zur besseren Arzt-Patienten-Kommunikation sollen zur Verringerung der allgemeinen Antibiotikaverordnungsrate bei akuten Atemwegsinfektionen beitragen und einen leitliniengerechteren Einsatz von Breitbandantibiotika fördern (vgl. vdek, 2017).
Ein weiteres, innvationsfonds-gefördertes Projekt ist ARENA (Antibiotika-Resistenzentwicklung nachhaltig abwenden). Ziel ist es, unterschiedliche Interventionen – wie IT-gestützte Entscheidungshilfen, Qualitätszirkel und datenbasierte, individuelle Feedbacks – in den deutschen Versorgungsalltag zu implementieren und damit den indikationsgerechten Antibiotika-Einsatz sowie die sektorenübergreifende Versorgung bei Infektionen zu optimieren (vgl. MVF 01/2017). Von Seiten des Gesetzgebers wurden im neuen Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz vom Mai 2017 Regelungen für Antibiotika verabschiedet. So sollen bis Ende 2017 Diagnostika zur Antibiotikatherapie in den einheitlichen Bewertungsmaßstab aufgenommen werden. Des Weiteren wird künftig die Resistenzsituation bei der Bildung von Festbetragsgruppen und der Bewertung des Zusatznutzens berücksichtigt. Auch die EU bekräftigte im Juni 2017 im Rahmen ihres aktualisierten „Action Plan against Antimicrobial Resistance“ die Bedeutung von Anreizsys-temen für die Entwicklung neuer Antibiotika (vgl. vfa, 2017). So haben gemeinsame Anstrengungen für eine bedarfsgerechte Versorgung und gegen die Ausbreitung resistenter Keime nicht nur national an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewonnen sondern sind auch längst zu einer drängenden internationalen Verantwortung geworden. <<

Autorinnen:
Kathrin Pieloth und Marie Moos

Zitationshinweis :Pieloth, K., Moos, M.: „Antibiotikaversorgung: Realität und Zielsetzung“, in: „Monitor Versorgungs-forschung“ (04/17), S. 14-15; doi: 10.24945/MVF.04.17.1866-0533.2029

Ausgabe 04 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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