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Neugebauer: „RCT negieren den Kontext“

06.12.2017 14:00
Eine geeignete Plattform für rege Diskussionen zum Thema „Register“* sollte das Forum Pro & Contra sein, das am zweiten Tag des Deutschen Kongresses für Versorgungsforschung stattfand. Unter Vorsitz von Univ.-Prof. Dr. Prof. h.c. Dr. h.c. Edmund A.M. Neugebauer (Medizinische Hochschule Brandenburg) und Ulrike Elsner (Verband der Ersatzkassen e.V.) kamen viele Akteure aus Wissenschaft, Politik und Versorgungspraxis zusammen, um über Vor- und Nachteile sowie Einsatzgebiete von RCT und Register zu sprechen. Harte Gegenworte kamen von dem einzigen Contra-Teilnehmer: Prof. Dr. Jürgen Windeler, dem Leiter des Kölner IQWiG.

>> Als Neugebauer sein Eingangs-Statement  „Pro“ hielt, war die Welt der Versorgungsforscher noch so ziemlich in Ordnung. Der Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung und Dekan der Medizinischen Hochschule Brandenburg sprach darüber, was das DNVF mit denm Memoranden geleistet habe, in denen unter anderem eine Checkliste zur Registerqualität konsentiert worden sei. Erst wenn Systematik und Angemessenheit, Standardisierung, Validierung der Stichprobengewinnung, Datenerhebung und statistischen Analysen stimmig seien, spreche man von guten Registern. Doch, wozu gibt es diese Register, fragte Neugebauer rhetorisch und gab sich gleich die Antwort: „Zunächst geht es um die Beschreibung von Zusammenhängen epidemiologischer Art.“ Dazu nannte er Prävalenz, Inzidenz und Verlauf. Wo es jedoch schwierig werde, sei die Evaluation von Wirksamkeit und Nutzen im Versorgungsalltag. Da Register Daten und Fakten vom Eintritt in die Versorgungseinrichtung bis hin zur Rekonvaleszenz erfassen könnten, sei das Kernmerkmal von Registern eine extern hohe Validität – im Gegensatz zu RCT mit hoher interner Validität. Neugebauer: „Der wesentliche Unterschied ist eben, dass wir mit Registern den sogenannten Versorgungsalltag abbilden.“  
Damit sei nichts gegen RCT als solche gesagt, was Neugebauer als bekennender Vertreter der EBM-Szene auch fern liegt. RCT seien nun einmal Goldstandard, doch geben auch bei diesem Studientyp gute und schlechte. Und man müsse die schon sehr genau lesen, um zu erkennen, ob deren Information so wertvoll sind, um sie beispielsweise in Leitlinien oder eine Handlungsentscheidung einzubeziehen. Denn Patientenselektion, geringe Komorbidität, geringe Komedikation werde getaylort, dazu komme der Versorgungsbias, der Beobachtungseffekt sowie der Hawthorn-Effekt, der zu weiteren Verzerrungen führen kann. Um bei Registern das Kriterium Versorgungsalltag in Abgrenzung zu klinischen Studien zu erfüllen, zählt für Neugebauer zum einen das Setting – beispielsweise normaler Krankenhausbetrieb bei Registern versus künstliches Setting bei RCT durch separate Studienzentren oder Speziallabors.
Als zweiten Punkt nannte Neugebauer nicht kontrollierte Bedingungen bei RCT versus kontrollierter Bedingungen bei RCT – wie zum Beispiel die Überwachung der Medikamenteneinnahme bei letzterem. „Der wesentliche Unterschied, der beide Instrumente auszeichnet, ist jener zwischen Efficiency und Effectiveness“, gab Neugebauer zu Protokoll. Eine Innovation als Ergebnis einer reinen klinischen Studie könne sich insgesamt verändern, wenn sie auf die Realität der Kranken- und Gesundheitsversorgung trifft.  Wie, weiß eigentlich ohne Register niemand so genau, denn der Effekt könne sich entweder additiv oder negativ darstellen. Seine Schlussfolgerung: „RCT negieren den Kontext einer Gesundheitsleistung.“ Dieser Kontext bestehe aus der Darreichung der Gesundheitstechnik, den Patientenmerkmalen, den Arztmerkmalen, der Arzt-Patienten-Interaktion, die alles erheblich beeinflussen könne, und schließlich noch den Merkmalen des Settings – ob die Versorgung nun in Ambulanz, Krankenhaus oder Reha-Einrichtung erbracht werde: „Der Kontext einer Gesundheitsleistung kann wie die Gesundheitsleistung selbst erhebliche Gesundheitseffekte zeitigen, denn eine komplexe Intervention trifft auf ein komplexes Umfeld.“ Was wie funktioniert und tatsächlich einen Nutzen für den Patienten bringt oder nicht, können – so Neugebauers Meinung – nur Register und Versorgungsforschung darstellen, auch wenn die Vergleichbarkeit der erhobenen Daten sicherlich bei RCT besser gegeben sei.
Die heile Welt der Versorgungsforschung trübte sich schlagartig ein, als Windeler ans Mikrofon trat. Der gab zwar eingangs kund, dass er kein Contra-Statement zu Register abgeben wolle, denn es „wäre völlig albern“ sich gegen Register auszusprechen, die durchaus sinnvolle Fragen beantworten können – das bestreite weder das IQWiG noch er selbst.
Doch gebe es beim Thema Patientenregister im Rahmen der Nutzenbewertung einen ganz anderen Punkt. Dieser Punkt, der die Diskussion relativ schwierig mache, seien – so Windeler im O-Ton: „permanent wiederholte Behauptungen, die einfach falsch sind“. Dass RCT eine geringe externe Validität hätten, sei einfach nicht richtig, stellt Windeler eine Aussage in den Raum, die er gleich noch mal wiederholte: „Wir haben gerade gelesen, was mich überrascht hat und was ich noch nie gelesen habe: RCT negieren den Kontext. Das ist nicht richtig.“ Genau darum sei es relativ schwierig, eine Pro- und Contra-Diskussion zu führen, wenn „einfach immer wieder bestimmte Behauptungen wiederholt werden, die einfach nicht stimmen.“ Nun täte man so, als ob man, weil man nun einmal in Deutschland das AMNOG hätte, auf Register umsteigen müsste. Ginge ja gar nicht, meinte Windeler, „weil wir die Register ja gar nicht haben“, zumindest nicht „Register guter Qualität in irgendwie einer halbwegs kritischen Masse.“
Wenn er sich da nicht irrt: Bei einem Auftaktworkshop, der im November auf Einladung der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V.
(TMF) in Berlin stattfand, zeigte sich, dass die kritische Masse sicher längst erreicht ist: 51 Wissenschaftler diskutieren hier Konzepte für den Aufbau modellhafter Register für die Versorgungsforschung, deren Konzeptentwicklung das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit September 2017 fördert.
„16 verschiedene neue und ganz unterschiedliche Register, die ein einheitliches Registerprotokoll verwenden – das ist eine große Chance für die Versorgungsforschung“, erklärte dazu Prof. Dr. Jürgen Stausberg (Universität Duis-
burg-Essen). Und Neugebauer, Vorsitzender des DNVF, das dem in Partnerschaft mit dem TMF den Aufbau der Register unterstützt, setzte dazu: „Für die Versorgungsforschung sind qualitativ hochwertige Register von zentraler Bedeutung und ein wichtiger Baustein für die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens.“
Mit der  Förderung durch das BMBF könne nun das DNVF seine Expertise in die Entwicklung von  neuen Registerprojekten einbringen und so konkret zur Qualitätssteigerung beitragen. Aber auch das TMF, die in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte zum Aufbau und Betrieb von Registern gefördert und durchgeführt hat. So ist zu Registern längst nicht nur ein Memorandum des DNVF, sondern auch in der TMF-Schriftenreihe bereits in zweiter Auflage (2014) eine Leitlinie zum Thema „Datenqualität in der medizinischen Forschung“ erschienen. „Wir freuen uns, dass wir den Auftrag erhalten haben, die Registerprojekte zu unterstützen“, meinte darum Sebastian C. Semler, Geschäftsführer der TMF. „Wir bringen hier unsere Expertise im Aufbau und Betrieb von Forschungsdateninfrastrukturen ein“. Die Aufgabe der TMS sei es außerdem, die Register untereinander sowie mit bereits etablierten Registern zu vernetzen.“
Das ist im Endeffekt auch genau das, was Windeler – wenn auch mit unnötig harten Worten – fordert. <<

von:
MVF-Chefredakteur Peter Stegmaier

Zitationshinweis : Stegmaier, P.: „Neugebauer: „RCT negieren den Kontext“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (06/17), S. 12-13; doi: 10.24945/MVF.06.17.1866-0533.2044

Ausgabe 06 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
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Roski

 

 

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