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Elektronische Patientenakten prä und ante portas

24.07.2017 14:00
„Eine funktionierende Governance-Strukur ist die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche flächendeckende Implementierung von eEPA-Systemen“, schreibt Prof. Dr. Peter Haas, der Autor der Mitte 2017 im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung erstellten Studie „Einrichtungsübergreifende Elektronische Patientenakten als Basis für integrierte patientenzentrierte Behandlungsmanagement-Plattformen“, und legt damit gleich einen zehnjährigen Zeitplan für ein Stufenkonzept zur Einführung einer bundesweiten einrichtungsübergreifenden Elektronischen Patientenakten-Infrastruktur, kurz eEPA, vor. Eine derartige einrichtungsübergreifende Patientenakte wäre sicher eine ebenso wichtige wie richtige Aufgabe, erinnert aber in ihrer Komplexität und Allumfassenheit irgendwie an die dunklen Startjahre der Telematikinfrastruktur in Deutschland und hat neben der reinen Mach- und Durchführbarkeit eines solchen Groß-Ansatzes ein kleines Zeitproblem: Im § 291a Abs. 5c SGB V, in dem die „Elektronische Gesundheitskarte und Telematikinfrastruktur“ geregelt wird, steht wortwörtlich, dass „bis zum 31. Dezember 2018 die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen sind, dass Daten über den Patienten in einer elektronischen Patientenakte bereitgestellt werden können“. Bis auf einige, wenige Ausnahmen ist das jedoch noch Zukunftsmusik.

>> Dabei hat der Gesetzgeber mit der Formulierung im § 291a Abs. 5c SGB V sowie im „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze“, kurz „eHealth-Gesetz“, ganz bewusst einen harten, unverrückbaren Zeitrahmen gesetzt. Kein Wunder: Weit über zehn Jahre nach Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG), in dem mit Wirkung ab dem 1. Januar 2004 nicht nur die Finanzierung, sondern auch die Ausgestaltung persönlicher elektronischer Gesundheitsakten festgeschrieben wurde, hat die Politik einfach die Geduld verloren. „Es zeigt sich, dass diese Fristen dazu geführt haben, dass alle Beteiligten jetzt sehr intensiv daran arbeiten, den vorgegebenen Zeitrahmen einzuhalten“, formulierte es Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe bei der Verabschiedung des eHealth-Gesetzes* mit einer für Bundespolitiker höchst ungewohnt direkten Art und Weise. Und  fast im gleichen Atemzug setzte er hinzu: „Auch wenn die Industrie nach Auskunft der gematik große Probleme hat, die notwendige Technik bereitzustellen.“ Dabei tickt die Zeit: In nicht einmal eineinhalb Jahren soll flächendeckend das funktionieren, was man sich unter den Möglichkeiten einer elektronischen Patientenakte so alles vorstellen kann.
Dass es bald überhaupt so weit ist, ist nahezu ein Wunder. Und eine lange Geschichte, die bis ins Jahr 2003 zu protego.net zurückgeht, einem Projekt der Selbstverwaltung, mit dem Ziel, die elektronische Gesundheitskarte und Telematikinfrastruktur (TI) einzuführen: Und die zur daraus entstandenen Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH, kurz gematik, zurückführt, die im Januar 2005 von den Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens gegründet worden war.
Angelegt als wahres Mammut-Projekt hatte und hat die gematik die Aufgabe, alle Beteilig-ten im Gesundheitswesen – Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken, Krankenkassen und sonstige Behandler – auf einer sicheren Online-Plattform miteinander zu vernetzen. Mit anfangs recht wenig Erfolg: Jahrelange Blockaden innerhalb der Selbstverwaltung – vor allem seitens der Ärzte und auch der Apotheker – sorgten für nahezu Stillstand. Zudem stoppte 2009 ein politisches Moratorium des damaligen Bundesgesundheitsministers Philipp Rösler die weitere Entwicklung des elektronischen Rezepts (das damals als erste Online-Anwendung vorgesehen war) und der elektronischen Patientenakte. Das erklärte Ziel: die angeblich mangelhafte Sicherheit der darin gespeicherten Daten gewährleisten. Heute, rund zehn Jahre später, ist man nicht sehr viel weiter, weshalb Kassenärztliche Vereinigungen in der Zwischenzeit eigene IT-Netzwerke wie die KV-SafeNets aufgesetzt haben. Zudem sind einige Kassen, Kliniken und IT-Anbieter dabei, eigene Online-Patientenakten zu planen – manche haben erst begonnen, einige sind schon seit langem betriebsbereit und wenige bereits voll funktionsfähig.
Eine Frage des Menschenbildes
Doch alle haben ein und dasselbe große Problem: Sie kollidieren mit der inzwischen real existenten Telematik-Infrastruktur, beziehungsweise mit der in ihr manifestierten, paternalistischen  Geisteshaltung. Diese zeigt sich vor allem in der mehrschichtigen Sicherheitsarchitektur, die Zugriffe auf Daten nur über zertifizierte und zugelassene Produkte wie Konnektoren, Kartenterminals und Karten und nur durch dafür zugelassene Personen erlaubt: Das sind in der Regel Ärzte, die sich über ihre elektronischen Heilberufsausweise (eHBA) identifizieren müssen.
Patienten hingehen sehen und haben von der bis dato existenten Telematikinfrastruktur wenig. Zum einen ist zwar seit dem 1. Januar 2015 die elektronische Gesundheitskarte als einziger Berechtigungsnachweis gültig, damit ein Patient GKV-Leistungen in Anspruch nehmen kann. Doch unterscheidet sich diese Karte von den bis 2015 genutzten Krankenversichertenkarten alleine durch ein farbiges Bild des Patienten und einen golden glänzenden Chip, wie er auch auf allen EC-Karten zu finden ist. Allerdings: Auf diesem Mini-Chip ist nur der jeweilige Name, das Geburtsdatum, die Adresse sowie die Versichertennummer samt Versichertenstatus gespeichert. Ansonsten: nichts.
Das aber soll sich ändern: Zum einen soll als überhaupt erste Online-Anwendung der elektronischen Gesundheitskarte bis Mitte 2018 das längst überfällige Versicherten-Stammdatenmanagement (VSDM) nach § 291 Abs. 2b SGB V eingeführt werden, welches erst die Onlineprüfung und die Aktualisierung der Stammdaten ermöglichen kann. Zum zweiten sollen ebenfalls ab 2018 medizinische Notfalldaten auf Wunsch des Versicherten gespeichert werden können. Zum dritten soll erneut ab 2018 der Medikationsplan – auf den seit dem 1. Oktober 2016 all jene Versicherte in Papierform (!) Anspruch haben, die mindestens drei verordnete Arzneimittel einnehmen müssen – elektronisch von der Gesundheitskarte abrufbar sein; ab 2019 soll dieser auch noch aktualisiert werden können.
Zum vierten soll ab Ende 2018 die elektronische Patientenakte (EPA) als erneut freiwillige Anwendung verfügbar sein. Darin sollen seitens des Arztes – nach Authentifizierung durch dessen eHBA – der Notfalldatensatz, der Medikationsplan, etwaige Arztbriefe und andere medizinische Dokumente hinterlegt werden können.
Doch auch der Patient selbst soll in einem ergänzenden „Patientenfach“ alle möglichen Individualdaten eingeben können, wie beispielsweise Messergebnisse aus Blutzuckermessgeräten oder auch Daten aus allerlei Gesundheits-Apps.
Wie das allerdings innerhalb der hochstehenden Sicherheitsarchtektur funktionieren soll, ist unbekannt. Aus diesem Grunde hat bis dahin die gematik zu prüfen, inwieweit mobile und stationäre Endgeräte der Patienten überhaupt für den Zugriff auf die eGK genutzt werden können.
Damit folgt sie dem Auftrag der Politik, die der gematik aufgetragen hat, „bis Ende 2018 die Voraussetzungen für die Nutzung des Patientenfachs mit der elektronischen Gesundheitskarte zu schaffen, so dass Patienten ihre Daten auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen können“. Der Grund dafür ist, dass laut BMG „Patientennutzen und -selbstbestimmung im Mittelpunkt“ stehen und der Patient „nicht nur entscheidet, welche medizinischen Daten mit der Gesundheitskarte gespeichert werden“, sondern auch, „wer darauf zugreifen darf“. Und weiter: „Die Patienten erhalten außerdem einen Anspruch darauf, dass ihre mittels Gesundheitskarte gespeicherten Daten in ihr Patientenfach aufgenommen werden.“
Die Zukunft hat bereits begonnen
Da damit der Patient als Herr seiner Daten definiert ist, wozu er im Zuge der Patientenautonomie auch das Recht hat, ist entweder eine allumfassende EPA notwendig, wie sie Haas in der Bertelsmann-Studie fordert. Oder eine – wie in der im Auftrag des BMG von PwC erstellten Studie „Weiterentwicklung der eHealth-Strategie“ ausgeführt – „Öffnung der TI für Mehrwertanwendungen“. Dass bis Ende 2018 eine ganze Reihe einzelner EPA existieren werden, die dann irgendwie an die bestehende TI angebunden werden, erscheint auch sehr viel wahrscheinlicher. Diese würden dann im Endeffekt die EGK – mit Milliarden Euro finanziert – nur noch als viel zu teuer bezahltes Schlüsselsystem nutzen.
Am schnellsten seitens der gesetzlichen Krankenkassen war einmal die BARMER mit ihrem Forschungsvorhaben „Nutzen und Akzeptanz elektronischer Gesundheitsakten aus Versichertensicht“, das – schon im Jahr 2007“ initiiert – jedoch auf drei Jahre begrenzt war. Diese bis zum Jahr 2010 erforschte Akte war patientengeführt, indem die Versicherten ihre Daten selbst dokumentieren, aber auch Ärzte ergänzende Informationen einstellen konnten. Darüber hinaus wurden auch Kassen-Abrechnungsdaten (z.B. Diagnosen, Arzneimittelverordnungen) importiert und für Foschungszwecke in eine „Nationale Kohorte“ gespeist. Dass das Projekt nie in der Breite umgesetzt wurde, lag damals an der fehlenden, aber eigentlich nötigen automatischen Datenübertragung von Laborergebnissen und Untersuchungsbefunden sowie der unzureichenden Einbindung der Ärzte.
All dass versucht nun – immerhin sieben Jahre später – die AOK Nordost, die in Kooperation mit Cicso, xevIT, Healthcubator, Tiani Spirit und ehealthbusiness den Aufbau einer digitalen Gesundheitsplattform vorantreibt und bereits in diesem Jahr am Laufen haben will. Technisch basiert die Plattform auf dem IHE-Standard (Integrating the Healthcare Enterprise), der bereits in Öster-reich, der Schweiz und Teilen der USA den Grundstein für die elektronische Patientenakte bildet.
Ebenso am Start ist die TK in Kooperation mit den Helios Kliniken, Agaplesion und Vivantes, die mit Unterstützung von IBM die bisher schon existente fallübergreifende, longitudinale Akte „PEPA“ der Uni-Kliniken Hamburg-Eppendorf sowie Heidelberg in eine Patientenakte integrieren will. Vorbild hierfür ist das zentrale dänische Gesundheitsportal „Sundhed“.
Auch aus den Geldern des Innovationsfonds werden Projekte gefördert, deren integrale Bestandteile EPA sind. Das ist zum Beispiel das seit Anfang 2017 mit 8,3 Mio. Euro geförderte Projekt CoCare (coordinated medical care) der KV Baden-Württemberg. In Kooperation mit Unis und Kassen sowie dem Softwarepartner nubedian soll die koordinierte ärztliche Pflegeheimversorgung verbessert sowie die Schnittstelle Pflege-Ärzte optimiert werden – unter anderem mit Hilfe einer gemeinsamen EPA.
Ein weiteres vom Innovationsfonds seit 2017 mit 6 Mio.
Euro gefördertes Projekt ist „NTx 360°“ der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Damit soll ein Nachsorgemodell für Erwachsene und Kinder nach Nierentransplantation geschaffen werden – auch hier ist ein Zentralbestandteil dieses telemedizinischen Netzwerks eine EPA.
Auch bei dem Innovationsfonds-Projekt AdAM (Förderhöhe: 16,3 Mio. Euro) in der Region Westfalen-Lippe entsteht im ersten Schritt eine ärztlich geführte Basisdokumentationsakte rund um den Medikationsplan. In einem zweiten Schritt soll die Einsichtnahme online zielgruppengerecht für die ausgewählte Patientengruppe möglich gemacht werden, womit auch hier als Option die Weiterentwicklung zu einer umfassenderen EPA möglich ist.
Als wenn es nicht schon lange Unternehmen gäbe, die bereits funktionierende Patientenakten anbieten und die das versprechen, was bei den Kassen wie Innovationsfondsprojekten durchaus noch fraglich ist: Hier ist der Patient der alleinige Herr der Daten!
Das ist zu einem die Compugroup mit der „CGM LIFE Gesundheitsakte“ (ehemals vita-x.com), die den Patient als Eigentümer der Gesundheitsakte ausweist, wobei alleine der Patient alle Rechte an den Daten besitzt, der Arzt aber Zugriff auf die Gesundheitsakte hat und die Daten ergänzen  kann.
Mit am Start ist seit 2016 auch „LifeTime“ der Connected-health.eu. Derzeit befindet sich LifeTime in einer Testphase: Etwa 120 Praxen in Hamburg nutzen die Technologie, die vorsieht, dass Patienten via Bluetooth oder WLAN die Daten auf ihr Smartphone ziehen können, um sie dort verschlüsselt für weitere Behandlungen parat zu haben.
Und da ist „Vitabook“ der Vitabook GmbH, die – bereits 2012 gestartet – mit derzeit 184.000 aktiven Patienten die wohl größte umfassende Gesundheits-Cloud Deutschlands betreibt. Bislang arbeiten 41 Kliniken (darunter UKSH, MHH, Uni Mannheim, Helios), 517 Apotheken und 641 Pflegedienste und Heime mit dieser Lösung. Und für 8.500 Ärzte ist auch schon das eRezept-Modul involviert. Auf vitabook.de können Patienten sich ein eigenes Gesundheitskonto anlegen, worauf dann nach Zustimmung des Patienten Ärzte, Kliniken, Apotheken, Krankenkassen, Labore, Abrechner, Pflegedienste und Sanitätshäuser Gesundheitsdaten jeglicher Art zur Verfügung stellen und auch von ihm erhalten können. Dazu gehören schon jetzt das eRezept, der Online-Medikationsplan, der Online-Impfpass, die Online-Einreichung von Arztrechnungen bei Kassen und Beihilfestellen und bald auch die Möglichkeit, die Daten – wieder nach Zustimmung der Patienten – anonymisiert für die Versorgungsforschung verfügbar zu machen (s. Interview). <<

Ausgabe 05 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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