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Entwicklung der administrativen Prävalenz des Diabetes mellitus von 2009 bis 2015

24.07.2017 10:20
Der Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der aufgrund eingeschränkter Insulinwirkung bzw. -ausschüttung die Blutzuckerkonzentration dauerhaft erhöht ist (American Diabetes Association 2012). Langfristig erhöht eine Diabeteserkrankung das Risiko für Begleit- und Folgeerkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Schädigungen der Netzhaut und das diabetische Fußsyndrom. Der Diabetes mellitus ist als „Volkskrankheit“ mit einer Vielzahl Betroffener von erheblicher Public Health-Relevanz. Auf individueller Ebene geht die Erkrankung mit Einschränkungen der Lebensqualität und Lebenserwartung einher, auf gesellschaftlicher Ebene ist sie mit hohen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden (Koster et al. 2012).

doi: 10.24945/MVF.05.17.1866-0533.2040

Abstract

In der vorliegenden Analyse wurde untersucht, wie sich die Prävalenz des Diabetes mellitus in Deutschland zwischen den Jahren 2009 und 2015 entwickelt hat. Dabei wurden genauer die Unterschiede zwischen Alters- und Geschlechtsgruppen sowie zwischen Ost- und Westdeutschland betrachtet. Die Analyse wurde mit bundesweiten Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V durchgeführt. Die Studienpopulation wurde jahresweise gebildet und umfasste alle Patienten, die mindestens einen Arztkontakt hatten. Als prävalent wurden alle Patienten gezählt, die in mindestens zwei Quartalen eine gesicherte Diabetesdiagnose erhalten haben. Bundesweit stieg die Prävalenz des Diabetes mellitus von 8,67 % im Jahr 2009 auf 9,96 % im Jahr 2015. Die Prävalenz war in den Altersgruppen ab 60 Jahren am höchsten, wobei die Prävalenz der Männer teils deutlich über denen der Frauen lag und auch stärker gestiegen ist. Während die Prävalenz in Ostdeutschland mit über 12 % deutlich über der Prävalenz in Westdeutschland mit mindestens 7,8 % lag und einen stärkeren absoluten Anstieg verzeichnete, war der relative Anstieg der Diabetes-Prävalenz mit fast 12 % fast doppelt so hoch wie in Ostdeutschland mit 6 %. Der Anstieg der Diabetesprävalenz ist vermutlich zunehmend auf lebensstilbezogene Risikofaktoren zurückzuführen und unterstreicht die große Public Health-Relevanz dieser chronischen Erkrankung. Weitere Untersuchungen zu Einflussfaktoren auf kleinräumiger Ebene sind erforderlich, um Präventionsmaßnahmen regional besser auszurichten.

Development of the administrative prevalence of Diabetes mellitus between 2009 and 2015
In the present analysis we analyzed trends in prevalence of diabetes mellitus between 2009 and 2015 based on Germany-wide claims data from SHI physicians in accordance with section 295 of the Fifth book of the German Social Code (SGB V). Differences between age groups, sex as well as between East and West Germany were studied. . The study population was constituted per year and included all patients with at least one physician-contact. All patients with secure ICD-codes for diabetes mellitus in at least two quarters of a year were counted as prevalent cases. Nationwide, the prevalence rose from 8.67% in 2009 to 9.96 % in 2015. The prevalence was highest at ages ≥60 years and, additionally, higher for men than for women. While the prevalence of more than 12% in East Germany was much higher than the prevalence of 7.8% in West Germany, on the relative scale, the prevalence increased more strongly in West compared to East Gemanry (12% vs. 6%). Likely, the rise of the diabetes prevalence is attributed to a change in lifestyle risk factors, such as the concomitant increase in obesity, and is further underscoring the major public health relevance of diabetes mellitus. Further small area analyses regarding factors influencing diabetes prevalence are necessary in order to effectively focus preventive measures.

Keywords
prevalence, Diabetes mellitus, public health

Benjamin Goffrier, M.A., LL.M. / Dr. med. Jörg Bätzing, MPH / Jakob Holstiege, MPH

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Zitationshinweis: Goffrier, B., Bätzing, J., Holstigee, J: „Entwicklung der administrativen Prävalenz des Diabetes mellitus von 2009 bis 2015“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ 05/17, S. 46-49, doi: 10.24945/MVF.05.17.1866-0533.2040

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Plain-Text:

Entwicklung der administrativen Prävalenz des Diabetes mellitus von 2009 bis 2015

Der Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der aufgrund eingeschränkter Insulinwirkung bzw. -ausschüttung die Blutzuckerkonzentration dauerhaft erhöht ist (American Diabetes Association 2012). Langfristig erhöht eine Diabeteserkrankung das Risiko für Begleit- und Folgeerkrankungen wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Schädigungen der Netzhaut und das diabetische Fußsyndrom. Der Diabetes mellitus ist als „Volkskrankheit“ mit einer Vielzahl Betroffener von erheblicher Public Health-Relevanz. Auf individueller Ebene geht die Erkrankung mit Einschränkungen der Lebensqualität und Lebenserwartung einher, auf gesellschaftlicher Ebene ist sie mit hohen Kosten für das Gesundheitssystem verbunden (Koster et al. 2012).

 

>> In den vergangenen Jahrzehnten wurde weltweit eine Zunahme der Diabetesprävalenz beobachtet  (WHO 2016; NCD Risk Factor Collaboration 2016; International Diabetes Federation 2015). In Deutschland wird die Prävalenz des Diabetes mellitus aktuell auf 7–10 % geschätzt (Jacobs et al. 2016; Heidemann et al. 2013; Tamayo et al. 2016). In der ersten Erhebungswelle der Studie DEGS 1 des Robert Koch-Instituts (RKI) zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland im Zeitraum von 2008 bis 2011 eine Diabetesprävalenz von 7,2 % beobachtet (Heidemann et al. 2013). Diese Studie bezog sich auf die Altersspanne der 18- bis 79-Jährigen. Die Prävalenzschätzung von Tamayo et al. 2016 auf Basis der Versorgungsdaten auf der Grundlage der Datentransparenzverordnung (DaTraV-Daten) ergab eine nach Alter und Geschlecht standardisierte Prävalenz des Diabetes mellitus von 9,9 %. Dieser Wert konnte für das Jahr 2010 ermittelt werden. Aufgrund des chronischen Charakters des Diabetes und einer Neuerkrankungshäufigkeit, welche die Letalität deutlich übersteigt (Tamayo et al. 2016) war, auch nach 2010 einer weiterer Anstieg des betroffenen GKV-Versichertenanteils zu erwarten. Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung aktueller Trends der Prävalenz des Diabetes mellitus für die Jahre 2009 bis 2015 auf Grundlage deutschlandweiter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten. Die hier dargestellten Ergebnisse basieren auf Analysen der Prävalenz und Inzidenz des Diabetes mellitus von Goffrier et al. 2017. Vertiefend wird dabei auf die aktuellen Trends in der Entwicklung der Prävalenz – auch vergleichend zwischen Ost- und Westdeutschland – eingegangen.
Methodik
Auf der Grundlage bundesweiter vertragsärztlicher Abrechnungsdaten nach § 295 SGB V (Mangiapane 2014) wurde die Ein-Jahres-Prävalenz des Diabetes mellitus für die Jahre 2009 bis 2015 bestimmt. Da die Prävalenz auf der Grundlage von Daten für administrative Zwecke ermittelt wurde, wird diese als „administrative Prävalenz“ bezeichnet (vgl. Grobe/Dräther 2014).
Die Studienpopulation für jedes Bezugsjahr der Prävalenzschätzung setzt sich aus allen gesetzlich krankenversicherten Patienten zusammen, die im Bezugszeitraum mindestens einen Arztkontakt hatten.
Das Vorliegen eines Diabetes wurde in der Studienpopulation anhand der ambulanten ärztlichen Diagnosen ermittelt, die gemäß der International Classification of Diseases, 10th Revision, German Modification (ICD-10-GM) kodiert wurden. Ein Patient galt als Diabetiker, wenn für ihn in dem jeweiligen Bezugsjahr in mindestens zwei Quartalen eine gesicherte Diabetes-Diagnose (E10 – E14) vergeben wurde. An dieser Stelle wurde nicht zwischen den unterschiedlichen Diabetes-Typen unterschieden, sondern die Entwicklung des Diabetes mellitus insgesamt betrachtet. Jedoch macht der Typ-2-Diabetes rund 96 % aller Diabetesfälle aus (Goffrier et al. 2017).
Die Ein-Jahres-Prävalenz (P) wurde als Quotient aus Anzahl der Diabetiker (D) und der Gesamtzahl der Patienten der Studienpopulation (S) pro Jahr (J) in der jeweiligen Region (R) multipliziert mit 100 in Prozent gebildet:
Um die Gegenüberstellungen zwischen Populationen mit unterschiedlicher Alters- und Geschlechtsstruktur d.h. zwischen Ost- und Westdeutschland und auf Bundesebene im Zeitverlauf zwischen den Kalenderjahren zu ermöglichen, wurden außerdem standardisierte Prävalenzschätzer berechnet. Dies wurde als direkte Standardisierung anhand der nach Alters- und Geschlechtsgruppen differenzierten Population der gesetzlich Krankenversicherten von 2015 (KM6-Statistik) vorgenommen (Bundesministerium für Gesundheit 2016).
Ergebnisse
Die rohe Ein-Jahres-Prävalenz des Diabetes mellitus stieg zwischen den Jahren 2009 und 2015 deutschlandweit um 1,29 Prozentpunkte von 8,67 % auf 9,96 % an. Bereinigt man die Prävalenz um den Effekt der sich verändernden Alters- und Geschlechtsstruktur lässt sich ein abgeschwächter Anstieg von 0,91 Prozentpunkten beobachten, wobei die standardisierte Prävalenz von 8,90 % im Jahr 2009 auf 9,81 % im Jahr 2015 gestiegen ist (vgl. Abb. 1).
Eine differenzierte Betrachtung der Entwicklung der Prävalenz nach Alter und Geschlecht zeigt eine besonders starke Dynamik für die Altersgruppen ab 60 Jahren für beide Geschlechter. Im Jahr 2009 konnte die höchste Prävalenz mit 29,86 % bei den Männern der Altersgruppe der 75- bis unter 80-Jährigen beobachtet werden. Demgegenüber lag der höchste Wert der Männer im Jahr 2015 bei 34,87 % in der Altersgruppe der 80- bis unter 85-Jährigen, was einer Verlagerung des Erkrankungspeaks in die nächst höhere Altersgruppe entspricht. Bei den Frauen konnte im Jahr 2009 die höchste Prävalenz bei den 80- bis unter 90-Jährigen von rund 27,60 % festgestellt werden (vgl. Abb. 3). Im Jahr 2015 hingegen lag der Höchstwert mit 31,97 % in der Altersgruppe der 80- bis unter 85-Jährigen. Der Peak der Prävalenz hat sich damit um rund 4,4 Prozentpunkte erhöht.
Große Unterschiede in der Prävalenz bestehen nicht nur zwischen den Alters- und Geschlechtsgruppen, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Regionen Deutschlands. Hierbei war besonders der Niveauunterschied der Erkrankungslast zwischen Ost- und Westdeutschland auffällig. Während in Westdeutschland im Jahr 2009 eine rohe Prävalenz des Diabetes mellitus von 7,82 % beobachtet werden konnte, lag diese zum gleichen Zeitpunkt in Ostdeutschland bei 12,03 %. In beiden Landesteilen stieg die Prävalenz deutlich, wobei die rohen Werte im Jahr 2015 in Westdeutschland 9,08 % und in Ostdeutschland 13,47 % betrugen. Demnach fand in Westdeutschland eine Steigerung der Prävalenz um 1,26 Prozentpunkte und in Ostdeutschland um 1,44 Prozentpunkte statt.
Nach der Standardisierung für Alter und Geschlecht fielen die Unterschiede zwischen beiden Landesteilen wesentlich geringer aus. Demnach ist die standardisierte Prävalenz in Westdeutschland zwischen den Jahren 2009 und 2015 von 8,26 % auf 9,23 % um 0,97 Prozentpunkte gestiegen, während die standardisierte Prävalenz in Ostdeutschland im gleichen Zeitraum von 11,11 % auf 11,79 % und damit um 0,68 Prozentpunkte zunahm (vgl. Abb. 1). Demnach zeigte Westdeutschland zwischen 2009 und 2015 mit 11,67 % eine höhere relative Zunahme der Ein-Jahres-Prävalenz im Vergleich zu den östlichen Bundesländern (Ostdeutschland: 6,13 %, Bund: 10,22 %; vgl. Abb. 2). Während der relative Zuwachs zwischen den Jahren 2009 und 2010 mit rund 2,30 % für Ost- und Westdeutschland noch gleich groß ausfiel, ließ sich für Ostdeutschland eine im Zeitverlauf abflachende Anstiegskurve beob-achten. So bezifferte sich der relative Anstieg von 2014 auf 2015 auf nur noch 0,17 %. In Westdeutschland hingegen verlief der Anstieg zwischen den Jahren 2010 und 2011 steiler, um im nachfolgenden Beobachtungszeitraum etwas abzuflachen (vgl. Abb. 2).
Diskussion
Wie gezeigt werden konnte, zeichnet sich eine starke Dynamik in der Zunahme der Prävalenz des Diabetes mellitus in Deutschland zwischen den Jahren 2009 und 2015 ab. Die Prävalenz steigt dabei in fast allen Altersgruppen, bei Männern und Frauen und in allen Regionen Deutschlands. Jedoch gibt es zwischen den einzelnen Gruppen große Unterschiede in der Ausprägung dieses Trends. So ist die absolute Zunahme der Prävalenz bei Männern größer als bei Frauen und in den höheren Altersgruppen deutlich höher als in den jüngeren Altersgruppen. Die Zunahme der Prävalenz insgesamt setzt sich bei dieser Betrachtungsweise aus zwei Effekten zusammen. Erstens nimmt der Anteil der älteren Bevölkerung in Deutschland zu. Da Diabetes mellitus Typ 2 vor allem im Alter auftritt und rund 96 % aller Diabetesfälle ausmacht, lässt sich damit zunächst ein Effekt feststellen, der auf die zunehmende Alterung unserer Gesellschaft zurückzuführen ist. Zweitens nimmt aber auch unabhängig davon die Prävalenz des Diabetes mellitus in den höheren Altersgruppen zu und steigt auf deutlich über 30 %. Hierdurch wird der demografische Effekt noch einmal verstärkt.
Auch auf regionaler Ebene lassen sich deutliche Unterschiede in der Entwicklung der Diabetesprävalenz ausmachen. Das Niveau der Diabetesprävalenz lag in Ostdeutschland während des Beobachtungszeitraums rund 4,4 Prozentpunkte höher als in Westdeutschland. Auch die absolute Zunahme der rohen Diabetesprävalenz in Prozentpunkten fiel in Ostdeutschland zwischen 2009 und 2015 höher aus als in Westdeutschland. Betrachtet man hingegen die Entwicklung der standardisierten Prävalenz, dreht sich dieses Bild. Demnach waren der absolute und der relative Anstieg der standardisierten Diabetesprävalenz in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland, wobei der relative Anstieg der Prävalenz in Westdeutschland fast doppelt so hoch ausfiel. Dies ergibt sich aus dem absoluten Anstieg, der sich durch das deutlich niedrigere Niveau der Prävalenz in Westdeutschland stärker auf die relative Entwicklung auswirkt als in Ostdeutschland. Die Unterschiede der relativen Anstiege zeigen, dass die Entwicklung der Diabetesprävalenz in Westdeutschland dynamischer verlief als in Ostdeutschland, wo wiederum eine stetige Abnahme der Entwicklungsdynamik beobachtet werden konnte.
Mit der Zunahme der Diabetes-Prävalenz zwischen 2009 und 2015 wird eine bereits seit vielen Jahren bestehende Entwicklung fortgeschrieben. Dies legen die Daten der großen Gesundheitssurveys des RKI nahe. So wurde in der BGS98 die Lebenszeitprävalenz des bekannten Diabetes der 18-bis 79-jährigen Bevölkerung auf 5,2 % geschätzt, während sie in der DEGS1-Studie bereits bei 7,2 % lag. Dies entspricht einem relativen Anstieg von 38 % im Zeitraum zwischen dem ersten Erhebungszeitraum 1998 und dem zweiten Erhebungszeitraum der Jahre 2008 bis 2011 (Heidemann et al. 2013).
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass neben einem hohen Alter zunehmend andere Risikofaktoren an Bedeutung für den Anstieg der Diabetesprävalenz gewonnen haben könnten. Hierbei wären vor allem Lebensstilfaktoren wie Übergewicht bzw. Adipositas, Bewegungsmangel, unausgewogene Ernährung sowie das Rauchen in Betracht zu ziehen, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, an Typ-2-Diabetes zu erkranken (Bundesärztekammer et al. 2013). Der Anteil an Rauchern an der Bevölkerung in Deutschland war insbesondere bei jungen Menschen in den letzten Jahren rückläufig (Lampert et al. 2013), während der Anteil übergewichtiger Menschen mit über 50 % auf einem relativ hohen Niveau konstant geblieben und die Adipositasprävalenz auf mittlerweile 23% angestiegen ist (Mensink et al. 2013). Als Ansatzpunkte zur Eindämmung eines weiteren Anstiegs der Diabetesprävalenz kommen somit vorrangig wirkungsvolle lebensstilbezogene Strategien in Betracht. Es erscheint dabei sinnvoll, ganzheitliche Präventionsstrategien zu entwickeln, die auf den Lebensstil von Risikopatienten fokussiert sind und die Komplexität der oft interdependenten Risikofaktoren berücksichtigen. Idealerweise sollten diese Präventionsmaßnahmen schon im Kindes- und Jugendalter beginnen, um längerfristig und nachhaltig erfolgreich zu sein. Daher kommt Kindergärten und Schulen eine herausragende Bedeutung bei der Ausrichtung präventiver Programme zu. Es sind allerdings auch weitere Untersuchungen erforderlich, die mit geografiebasierten analytischen Verfahren auch kleinräumig den Zusammenhang zwischen potenziellen Einflussfaktoren auf die Diabetesentstehung beleuchten, um Präventionsprogramme zielgerichtet und regional fokussiert aufsetzen zu können. Hierzu wird der Versorgungsatlas auch in Zukunft weitere Analyseergebnisse und Beiträge vorlegen.
Ein zusätzlicher zukünftiger Anstieg der Diabetes-Prävalenz in Deutschland ist außerdem aufgrund der jüngsten Migrationsbewegungen denkbar. Neben dem pazifischen Raum (Ozeanien) hat Diabetes mellitus in den zurückliegenden drei Jahrzehnten insbesondere in vielen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas sowie Zentralasiens im weltweiten Vergleich überdurchschnittlich zugenommen. Dort wurden 2014 Prävalenzraten erreicht, die teilweise deutlich über denen in Zentraleuropa lagen (NCD Risk Factor Collaboration (NCD-RisC) 2016). In Abhängigkeit des Umfangs der Immigration aus Ländern des Nahen Ostens nach Deutschland ist nicht auszuschließen, dass dies bevölkerungsbezogen Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Diabetes-Prävalenz in Deutschland haben könnte, die darüber hinaus weitere spezifisch angepasste Präventionsmaßnahmen erforderlich machen würden.
In dieser Studie konnte eine deutschlandweite Vollerhebung ausgewertet werden, wobei alle Behandlungsfälle der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung erfasst wurden. Generell muss bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, dass es sich um die administrative Prävalenz der behandelten Diabeteserkrankten eines Jahres handelt, die in mindestens zwei Quartalen eine Diagnose erhalten haben (M2Q-Kriterium). Damit werden erstens unbehandelte Patienten nicht erfasst. Zweitens wurden nur Patienten als prävalent gezählt, die im jeweiligen Bezugsjahr das M2Q-Kriterium erfüllten. Dieses Vorgehen diente der Validierung der Diagnosen, wie sie bei Sekundärdatenstudien üblich ist (vgl. Ausführungen in Goffrier et al. 2017).
Nachträglich wurden weitere Analysen zur Prüfung der Datenqualität durchgeführt (Ergebnisse s. Goffrier et al. 2017). Erstens wurden die Studienpopulationen mit den KM6-Populationen der jeweiligen Jahre verglichen. Zweitens wurde die Prävalenz mit Medikationsdaten verglichen. Drittens wurde zur externen Validierung die Studie von Tamayo et al. 2016 herangezogen, deren Methodik auf den für diese Analyse verwendeten Datensatz übertragen wurde. Hierbei ergab sich eine Abweichung der rohen Prävalenz des Typ-2-Diabetes der Jahre 2009 und 2010 von maximal 0,1 Prozentpunkten.
Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass dem Diabetes mellitus eine immer größere Public Health-Relevanz zukommt. Dementsprechend kann die Bedeutung von effektiven Präventionsstrategien, die frühzeitig positiv auf den Lebensstil von Risikopatienten einwirken, gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. <<

Ausgabe 05 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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