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Informierte Entscheidung bei der Darmkrebsfrüherkennung

24.07.2017 10:20
Am 09. April 2013 ist das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz - (KFRG) in Kraft getreten. In diesem Gesetz wurden die zentralen Empfehlungen des Nationalen Krebsplans (Bundesministerium für Gesundheit 2012) aufgegriffen: neben der Einrichtung von flächendeckenden Einführung von Krebsregistern beinhaltet dies u.a. die Überprüfung der Altersgrenzen, eine Förderung der informierten Entscheidung, eine Optimierung der Informationsmaterialien und die begleitende Evaluationen von Früherkennungsmaßnahmen. Für Darm- und Gebärmutterhalskrebs sollen organisierte Früherkennungs-Programme angeboten werden, zu denen die Krankenkassen einladen. Mit der konkreten Ausgestaltung des KFRG wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt.

doi: 10.24945/MVF.05.17.1866-0533.2041

Abstract

Das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) sieht u.a. eine Stärkung der Darmkrebsfrüherkennung, insbesondere der informierten Entscheidung vor. In einem Pilotprojekt hat die Techniker Krankenkasse gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns die Umsetzung eines Einladungsverfahrens zur Darmkrebsfrüherkennung erprobt, bei dem die Effekte verschiedener Infomaterialien untersucht wurden. Schwerpunkt hierbei war die informierte Entscheidung, die mit einem validierten Fragebogen erhoben wurde. Teilnehmer, die eine evidenzbasierte Broschüre erhalten haben, haben signifikant häufiger eine informierte Entscheidung getroffen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass evidenzbasierte Informationsbroschüren und Anschreiben ein wichtiger Baustein sind, um einen ausreichenden Wissenstand über die Chance und Risiken einer Früherkennungsmaßnahme zu erlangen.

Informed choice and screening for colorectal cancer – Results from a pilot study in Bavaria
Strengthening early detection of colorectal cancer and enabling informed choice for participants of screening programs are mayor issues of the German „Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG)“. Therefore, TK and the Bavarian Association of Statutory Health Insurance Physicans (KVB) conducted a pilot study using a standardized invitation procedure. Aim of this study was to test the effect of different information materials. A survey using validated questionnaires was carried out to assess „informed decision making“ from the participants‘ perspective. Respondents receiving evidence-based materials were more likely to take an informed decision. The results of this study show that evidence-based materials are a central component to reach a sufficient state of knowledge on the chances and risks of early cancer detection.

Keywords
screening for colorectal cancer, informed choice, pilot study, shared decision making

Dr. biol. hum. Beate Bestmann, M.A.

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Zitationshinweis: Bestmann, B.: „Informierte Entscheidung bei der Darmkrebsfrüherkennung – Erfahrungen aus einem Pilotprojekt in und mit der KVB“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ 05/17, S. 50-54, doi: 10.24945/MVF.05.17.1866-0533.2041

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Plain-Text:

Informierte Entscheidung bei der Darmkrebsfrüherkennung

Am 09. April 2013 ist das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz - (KFRG) in Kraft getreten. In diesem Gesetz wurden die zentralen Empfehlungen des Nationalen Krebsplans (Bundesministerium für Gesundheit 2012) aufgegriffen: neben der Einrichtung von flächendeckenden Einführung von Krebsregistern beinhaltet dies u.a. die Überprüfung der Altersgrenzen, eine Förderung der informierten Entscheidung, eine Optimierung der Informationsmaterialien und die begleitende Evaluationen von Früherkennungsmaßnahmen. Für Darm- und Gebärmutterhalskrebs sollen organisierte Früherkennungs-Programme angeboten werden, zu denen die Krankenkassen einladen. Mit der konkreten Ausgestaltung des KFRG wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beauftragt.

>> Ein besonderer Fokus des KFRG liegt also auf der Stärkung der Patientenkompetenzen, sodass diese in die Lage versetzt werden – gemeinsam mit dem behandelnden Arzt – eine informierte Entscheidung zu treffen. Voraussetzung für eine informierte Entscheidung ist eine umfassende, evidenzbasierte und nicht von Interessen geleitete Beratung und Aufklärung der Anspruchsberechtigten. Auch wenn Früherkennungsmaßnahmen in der Allgemeinheit meist grundsätzlich positiv gesehen/bewertet werden, ist die Evidenzlage zur Darmkrebsfrüherkennung bei genauerer Betrachtung keineswegs völlig eindeutig: die Frage nach dem Nutzen, also ob populationsbezogene Massen-Screenings wirklich in der Lage sind, die Gesamtmortalität zu reduzieren, lässt sich anhand von Studien bislang nicht ausreichend belegen. Nicht übersehen sollte man darüber hinaus auch das Schadens-Potenzial von Früherkennungsmaßnahmen durch falsch positive Befunde, Überdiagnose und Übertherapie sowie möglicher Komplikationen bei der eigentlichen Früherkennungsuntersuchung (wie beispielsweise bei der großen Koloskopie). Die informierte Entscheidung sollte daher ein sorgfältiges Abwägen der Chancen und Risiken beinhalten, bei dem die Anspruchsberechtigten durch Informationsmaterial und – sofern gewünscht – ärztliche Beratung unterstützt werden. Die informierte Entscheidung wird dabei nicht nur verstanden als das Abwägen, ob eine Koloskopie oder ein Stuhltest durchgeführt wird. Sie kann unter Umständen auch bedeuten, dass der Betroffene sich bewusst gegen eine Früherkennungsmaßnahme entscheidet oder diese Entscheidung aufschiebt.
Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) hat die Techniker Krankenkasse ein Pilotprojekt gestartet, in dem die Umsetzung eines Einladungsverfahrens für anspruchsberechtigte Versicherte (d.h. Personen, die das 50. respektive 55. Lebensjahr vollendet haben) in Bayern erprobt wurde. Hierzu wurden zunächst alle Anspruchsberechtigten in der KV mit verschiedenen Informationspaketen angeschrieben und über Chancen und Risiken der Darmkrebsfrüherkennung informiert und im Anschluss (drei Monate nach Versand der Infopakete) befragt. Die Ergebnisse sollen Hinweise darauf geben, mit welchen Infomaterialien am besten eine informierte Entscheidung bei Versicherten erreicht werden kann.
Material und Methoden
Studienpopulation
Den Schnelltest auf nicht sichtbares (okkultes) Blut übernehmen Krankenkassen zwischen dem vollendeten 50. und dem 54. Lebensjahr jährlich. Ab dem 55. Lebensjahr werden entweder zwei Darmspiegelungen (Koloskopien) im Abstand von 10 Jahren oder alle zwei Jahre der Okkultbluttest übernommen. Dementsprechend waren die Zielgruppe und damit in die Studie eingeschlossen alle diejenigen TK-Versicherten in der KV Region Bayern, die ab dem Jahr 2013 das 50. bzw. 55. Lebensjahr vollenden. Die Anschreibe-Aktion erfolgte sukzessiv jeweils 1 Quartal nach Vollendung des 50. bzw. 55. Lebensjahres. Durch die kurze Zeitspanne zwischen Geburtstag (=Anspruch auf Früherkennung) und Informationsschreiben sollte sichergestellt werden, dass der Anteil der Anspruchsberechtigten, die aus eigenem Antrieb schon eine Früherkennungsmaßnahme durchgeführt haben, möglichst gering ist.

Studiendesign
Insgesamt gab es sechs verschiedene Informationspakete (evidenzbasiertes oder marketing-orientiertes Anschreiben kombiniert mit einer von drei Informationsbroschüren), die untersucht werden sollten. Die Studie ist daher konzipiert als prospektive, 6-armige randomisierte Studie. Die Zuordnung der Angeschriebenen zu einer der sechs Untersuchungsgruppen erfolgte nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung) mit Hilfe der SAS-Prozedur RANUNI.

Fragebögen
Fragebogen zur informierten Entscheidung
Der Fragebogen zur informierten Entscheidung (Steckelberg et al. 2011) enthält 14 Fragen zu den Bereichen Wissen, Einstellung und tatsächliche Inanspruchnahme (Uptake) von Maßnahmen der Darmkrebsfrüherkennung. Eine informierte Entscheidung trifft ein Befragter immer dann, wenn er über ein ausreichendes Wissen (≥ 4 von 8 möglichen Punkten) verfügt und eine Entscheidung über die Teilnahme trifft, die in Übereinstimmung mit dem der Einstellung des Befragten ist. Diese Übereinstimmung ist immer dann der Fall, wenn er Darmkrebsfrüherkennung sinnvoll findet und sie durchführen lässt oder wenn er sie für nicht sinnvoll hält und deshalb keine Früherkennung durchführen lässt.

Fragebogen zur Zufriedenheit im ambulanten Bereich (ZAP)
Der ZAP (Fragebogen zur Zufriedenheit in der ambulanten Versorgung – Qualität aus Patientenperspektive) (Bitzer et al. 2002) wurde als standardisiertes, patientenzentriertes Instrument der Patientenzufriedenheit entwickelt. Er besteht aus 27 Items, die zu 5 Dimensionen aggregiert werden: Praxisorganisation, Interaktion, Information, fachliche Kompetenz/Kooperation sowie Einbindung in Entscheidungsprozesse abgebildet. Alle Dimensionen rangieren von 0 bis 100, wobei höhere Werte für eine höhere Zufriedenheit stehen.

ZAPA
In der zweiten Stufe der Studie wurde die Patientenzufriedenheit mit dem „Fragebogen zur Zufriedenheit in der ambulanten Versorgung – Schwerpunkt Patientenbeteiligung (ZAPA) erhoben (Scholl et al. 2011). Es handelt sich hierbei um die Kurzform des ZAP, die aus vier Einzelitems besteht, die zu einer Dimension zugefasst werden. Wie beim ZAP wird auch beim ZAPA-Summenwert linear auf 0-100 transformiert, wobei höhere Werte für eine höhere Zufriedenheit stehen. Der Summenwert wird immer dann berechnet, wenn für alle vier Items verwertbare Daten vorliegen, ansonsten wird sie auf Fehlen („missing“) kodiert.

Studienablauf
Die Studie hatte einen zweistufigen Aufbau. In der ersten Stufe wurden die Versicherten angeschrieben und zur Auseinandersetzung mit dem Thema Darmkrebsfrüherkennung aufgefordert. Sie haben darüber hinaus die Möglichkeit, sich beim Arzt ihres Vertrauens zu diesem Thema beraten zu lassen. In der zweiten Projektstufe werden die teilnehmenden Ärzte im Rahmen einer Online-Fortbildung speziell geschult (Themenfelder: Evidenzbasierte Medizin und partizipative Entscheidungsfindung). Abgesehen von der Schulung der Ärzte ist der Ablauf beider Stufen identisch:
Im ersten Schritt werden alle anspruchsberechtigten TK-Versicherten aus Bayern selektiert. Im zweiten Schritt werden die Versicherten zufällig auf die 6 Studienarme (Marketinganschreiben plus Broschüre TK versus Marketinganschreiben plus Broschüre IQWiG versus Marketinganschreiben plus Broschüre KVB versus evidenzbasiertes Anschreiben plus Broschüre TK versus evidenzbasiertes-Anschreiben plus Broschüre IQWiG versus evidenzbasiertes-Anschreiben plus Broschüre KVB) verteilt (randomisiert). Von den drei Broschüren waren zwei (Broschüre TK und Broschüre IQWiG) evidenzbasiert und sehr umfangreich, während die dritte (Broschüre KVB) vom Umzug deutlich kürzer und nicht den Anspruch erhebt, evidenzbasiert zu sein. Jeder Versicherte erhielt postalisch die entsprechenden Unterlagen und die Einladung, sich mit dem Thema Darmkrebs-Früherkennung auseinanderzusetzen. Der Brief enthielt neben dem Fragebogen zur informierten Entscheidung auch einen Fragebogen zur Patientenzufriedenheit (ZAP-Fragebogen zur Zufriedenheit in der ambulanten Versorgung – Qualität aus Patientensicht.), der u.a. die Zufriedenheit mit der Einbindung in medizinische Entscheidungsprozesse abgefragt hat.
Ergebnisse
Ergebnisse aus Stufe 1
Nach Abschluss von Stufe 1 lagen Daten von insgesamt 4.932 Personen vor, von denen 53,8% männlich und 46,2% weiblich waren (1,4% keine Angabe). Die Altersgruppe der 50-Jährigen waren mit 55,9% etwas stärker vertreten als die der 55-Jährigen mit 44,1%. Für 1,4% der Befragten lagen keine Angaben zum Alter vor. Sowohl bei den 50- wie auch bei den 55-Jährigen war der Anteil der Männer etwas höher als der der Frauen. Bei Betrachtung nach Anschreiben zeigte sich, dass die evidenzbasierten Anschreiben einen etwas höheren Rücklauf generiert haben, als die werblichen Anschreiben. Aus diesem Grund wurde in der zweiten Stufe nur noch das evidenzbasierte Schreiben verwendet.

Informierte Entscheidung
In der Auswertung wurde die informierte Entscheidung in zwei Varianten dargestellt: Variante 1 ist die strenge Auslegung des Konzeptes,  bei der nur die Versicherten als „informierte Entscheidung“ klassifiziert wurden, die tatsächlich berichteten, dass Sie schon an einer Früherkennungsmaßnahme teilgenommen hatten. In Variante 2 wurden auch die Befragten als „informierte Entscheidung“ klassifiziert, die angegeben haben, dass sie planen, an einer Früherkennungsmaßnahme teilzunehmen. Da zwischen dem Versand der Infomaterialien und der Befragung ein Zeitfenster von drei Monaten lag, könnte der Zeitraum möglicherweise auch sehr knapp sein, um sich zu informieren und dann einen Termin beim Arzt zu bekommen und die Früherkennung durchführen zu lassen. Aus diesem Grund werden im Folgenden beide Varianten gleichberechtigt nebeneinander dargestellt.
Bei Betrachtung der informierten Entscheidung in der strengen Auslegung (Variante 1, nur Befragte eingeschlossen, die angegeben hatten, dass sie tatsächlich an einer Früherkennung teilgenommen haben) zeigten sich signifikante Unterschiede für die Befragten, die eine Broschüre der KVB erhalten hatten. Bei den Befragten mit evidenzbasierter Broschüre ist der Anteil derer, die eine informierte Entscheidung getroffen haben, deutlich höher als bei denjenigen, die keine evidenzbasierte Broschüre erhalten hatten. Dieser Unterschied verringerte sich bei Betrachtung von Variante 2, bei der auch Teilnehmer eingeschlossen wurden, die angaben, dass sie planen an einer Früherkennungsmaßnahme teilzunehmen.
Bei der Testung auf Unterschiede bezüglich soziodemografischer Charakteristika der Befragten zeigten sich statistisch signifikante Unterschiede in Bezug auf die Bildung: der Anteil von Befragten mit informierter Entscheidung ist bei Befragten mit Hauptschulabschluss oder ohne Abschluss signifikant niedriger als bei den übrigen Befragten. Diese Befunde fanden sich sowohl in der Variante 1 wie in der Variante 2. Ansonsten zeigte sich der Trend, dass die weiblichen Befragten tendenziell eher eine informierte Entscheidung fällen, dies ist jedoch nur in der strengen Auslegungen statistisch signifikant.

Patientenzufriedenheit
Bei Analyse der Patientenzufriedenheit zeigt sich eine deutlich reduzierte Ausfüllquote des ZAP-Fragebogen: Hier lagen je nach Skala nur für 47-52% der Befragten Angaben vor. Insgesamt lagen die Zufriedenheitswerte aus der vorliegenden Studie sehr dicht an den Referenzwerten. Die Werte der Skalen „Interaktion“ und „Information“ lagen leicht unter den Referenzwerten, die Werte der Skala „Einbindung in Entscheidungsprozesse“ liegen leicht über den Referenzwerten.
Bei Betrachtung der Werte für die Skala „Einbindung in Entscheidungsprozesse“ gesplittet nach den sechs Untersuchungsgruppen, so zeigten sich auch hier keine wesentlichen Unterschiede. Auch bei Unterscheidung der drei Broschüren fanden sich keine signifikanten Unterschiede in der Zufriedenheit mit der Einbindung in Entscheidungsprozesse.

Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen
Mehr als 90% der Befragten insgesamt gaben an, dass sie die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen auf Darmkrebs für sinnvoll hielten. Es zeigten sich jedoch keine statistisch signifikanten Unterschiede in Abhängigkeit davon, welche Broschüre verschickt wurde. Bei den Befragten mit IQWiG-Broschüre war der Anteil derer, die die Sinnhaftigkeit der Darmkrebsfrüherkennung hinterfragten („eher nicht sinnvoll“) etwas höher als bei den Befragten mit TK oder KVB-Broschüre. Dieser Unterschied war jedoch nicht statistisch signifikant.
Insgesamt wurde die Beratung zur Darmkrebsfrüherkennung am häufigsten wahrgenommen. In allen drei Gruppen gab fast ein Drittel der Befragten an, diese in Anspruch genommen zu haben; bei den Teilnehmern mit IQWiG-Broschüre war der Anteil jedoch etwas niedriger als bei den Teilnehmern mit TK- oder KVB-Broschüre. Die selbstberichtete Inanspruchnahme einer Darmspiegelung lag bei allen drei Broschüren auf einem vergleichbaren Wert um die 10%. Die Teilnahme an der Früherkennung mit Okkultblut-Test wird den Teilnehmern mit KVB-Broschüre am geringsten in Anspruch genommen, dieser Unterschied war auch statistisch signifikant. Sowohl für die Altersgruppe 50 wie auch 55 Jahre zeigte sich: je weniger invasiv das Früherkennungsverfahren, desto höher war die Inanspruchnahme. Für die Gruppe der 50-jährigen besteht noch kein Anspruch auf Darmspiegelung als Darmkrebsfrüherkennungsmaßnahme, die hier berichteten Inanspruchnahmen beziehen sich daher wahrscheinlich auf kurative Koloskopien. Die selbstberichtete Inanspruchnahme rangierten zwischen 6,3 und 7,5%. Zwischen 15,2 und 19,1% der Befragten gaben an, dass sie in den letzten 4 Monaten an einer Darmkrebsfrüherkennung mit Okkultblut-Test teilgenommen hatten. Hier war die Teilnahme bei den Befragten mit KVB-Broschüre etwas geringer als bei den Teilnehmern mit IQWiG- oder TK-Broschüre. Die (selbstberichtete) Teilnahme an einer Beratung fiel bei den Teilnehmern mit IQWiG-Broschüre (22,7%) geringer aus, als bei den Befragten mit TK-Broschüre (25,4%) oder KVB-Broschüre (24,8%).
In der Altersgruppe 55 Jahre fiel die Inanspruchnahme für Darmspiegelung und Beratung höher aus als bei den jüngeren Befragten, aber auch hier galt: je weniger invasiv das Verfahren, desto höher war die Inanspruchnahme der Befragten. Besonders deutlich war die höhere Inanspruchnahme von Beratung bei den 55-Jährigen, die bei den Teilnehmern mit allen drei Broschüren bei mehr als einem Drittel lag, bei den Teilnehmern mit TK-Broschüre sogar bei 40%. Die selbstberichtete Inanspruchnahme einer Darmspiegelung war auch hier für alle drei Broschüren annähernd vergleichbar. Bei der Früherkennung mittels Okkultblut-Test wurde von den Teilnehmern mit KVB-Broschüre die niedrigste Inanspruchnahme berichtet (15,6% versus 20,6% bei TK-Broschüre bzw. 18,4% mit IQWiG-Broschüre). Bei der Gegenüberstellung aller sechs Untersuchungsgruppen (Anschreiben X Infobroschüre), zeigte sich der Trend, dass die Befragten mit evidenzbasiertem (IQWiG) Anschreiben eine geringfügig niedrigere Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen mittels Darmspiegelung berichteten, als die Teilnehmer mit werblichem (TK) Anschreiben.

Ergebnisse aus Stufe 2
In Stufe 2 wurde nur noch das evidenzbasierte Anschreiben versendet, sodass die Auswertung sich nur noch auf drei Untersuchungsgruppen (entsprechend einer der drei Broschüren) bezieht. Insgesamt lagen für die zweite Stufe 2.724 Antworten vor. In beiden Altersgruppen war der Anteil der männlichen Befragten etwas höher als der der weiblichen. Fast ein Drittel (30,0%) der Befragten verfügte über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss. 14,6% gaben Abitur oder Fachhochschulreife, 32,5% Mittlere Reife an. Weitere soziodemografische Parameter wurden nicht abgefragt.

Informierte Entscheidung
Sowohl in Variante 1 wie in Variante 2 war es so, dass bei den Befragten mit IQWiG-Broschüre der Anteil derer, die eine informierte Entscheidung treffen, signifikant höher ist, als bei den Befragten mit TK- oder KVB-Broschüre.
In Hinblick auf die soziodemografischen Merkmale zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten, den Altersgruppen (50 versus 55 Jahre) und in Hinblick auf den Bildungsabschluss.

Patientenzufriedenheit
Die Auswertungen für Stufe 1 haben gezeigt, dass die Fragen zur Patientenzufriedenheit (in Stufe 1 erhoben mit dem ZAP-Fragebogen) von etwa 50% der Studienteilnehmer nicht beantwortet wurden, d.h. der Anteil fehlender Werte (Missings) betrug ca. 50%. Aufgrund der Hypothese, dass dies möglicherweise auf die Länge des Fragebogens zurückzuführen ist und möglicherweise auch nicht alle Dimensionen des ZAP als relevant für die Befragung betrachtet werden, wurde in Stufe 2 die Kurzform ZAPA (Fragebogen zur Zufriedenheit in der ambulanten Versorgung – Schwerpunkt Patientenbeteiligung) eingesetzt.
Insgesamt lagen verwertbare ZAPA-Daten für 1.159 Befragten vor, d.h. die Anzahl der fehlenden Werte hat sich durch den Einsatz der Kurzversion ZAPA leider nicht signifikant verringert. Betrachtet man die Zufriedenheit in Abhängigkeit von der versendeten Informationsbroschüre, so fanden sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Gruppen. Insgesamt waren die Zufriedenheitswerte jedoch etwas höher als in Stufe 1.

Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen
Mehr als 90% der Befragten insgesamt gaben an, dass sie die Teilnahme an Früherkennungsuntersuchungen auf Darmkrebs für sinnvoll halten. Es zeigten sich jedoch statistisch signifikante Unterschiede in Abhängigkeit davon, welche Broschüre verschickt wurde. Bei den Befragten mit IQWiG-Broschüre war der Anteil derer, die die Sinnhaftigkeit der Darmkrebsfrüherkennung hinterfragten („eher nicht sinnvoll“) etwas höher als bei den Befragten mit TK- oder KVB-Broschüre.
Insgesamt wurde auch in Stufe 2 die Beratung zur Darmkrebsfrüherkennung am häufigsten wahrgenommen. In allen drei Gruppen gab fast ein Drittel der Befragten an, diese in Anspruch genommen zu haben. Während die Teilnehmer mit IQWiG-Broschüre häufiger einen Okkultblut-Test in Anspruch nahmen, waren bei den Befragten mit TK-Broschüre die selbstberichteten Inanspruchnahmen von Darmspiegelung und Beratung leicht höher als in den anderen Gruppen, diese Unterschiede waren jedoch statistisch nicht signifikant.
Sowohl für die Altersgruppe 50 wie auch 55 Jahre zeigte sich: je weniger invasiv das Früherkennungsverfahren, desto höher fiel auch die Inanspruchnahme aus. Für die Gruppe der 50-jährigen bestand noch kein Anspruch auf Darmspiegelung als Darmkrebsfrüherkennungsmaßnahme, die hier berichteten Inanspruchnahmen müssen  sich daher auf kurative Koloskopien beziehen. Weiterhin gaben 16,6% der Befragten an, dass sie in den letzten 4 Monaten an einer Darmkrebsfrüherkennung mit Okkultblut-Test teilgenommen haben. Mehr als ein Viertel (25,1%) hat eine Beratung in Anspruch genommen.
In der Altersgruppe 55 Jahre fiel die Inanspruchnahme für Darmspiegelung und Beratung höher aus als bei den jüngeren Befragten, aber auch hier zeigte sich: je weniger invasiv das Verfahren, desto höher ist die Teilnahmebereitschaft bzw. Inanspruchnahme der Befragten. Besonders deutlich war die höhere Inanspruchnahme von Beratung bei den 55-Jährigen.
Fazit
Grundsätzlich hat sich das von der KVB und der TK konzipierte Einladungsverfahren als in der Praxis gut umsetzbar erwiesen. In der ersten Stufe des Projektes wurden 6 verschiedene Informations-pakete verschickt. Die Zuteilung der Versicherten zu den Informationspaketen erfolgte nach dem Zufallsprinzip (Randomisierung). Mit dem evidenzbasierten Anschreiben ließ sich ein (mindestens 3%) höherer Rücklauf der angeschriebenen Versicherten erzielen als mit dem werblichen Anschreiben.
Unabhängig von der Broschüre werden Früherkennungsmaßnahmen von einem Großteil der Befragten (>90%) als sinnvoll eingeschätzt. Tendenziell sehen die Teilnehmer mit evidenzbasiertem Anschreiben und IQWiG-Broschüre die Darmkrebsfrüherkennung etwas kritischer, dieser Unterschied ist jedoch nicht statistisch signifikant.
Studienteilnehmer, die in Stufe 1 eine evidenzbasierte Informationsbroschüre (TK oder IQWiG) erhielten, haben signifikant häufiger eine informierte Entscheidung getroffen. In Stufe zwei haben die Befragten mit IQWiG-Broschüre signifikant häufiger eine informierte Entscheidung getroffen. Der Anteil informierter Entscheidungen nach KVB- oder TK-Broschüre war vergleichbar.
In der Patientenzufriedenheit zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in Hinblick auf Infopakete, Broschüren oder Anschreiben. Auch diejenigen Befragten, die eine informierte Entscheidung getroffen haben, waren nicht zufriedener im Hinblick auf die Patientenbeteiligung in der ambulanten Versorgung als die Befragten, die keine informierte Entscheidung getroffen haben.
In Hinblick auf die (selbstberichtete Inanspruchnahme) zeigt sich der Trend, dass die Inanspruchnahme umso höher ausfällt, je weniger invasiv das Verfahren ist, d.h. die höchste Inanspruchnahme findet sich bei der Beratung mit ca. 30% über alle Gruppen hinweg. Den Test auf Okkultblut nahmen zwischen 14-20% der Befragten in Anspruch und die Inanspruchnahme der Koloskopie liegt in allen Gruppen und beiden Stufen bei ca. 10%.
Der Anteil von Befragten mit informierter Entscheidung fällt in der zweiten Stufe (nach Schulung der Ärzte) nicht höher aus als in Stufe 1. Die Zufriedenheit der Patienten ist jedoch höher.
Das Krebsfrüherkennungs- und -registergesetz (KFRG) sieht u.a. eine Stärkung der Darmkrebsfrüherkennung, insbesondere der informierten Entscheidung vor. Wissenschaftlich operationalisiert ist eine informierte Entscheidung nur dann möglich, wenn der Betroffene über ein ausreichendes Wissen verfügt und die Inanspruchnahme mit der Einstellung des Betroffenen in Einklang ist. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass evidenzbasierte Informationsbroschüren ein wichtiger Baustein sind, um einen ausreichenden Wissenstand über die Chance und Risiken einer Früherkennungsmaßnahme zu erlangen. <<

Ausgabe 05 / 2017

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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