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„Wir brauchen eine Daten-Ethik-Erklärung“

24.07.2017 14:00
Die nächste medizinische Revolution wird kein Medikament sein, nicht einmal aus extra dafür neu programmierten Bites und Bytes bestehen, sondern sich aus der klugen, sicheren und sinnstiftenden Zusammenführung und Nutzung bestehender Daten entwickeln. Damit ließen sich Prognosen über die gesundheitliche Entwicklung eines Patienten machen, sofern er dies wünscht und zulässt. Damit könnte man zum Beispiel ebenso abschätzen, wie hoch das Risiko eines an Diabetes erkrankten Menschen ist, in den kommenden 12 Monaten ins Krankenhaus zu müssen. Und telemedizinische Modelle könnten helfen, die Versorgung im ländlichen Raum, wo es nicht mehr genug Ärzte gibt, auch weiterhin sicherzustellen.

>> Damit diese Vision, die so oder so immer mehr in die Realität eintreten wird, braucht es nicht nur eine gesellschaftlich konsentierte Formulierung des Grundverständnisses zur Digitalisierung im Gesundheitswesen, sondern auch eine offene und zukunftsgewandte Diskussion nicht nur über die Problemfelder (wie es der oft instrumentalisierte Datenschutz ist), sondern vor allem über die ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte und Chancen der Datennutzung, wie sie der Deutsche Ethikrat mit einer öffentlichen Befragung zum Thema „Big Data und Gesundheit“ angestoßen hat.
Ein zentrales Thema ist – wie das WINEG in seiner entsprechenden Stellungnahme ausgeführt hat – die informationelle Selbstbestimmung, für die in einem weit über 30 Jahre alten Urteil (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 15. Dezember 1983, 1 BvR 209/83) zwar Maßstäbe gesetzt wurden, das aber aus heutiger Sicht die Entwicklungen vor allem der letzten Jahre einfach nicht antizipieren konnte. So sind die in diesem Urteil geforderten Güterabwägungen mit anderen Grundrechten im Lichte der beschleunigten Digitalisierung zu sehen, womit man zu einem anderen Verständnis von Datenschutz kommen würde. Selbstredend können sich nur die Menschen, die ihre vertraulichen Informationen bestmöglich geschützt wissen, dem Medizin- und Gesundheitssystem anvertrauen – das ist die Grundvoraussetzung, die daher auch nicht diskutabel ist. Doch im besten Sinne der informationellen Selbstbestimmung muss dem Einzelnen auch das Recht zugestanden und gewährt werden, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen – denn das ist die Voraussetzung für einen patientenorientierten Einsatz von Big Data. Würden jedoch diese Daten ohne Zustimmung der Betroffenen gesammelt und genutzt, wäre die informationelle Selbstbestimmung unterminiert. Aus diesem Grund hat die TK – wie andere Kassen auch – seit langem freiwillig ihre Positionen formuliert und berücksichtigt diese bei ihren technischen Angeboten wie Apps oder der elektronischen Gesundheitsakte.
Empfehlenswert wäre jedoch jenseits dieser freiwilligen Ebene eine verpflichtende „Daten-Ethik-Erklärung“ all jener, die mit diesen Daten umgehen oder sie speichern oder auswerten, in der sie sich auf klare Bedingungen regelgerechter Verfahren verpflichten. Auf Basis dieser „Digitalen Grundrechtecharta“ könnten zum einen Versicherungen und auch Internetkonzerne zur Transparenz hinsichtlich Datenspeicherung und -nutzung und zur Einholung informierter Einwilligungen verpflichtet, zum anderen Patienten und Versicherte als Eigentümer ihrer Daten festgeschrieben werden.
Bei allen Veränderungen und der Notwendigkeit, Neues zu gestalten, müssen wir uns unseres Fundamentes bewusst bleiben. Im deutschen Gesundheitswesen ist dies das Solidarprinzip: Die Versicherten stehen gegenseitig füreinander ein, die Mitglieder bezahlen die Beiträge abhängig von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit und völlig unabhängig von Alter, Geschlecht oder persönlichem Krankheitsrisiko. Das genießt große Wertschätzung in der Bevölkerung, zeigt unter anderem der aktuelle „Meinungspuls Gesundheit“ der TK, eine bevölkerungsrepräsentative Studie: 83 Prozent stehen hinter diesem Prinzip, und die größte Unterstützung erfährt der Solidaritätsgedanke gerade bei den jungen Menschen. In der Altersgruppe der 18- bis 39-Jährigen stehen sogar 88 Prozent dahinter. Neues muss Fundamente aber nicht kippen; das ist wichtig in Zeiten von Big Data, das es erstmals erlaubt, Patienten bzw. Versicherte in kleine und kleinste Risikogruppen aufzuteilen, um mit Hilfe prädiktiver Modelle personalisierte Vorhersagen zu erstellen.
Das ist zum einen positiv, weil mit Hilfe der damit generierten Informationen der Patient gemeinsam mit seinem Arzt aktiv werden kann. Zum anderen kann es aber auch problematisch sein, würde das „Predictive modelling“ auf der Ebene des einzelnen Versicherten realisiert. Das Verhältnis zwischen Versicherung und einzelnem Versicherten im besten Fall neu definiert, andererseits aber auch das Potenzial hat, das solidarische Grundprinzip der GKV zu konterkarieren. Für Letzteres gibt es derzeit allerdings, wie oben dargelegt, keine Zustimmung in der breiten Mehrheit der Bevölkerung. In diesem Zusammenhang unter ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten zu diskutierende Fragenkomplexe sind: Kann die sogenannte „We-Medicine“ mit den der neuen „Me-Medicine“ (Dickenson) vereint werden? Wie können trotz des wachsenden Einflusses von Risikoprofilen im Gesundheitswesen sogenannte „Pay-as-you-live“-Tarife in der GKV verhindert werden? Und: Wie kann angesichts der digitalen Revolution die Freiwilligkeit für die Versicherten erhalten bleiben, digitale Angebote wie die elektronische Gesundheitsakte anzunehmen oder nicht? Diese Freiheit setzt ja voraus, dass bei Nichtnutzung keine Nachteile entstehen, damit „Off-Liner“ oder „Analoge“ ebenso Anspruch auf eine qualitativ gleichwertige Versorgung haben wie „On-Liner“ und „Digitale“. <<

Zitationshinweis : Meusch, A.: „Wir brauchen eine Daten-Ethik-Erklärung“, in „Monitor Versorgungsforschung“ (05/17), S. 35; doi: 10.24945/MVF.05.17.1866-0533.2038

Ausgabe 05 / 2017

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