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Versorgung von Patienten mit Demenz vor und nach Erstdiagnose

Die Diagnose Demenz ist für viele Betroffene und deren Angehörige eine enorme emotionale und auch finanzielle Belastung. Gleichzeitig ist sie für die Gesellschaft eine große Herausforderung in kultureller und politischer Hinsicht. Behandlungsmöglichkeiten bestehen nicht. So gilt es für alle Beteiligten, mit Demenz leben zu lernen und Wege zu finden, die ihnen trotz der Krankheit ein gutes Leben ermöglichen (vgl. Klie 2017). Demenz ist die häufigste „psychische“ Erkrankung im höheren Lebensalter und einer der häufigsten Gründe für eine Pflegebedürftigkeit. Die verbreitetsten Formen der Demenz sind zum einen die Alzheimer-Krankheit (ICD-Codes F00. & G30.) und zum anderen die vaskuläre Demenz (ICD F01.), die durch Schädigungen der Blutgefäße des Gehirns verursacht wird. Des Weiteren gibt es sekundäre Formen der Demenz (F02.), z. B. in Verbindung mit Parkinson oder HIV, und nicht näher bezeichnete Formen der Demenz (F04.). Diese fünf ICD-Codes wurden im Rahmen der Analyse herangezogen, um Patienten mit Demenz und einer Pflegestufe zu identifizieren.

http://doi.org/10.24945/MVF.05.18.1866-0533.2098

Abstract

Die Prävalenz demenzieller Erkrankungen in Deutschland liegt bei 16,7 Patienten pro 1.000 Einwohner, wenn die Versichertenpopulation der DAK entsprechend hochgerechnet wird. Das entspricht etwa 1,4 Millionen Menschen in der Gesamtbevölkerung, wobei jährlich etwa 282.000 Erkrankte neu hinzukommen (Inzidenz). Etwa 70% der Demenzpatienten sind weiblich, knapp die Hälfte wird spätestens ein Jahr nach der Erstdiagnose vollstationär gepflegt. Besonders stark steigen im Zusammenhang mit der Erstdiagnose die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen und Krankenhausbehandlungen. Im Krankenhaus kommt es signifikant häufiger zu Behandlungsfällen aufgrund von Flüssigkeitsmangel, Verwirrtheit und verschiedensten Knochenbrüchen. Bei der Betrachtung der regionalen Verteilung zeigen sich deutliche regionale Unterschiede. Während sich in den östlichen Bundesländern sowie in Bayern, im Saarland und im Ruhrgebiet eher überdurchschnittlich viele Krankenhausfälle pro 1.000 Demenzpatienten beobachten lassen, sind es in Hessen und Baden-Württemberg vergleichsweise geringe Werte. Die für die Versorgung von Demenzpatienten eher als bedenklich eingestuften Psycholeptika werden verstärkt in einzelnen Regionen von Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eingesetzt, im Osten hingegen finden sie eher weniger Anwendung.

Care of Patients with Dementia and Changes in Service Utilization after the Initial Diagnosis
Based on projections of beneficiaries of the German statutory health insurance company DAK the prevalence of dementia in Germany is about 16.9 patients per 1,000 inhabitants. This would sum up to 1.4 million people in the entire population of Germany, whereas 282,000 people would add newly to this population (incidence). About 70% of the dementia patients are female, nearly one half is taken care of in the setting of a professional nursing home latest one year after their first diagnosis of dementia. An especially strong growth in service utilization can be monitored in care and hospital services after the first diagnosis of dementia. In the case of hospital care the main reasons for admission are dehydration, disorientation and different kinds of fractures. Looking at regional variation significant differences can be observed. While in the eastern federal states as well as in Bavaria, Saarland and in the Ruhr area the amounts of hospital cases per 1,000 dementia patients are larger than average the opposite can be observed in Hessen and Baden Wuerttemberg. Psycholeptics which at least are considered as critical in the care of dementia patients are in a higher proportion of dementia patients used in several regions of Bavaria, Baden-Wuerttemberg and North Rhine-Westphalia whereas they are rather reluctantly prescribed in the Eastern states of Germany.

Keywords
dementia, care dependency, claims data analysis, regional variation, health services research

Dipl.-Kfm. Timo Schulte, MBA / Laura Lange, M.Sc. Statistics / Prof. Dr. jur. habil. Thomas Klie /
Dr. h.c. rer. medic. Helmut Hildebrandt / Univ-Prof. Dr. rer. pol. Sabine Bohnet-Joschko /
Dipl.-Ges.oec. (FH) Milorad Pajovic / Dipl.-Volksw. Andreas Storm

Literatur: Gao, S./Hendrie, H. C./Hall, K. S./Hui S. (1998): The relationships between age, sex, and the incidence of dementia and Alzheimer disease. In: Arch Gen Psychiatry 1998, 55, 9: 809-815
Katon, W./Pedersen, H. S./Ribe, A. R. et al. (2015): Effect of Depression and Diabetes Mellitus on the Risk for Dementia – A National Population-Based Cohort Study. In: JAMA Psychiatry 2015, 72, 6: 612-619
Klie, T. (2017): DAK Pflegereport 2017. Leben mit Demenz, Heidelberg: medhochzwei Verlag
Lange, L./Schulte, T./Dittmann, B./Hildebrandt, H. (2017): Regionale Verteilung der Demenz sowie Inanspruchnahme vor und nach Erstdiagnose. In: Storm (Hrsg.): Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung (Band 19). Pflegereport 2017. Gutes Leben mit Demenz: Daten, Erfahrungen und Praxis. Heidelberg: medhochzwei Verlag. 50-95
Lüders, S./Schrader, J. (2009): Demenz und Hypertonie. In: Der Nephrologe 2009, 4, 1: 497-498
Swart, E./Gothe, H./Geyer, S. et al. (2015): Gute Praxis Sekundärdatenanalyse (GPS): Leitlinien und Empfehlungen. In: Das Gesundheitswesen 2015, 77, 02: 120-126
Ziegler, U./Doblhammer, G. (2009): Prävalenz und Inzidenz von Demenz in Deutschland – Eine Studie auf Basis von Daten der gesetzlichen Krankenversicherungen von 2002. Rostocker Zentrum Diskussionspapier. In: http://www.rostockerzentrum.de/content/publikationen/rz_diskussionpapier_24.pdf

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Zitationshinweis: Schulte et al.: „Versorgung von Patienten mit Demenz vor und nach Erstdiagnose“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (05/18), S. 41-46; doi: 10.24945/MVF.05.18.1866-0533.2098

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Versorgung von Patienten mit Demenz vor und nach Erstdiagnose

Die Diagnose Demenz ist für viele Betroffene und deren Angehörige eine enorme emotionale und auch finanzielle Belastung. Gleichzeitig ist sie für die Gesellschaft eine große Herausforderung in kultureller und politischer Hinsicht. Behandlungsmöglichkeiten bestehen nicht. So gilt es für alle Beteiligten, mit Demenz leben zu lernen und Wege zu finden, die ihnen trotz der Krankheit ein gutes Leben ermöglichen (vgl. Klie 2017). Demenz ist die häufigste „psychische“ Erkrankung im höheren Lebensalter und einer der häufigsten Gründe für eine Pflegebedürftigkeit. Die verbreitetsten Formen der Demenz sind zum einen die Alzheimer-Krankheit (ICD-Codes F00. & G30.) und zum anderen die vaskuläre Demenz (ICD F01.), die durch Schädigungen der Blutgefäße des Gehirns verursacht wird. Des Weiteren gibt es sekundäre Formen der Demenz (F02.), z. B. in Verbindung mit Parkinson oder HIV, und nicht näher bezeichnete Formen der Demenz (F04.). Diese fünf ICD-Codes wurden im Rahmen der Analyse herangezogen, um Patienten mit Demenz und einer Pflegestufe zu identifizieren.

>> Für die Analyse, die im Rahmen des DAK Pflegereportes 2017 durchgeführt wurde, standen GKV-Routinedaten sowie Daten der sozialen Pflegeversicherung der DAK-Gesundheit von demenzkranken Pflegebedürftigen für die Jahre 2014 bis 2016 zur Verfügung. Für jedes Jahr konnten die Daten von etwa 100.000 Demenzpatienten analysiert werden. Insgesamt umfasste der Datensatz neben pseudonymisierten Stammdaten Informationen zur Versorgung durch ambulante Ärzte oder durch häusliche Krankenpflege, im Krankenhaus, mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln sowie Fahrtkosten und Pflegeleistungen wie z. B. die vollstationäre Versorgung in Pflegeheimen.
Der gesamte Datenbestand wurde genutzt, um Prävalenz und Inzidenz der Demenz zu ermitteln sowie regionale Unterschiede auf der Ebene von Landkreisen zu untersuchen. Darüber hinaus wurde ein Teildatensatz von 17.450 Demenzpatienten ausgewertet, die im Jahr 2015 erstmalig eine Demenzdiagnose erhalten haben. Für die Analyse des Zeitraumes vor und nach der ersten Demenzdiagnose wurden relative Zeiträume gebildet, wobei der Tag der ersten Demenzdiagnose bzw. der erste Tag des entsprechenden Quartals im ambulanten Bereich den individuellen Zeitpunkt t0 darstellt. In Folge wurden die 364 Tage vor und nach der Erstdiagnose als relatives Jahr mit je vier relativen Quartalen zu je 91 Tagen untersucht. Die methodischen Empfehlungen der „Gute Praxis Sekundärdatenanalyse“ wurden berücksichtigt (Swart et al. 2015). Um Aussagen über die Stärke des Effekts einer Demenzdiagnose auf das Leistungsinanspruchnahmeverhalten treffen zu können, wurde das relative Risiko (RR) berechnet.
Prävalenz und Inzidenz der Demenz
Die auf Basis der Abrechnungs-Routinedaten der DAK-Gesundheit ermittelte durchschnittliche administrative Prävalenz aus den dokumentierten Diagnoseinformationen der ambulanten und stationären Versorgungssektoren der Jahre 2014 bis 2016 beträgt ca. 1,67%. Rechnet man diese administrative Prävalenz der DAK-Population hoch auf die deutsche Gesamtbevölkerung von etwa 82,2 Mio., leiden durchschnittlich etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland an einer Demenzerkrankung (Ø: 16,69 Demenzkranke pro 1.000 Einwohner). Dieses Ergebnis deckt sich weitgehend mit vergleichbaren Auswertungen (Ziegler/Doblhammer 2009). Lediglich bei 2,80% der Patienten wurde eine „präsenile Demenz“ im Alter unter 65 Jahren dokumentiert. Weiterhin sind hauptsächlich weibliche Patienten von einer Demenz betroffen. Etwa 71,7% aller pflegebedürftigen Demenzpatienten waren weiblich. Dabei haben Frauen tendenziell eine etwas höhere Pflegestufe als Männer, denn ca. 3/4 aller Frauen befinden sich in der höchsten Pflegestufe, aber nur etwa 2/3 der Männer. Die durchschnittliche Anzahl an Neuerkrankungen (Inzidenz) im Jahr 2015 belief sich in den Abrechnungsdaten auf ca. 0,34% bzw. erkranken pro Jahr etwa 3,43 Patienten pro 1.000 Einwohner neu an einer Demenz. Hochgerechnet auf die deutsche Gesamtbevölkerung entspricht dies ca. 282.000 Demenz-Neuerkrankten pro Jahr. Von einer Neuerkrankung wurde ausgegangen, wenn im gesamten Vorjahr 2014 noch keine Demenzdiagnose in den GKV-Abrechnungsdaten dokumentiert war. Da Demenz eine chronische Erkrankung ist und in der Regel regelmäßige Arztkontakte bei Patienten stattfinden (ca. 96% der Demenzpatienten haben mindestens einmal pro Quartal Kontakt zu ambulanten Ärzten), dürfte die tatsächliche Demenz-Inzidenz über diese Methodik nur leicht überschätzt werden.
Weiterhin fällt auf, dass mehr als ein Viertel der untersuchten Demenzpatienten die Diagnose Diabetes Typ 2 erhalten hat und ähnlich viele an Depressionen leiden. Dieses Resultat deckt sich mit der Literatur, wo Diabetes und Depressionen als Risikofaktoren für Demenz identifiziert wurden (z. B. Katon et al. 2015). Als weiterer Risikofaktor für Demenz gilt Bluthochdruck (z. B. Lüders/Schrader 2009), an welchem etwa drei Viertel der untersuchten Demenzpatienten leiden. Im Vergleich mit weiblichen Demenzpatienten treten bei Männern deutlich häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie z.B. eine chronische ischämische Herzkrankheit, Herzinsuffizienz oder Vorhofflimmern und Vorhofflattern auf. Frauen hingegen zeigten deutlich höhere Prävalenzen bei den Komorbiditäten Depression,
Osteoporose, Rückenschmerzen sowie nicht näher bezeichnete Schmerzen.
Regionalauswertungen
Die pflegebedürftigen Versicherten der DAK Gesundheit sind in den östlichen Bundesländern im Schnitt bis zu vier Jahre jünger als im Rest von Deutschland. Dementsprechend ergeben sich bei der Betrachtung der regionalen Prävalenz insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gegenüber anderen Studien ungewöhnlich niedrige Anteile (siehe Abb. 1 links). Die auf Kreisebene höchsten Demenzprävalenzen fanden sich hauptsächlich in dichter besiedelten, kreisfreien Städten.
Um die Alterseffekte auszugleichen, wurden alle weiteren Analysen altersadjustiert. Zum einen wurde der Anteil von in Pflegeheimen versorgten Demenzpatienten untersucht (Abb. 1 Mitte), zum anderen die Anzahl an Krankenhausfällen pro 1.000 Demenzpatienten (Abb. 1 rechts). Gleichermaßen überdurchschnittlich hohe Werte fanden sich hauptsächlich in Bayern. Ansonsten war die Anzahl an Krankenhausfällen vor allem dort überdurchschnittlich hoch, wo der Anteil an stationär versorgten Demenzpatienten niedrig war. Besonders deutlich ist dies erkennbar in den östlichen Bundesländern, wo der Anteil in Pflegeheimen versorgter Demenzpatienten niedrig, die Anzahl an Krankenhausfällen pro 1.000 Demenzpatienten aber überdurchschnittlich hoch ist. Ob ein Zusammenhang besteht, dass z.B. aufgrund mangelnder Pflegeheimstrukturen eher Krankenhausleistungen in Anspruch genommen werden, lässt sich aus den Daten nicht unmittelbar ableiten.
Auswertungen relativ zur
Erstdiagnose
Das Durchschnittsalter der 17.450 pflegebedürftigen Versicherten betrug bei ihrer ersten Demenzdiagnose etwa 83 Jahre (Frauen: 84,04; Männer: 80,73). Der Anteil weiblicher Versicherter ist mit 69% deutlich höher als der der männlichen Versicherten. Der Großteil der ersten Demenzdiagnosen – knapp 74% – wurde im ambulanten Sektor gestellt. Die übrigen 26% der Demenzerkrankungen wurden im Krankenhaus diagnostiziert. Weniger als 0,02% der Erstdiagnosen stammen aus anderen Sektoren wie z.B. häuslicher Krankenpflege oder spezialisierter ambulanter Palliativversorgung. Aufgrund der quartalsweisen Abrechnung und Datenübermittlung im ambulanten Sektor ist es möglich, dass mehrere Diagnosen als Erstdiagnose in Frage kommen, da der Tag der Diagnosestellung nicht in den Abrechnungsdaten erfasst wird, weshalb bei der Analyse der jeweiligen ICD-Codes Mehrfachberücksichtigungen unvermeidbar waren. Am häufigsten wurde eine nicht näher bezeichnete Demenz (ICD: F03.) dokumentiert, bei weiblichen Pflegebedürftigen etwas öfter als bei männlichen (Frauen: 65%; Männer: 61%). Bei etwa jedem vierten bis fünften Versicherten wurde eine vaskuläre Demenz (F01.) diagnostiziert (Frauen: 22%; Männer: 25%) und etwa jeder fünfte Pflegebedürftige erhielt die Diagnose Demenz bei Alzheimer-Krankheit (Frauen: 22%; Männer: 20%).
Es fällt auf, dass Frauen häufiger eine Alzheimer-Demenz aufwiesen und mehr Männer an einer vaskulären Demenz erkrankten. Dieses Resultat deckt sich mit dem weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen, beispielsweise von Gao et al. (1998). Eine Demenz bei anderorts klassifizierten Krankheiten trat nur bei 3% (Frauen) beziehungsweise 5% (Männer) der untersuchten Versicherten auf. Von den untersuchten Pflegebedürftigen bezogen insgesamt 8% Leistungen der Pflegestufe 1, 22% der Pflegestufe 2 und 70% der Pflegestufe 3 inkl. Härtefällen. Somit erhielten mehr als zwei Drittel der pflegebedürftigen Versicherten mit Demenz die höchste Pflegestufe. Eine weitere Unterteilung in Frauen und Männer zeigt, dass deutlich mehr Frauen den vollständigen Hilfebedarf in Pflegestufe 3 in Anspruch nahmen.

Veränderung der Inanspruchnahme von Leistungen nach Demenzdiagnose
In allen Bereichen steigt die Inanspruchnahme im Folgequartal nach der ersten Demenzdiagnose im Vergleich zu den vorherigen relativen Quartalen an und bleibt in den weiteren Folgequartalen auf einem höheren Niveau als vor der Demenzdiagnose. Das zeigt, dass Demenzpatienten wie erwartet eine erhöhte Nachfrage an Leistungen in allen Bereichen erzeugen. Interessant ist ebenso der sukzessive Anstieg der Inanspruchnahme vor der Demenz-Diagnose in nahezu allen Bereichen und schließlich der sprunghafte Anstieg sobald die erste Diagnostik erfolgt ist (siehe Tab. 1).
Bei den Krankenhausaufenthalten ist zu beobachten, dass in dem relativen Jahr nach der Demenzdiagnose insgesamt drei Viertel (76%) der betrachteten pflegebedürftigen Versicherten mindestens einmal im Krankenhaus behandelt wurden, wohingegen dies vor der Diagnose auf weniger als jeden zweiten Versicherten (46%) zutraf. Von den Personen, die nach der Demenzdiagnose im Krankenhaus behandelt wurden, weist die Hälfte bereits in dem relativen Jahr vor der Demenzdiagnose mindestens einen Krankenhaus-Fall auf. Nur 8% der in die Analyse eingeschlossenen Versicherten wurde vor der Diagnose im Krankenhaus behandelt, jedoch nicht im relativen Jahr nach der Diagnose.
Das relative Risiko (RR) eines Versicherten vollstationär gepflegt zu werden steigt mit der Demenzdiagnose um mehr als das Zweieinhalbfache (Gesamt: RR = 2,49; Männer: RR = 2,65; Frauen: RR = 2,44). Während unter den Frauen im relativen Quartal vor der Demenzdiagnose 24% und danach 46% diese Leistung in Anspruch genommen haben, waren es lediglich 18% und 36% der Männer. Hingegen wird ein größerer Anteil der Männer häuslich gepflegt (vorher Männer: 17%, Frauen: 15%; nachher Männer: 29%, Frauen: 27%). Insgesamt steigt das relative Risiko eines Versicherten für häusliche Krankenpflege nach der Demenzdiagnose um mehr als das Anderthalbfache (RR = 1,75).
In dem relativen Jahr vor der Demenzdiagnose verursachte ein pflegebedürftiger Patient durchschnittlich Kosten in Höhe von 12.768 Euro (davon 8.770 Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und 3.998 Euro in der sozialen Pflegeversicherung (SPV)) und im relativen Jahr nach der Demenzdiagnose 24.128 Euro (davon 14.178 Euro GKV und 9.950 Euro SPV). Dabei sind die Gesamtkosten für männliche Patienten mit 14.341 Euro vor und mit 25.819 Euro nach der Demenzdiagnose etwas höher als die der weiblichen Patienten mit 12.073 Euro vor und mit 23.403 Euro nach der Demenzdiagnose. Allerdings sind diese höheren Gesamtkosten auf die Kosten aus den Leistungsbereichen der GKV zurückzuführen (Männer vor Diagnose: 13.205 Euro; Frauen vor Diagnose: 9.211 Euro; Männer nach Diagnose: 23.042 Euro; Frauen nach Diagnose: 16.230 Euro), die Pflegekosten sind bei den weiblichen Pflegebedürftigen deutlich höher, besonders nach der Demenzdiagnose (Männer vor Diagnose: 1.136 Euro; Frauen vor Diagnose 2.862 Euro; Männer nach Diagnose: 2.777 Euro; Frauen nach Diagnose: 7.173 Euro).
Veränderung von Komorbiditäten und Krankenhausfällen nach Demenzdiagnose
Im Vergleich der dokumentierten Erkrankungen vor und nach Demenzdiagnose steigen im ambulanten Bereich die Anteile Pflegebedürftiger mit Harninkontinenz (nicht näher bezeichnet +15%-Punkte, näher bezeichnet +5%-Punkte) und Störungen des Ganges und der Mobilität (+10%-Punkte) besonders stark an. Ebenso lässt sich ein signifikantes Wachstum beobachten bei Herzinsuffizienz, Depressionen, nicht klassifiziertem Schmerz (hauptsächlich bei Frauen) und sonstigen Symptomen des Nerven- und des Muskel-Skelett-Systems (hauptsächlich R29.6 – Sturzneigung) sowie einigen weiteren Erkrankungen, die in Tabelle 2 dargestellt sind. Allerdings gibt es gleichermaßen Diagnosen, die nach der Demenzdiagnose signifikant zurückgehen, wie z.B. Akkommodationsstörungen und Refraktionsfehler (-8%-Punkte), Rückenschmerzen (-2,5%-Punkte), Stoffwechselstörungen (-1,5%-Punkte) sowie insbesondere bei Männern Impfungen (-2,5%-Punkte) bzw. bei Frauen die Dokumentation funktioneller Implantate (-3%-Punkte). Ob diese Rückgänge durch Einschränkungen in der Auskunftsfähigkeit der Patienten bedingt sind, die mit der Demenz einhergehen können, oder durch einen Wechsel des Hausarztes bzw. eingeschränkten Zugang zu bestimmten Facharztgruppen im Umfeld eines stationären Pflegeheims kann zunächst nur vermutet werden.
In Tabelle 3 sind demgegenüber die häufigsten stationären Behandlungsanlässe sowie deren Entwicklungen relativ zur Demenzdiagnose angegeben. Bei den Top 10 Diagnosen nach Häufigkeit lassen sich ausschließlich signifikante Wachstumstrends beobachten. Besonders stark steigt nach der Demenzdiagnose der Anteil an Patienten, die aufgrund eines Volumenmangels, welcher durch eine zu geringe Flüssigkeitszufuhr bedingt sein kann, im Krankenhaus behandelt werden mussten (+5%-Punkte). Fast ebenso stark steigen die stationären Entlassungen nach Behandlung eines Delirs (+4%-Punkte), nicht näher bezeichneter Pneumonien (+3%-Punkte, stärkerer Anstieg bei Männern) und einer Herzinsuffizienz (+4%-Punkte). Außerdem erhöht sich die Zahl der Diagnosen von Frakturen des Femurs (+4%-Punkte), intrakranieller Verletzungen (+2%-Punkte) und von Frakturen der Lendenwirbelsäule und des Beckens (+1,5%-Punkte), welche jeweils durch die signifikant erhöhte Sturzneigung (Diagnose R26 in Tabelle 2) verursacht sein könnten.

Veränderung der Arzneimitteltherapie nach Demenzdiagnose
Der größte Anstieg an Patienten mit Verordnung nach der Demenzdiagnose wurde für die therapeutische Hauptgruppe der Psycholeptika festgestellt. Hier hat sich der Anteil der Versicherten, die ein Medikament aus dieser Kategorie verordnet bekommen, von etwa 30% vor der Demenzdiagnose auf etwa 54% nach der Demenzdiagnose nahezu verdoppelt. Für den Großteil des Anstiegs sind antipsychotische und sedierende Arzneimittel verantwortlich, welche häufig als Begleittherapie der Demenz eingesetzt werden. Psycholeptika sind mit einer erhöhten Sturzneigung und einer erhöhten Frakturrate assoziiert. Insgesamt hatten etwa 10% der Demenzpatienten mit Psycholeptika-Verordnung mind. einen KH-Fall mit Fraktur. Der Anteil von Patienten mit Verordnung von Antipsychotika stieg mit +26%-Punkten um mehr als das Doppelte an, der Anteil der Patienten mit Verordnung von Hypnotika und Sedativa um +3%-Punkte.
In der therapeutischen Hauptgruppe der Psychoanaleptika wurde ebenfalls ein signifikanter Anstieg um 16%-Punkte festgestellt. Dies lässt sich hauptsächlich auf Antidementiva zurückführen, die häufig kurz nach Erkennen der Erkrankung eingesetzt werden, um den Abbau von Azetylcholin zu verringern. Der Anteil an Patienten mit Verordnungen dieser Wirkstoffgruppe stieg signifikant von ca. 3% vor der Erstdiagnose auf über 18% nach der Demenz-Diagnose an. Dass bereits vorher einige pflegebedürftige Demenzpatienten entsprechende Arzneimittel einnehmen, lässt eine fehlende Dokumentation der Demenz direkt nach ihrem Erkennen bei einem kleinen Anteil der Pflegebedürftigen vermuten. Deutliche Anstiege im Anteil der Personen, die mindestens ein Medikament aus der jeweiligen therapeutischen Hauptgruppe erhalten, zeigen sich neben den bereits aufgeführten Mitteln auch bei den Analgetika (+15%-Punkte), wobei vor allem der Anteil an Demenzpatienten mit einer Wirkstoffverordnung von Metamizol von 36% vor Diagnose auf 50% nach Diagnose stark ansteigt.
Ausblick
Patienten mit Demenz gehören zu den teuersten und betreuungsintensivsten Patienten im deutschen Gesundheitssystem. Die vorstehende Analyse offenbarte einige Bereiche, in denen erheblicher Handlungsbedarf für eine Verbesserung der Versorgung von Demenzpatienten besteht:
• Vermeidung unnötiger Krankenhausfälle, die bekanntermaßen das Mortalitätsrisiko deutlich erhöhen.
• Eine S3 Leitlinien konforme Arzneimittel-Therapie, die ganz offenbar in der Praxis nicht beherzigt wird und auf erhebliche fachliche aber auch rechtliche Defizite schließen lässt.
• Eine stärker integrierte Versorgung von Demenzpatienten durch Pflegekräfte, Haus- und Fachärzte, Pharmakologen und die Angehörigen, durch die die Versorgung optimiert und die angesprochenen Fehlversorgungen reduziert werden könnte.

All dies würde dazu beitragen, die Versorgung adäquater zu machen und bessere Bedingungen für ein Leben mit Demenz zu schaffen. Ob ein gutes Leben mit Demenz möglich wird, hängt zentral von regionalen und örtlichen Bedingungen ab. Auch dies macht die Sonderauswertung der DAK-Routinedaten deutlich. <<

Ausgabe 05 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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