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6. Ad-hoc-Stellungnahme: Routineversorgung

21.01.2022 15:20
Exakt zwei Jahre nach dem Beginn ihrer Veröffentlichungen legt die Autorengruppe ihre 6. Adhoc-Stellungnahme zu SARS-CoV-2/CoViD-19 vor und fordert die umgehende Integration der Corona-Versorgung in die medizinische Routineversorgung. Anlasslose Tests sind zu beenden, stattdessen ist eine Abklärung von Symptomen und Erkrankungen nach den gängigen medizinischen Verfahren angezeigt. Die ambulant-stationäre Lücke in der Betreuung von erkrankten Infizierten muss durch energische Anstrengungen geschlossen werden, um Unterstützung zu zeigen und ggf. eine geregelte Hospitalisierung zu ermöglichen. Die vulnerablen Gruppen sind unter den Bedingungen ihres Impfstatus genauer zu definieren, und unter den mannigfaltigen Fragen in der sozialen und psychologischen Betreuung sollten den Bedürfnissen der institutionell versorgten Patienten in Krankenhäusern und Pflegeheimen mehr Beachtung zukommen und z.B. dem Abschied von Verstorbenen ein würdevoller Rahmen zurückgegeben werden. Es werden hierzu sieben Forderungen aufgestellt. „The end of the pandemic will not be televise“, eine Pandemie geht nicht schlagartig vorbei, sondern erfordert komplexe Kompromisse und bedarf daher einer starken, erfahrenen politischen Führung. Da vielerlei Maßnahmen ohne stichhaltige Begründung eingeführt wurden, besteht jetzt die Schwierigkeit, deren Beendigung ohne Bezug auf den Wegfall dieser Gründe verständlich machen zu müssen. Auf die Politik kommt die schwierige Aufgabe zu, diese Phase des Ausklingens der Pandemie zu gestalten. Stand: 28. November 2021, 18:00h

http://doi.org/10.24945/MVF.02.22.1866-0533.2397

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Abstract

Exakt zwei Jahre nach dem Beginn ihrer Veröffentlichungen legt die Autorengruppe ihre 6. Adhoc-Stellungnahme zu SARS-CoV-2/CoViD-19 vor und fordert die umgehende Integration der Corona-Versorgung in die medizinische Routineversorgung. Anlasslose Tests sind zu beenden, stattdessen ist eine Abklärung von Symptomen und Erkrankungen nach den gängigen medizinischen Verfahren angezeigt. Die ambulant-stationäre Lücke in der Betreuung von erkrankten Infizierten muss durch energische Anstrengungen geschlossen werden, um Unterstützung zu zeigen und ggf. eine geregelte Hospitalisierung zu ermöglichen. Die vulnerablen Gruppen sind unter den Bedingungen ihres Impfstatus genauer zu definieren, und unter den mannigfaltigen Fragen in der sozialen und psychologischen Betreuung sollten den Bedürfnissen der institutionell versorgten Patienten in Krankenhäusern und Pflegeheimen mehr Beachtung zukommen und z.B. dem Abschied von Verstorbenen ein würdevoller Rahmen zurückgegeben werden. Es werden hierzu sieben Forderungen aufgestellt. „The end of the pandemic will not be televise“, eine Pandemie geht nicht schlagartig vorbei, sondern erfordert komplexe Kompromisse und bedarf daher einer starken, erfahrenen politischen Führung. Da vielerlei Maßnahmen ohne stichhaltige Begründung eingeführt wurden, besteht jetzt die Schwierigkeit, deren Beendigung ohne Bezug auf den Wegfall dieser Gründe verständlich machen zu müssen. Auf die Politik kommt die schwierige Aufgabe zu, diese Phase des Ausklingens der Pandemie zu gestalten.

Corona: integration into routine care

Exactly two years after the start of its publications, the group of authors presents its 6th ad hoc statement on SARS-CoV-2/CoViD-19 and calls for the immediate integration of corona care into routine medical care. Tests without cause should be stopped; instead, symptoms and diseases should be clarified using standard medical procedures. The outpatient-inpatient gap in the care of sick infected people must be closed through energetic efforts in order to show support and, if necessary, to enable regulated hospitalization. The vulnerable groups are to be defined more precisely under the conditions of their vaccination status, and among the diverse questions in social and psychological care, more attention should be paid to the needs of institutionally cared for patients in hospitals and nursing homes and, for example, the farewell of the deceased should be given a dignified framework. Seven demands are made in this regard. „The end of the pandemic will not be televised“, a pandemic does not end suddenly, but requires complex compromises and therefore requires strong, experienced political leadership. Since many measures have been introduced without valid justification, the difficulty now is to explain their termination without reference to the cessation of these reasons. Politicians face the difficult task of shaping this phase of the end of the pandemic.
Status: November 28, 2021, 6:00 p.m

Keywords
Pandemic, SARS-CoV-2, Covid-19, epidemiology, prevention, sociopolitical relevance

Prof. Dr. med. Matthias Schrappe / Hedwig François-Kettner /  Franz Knieps / Dr. med. Andrea Knipp-Selke / Prof. Dr. rer. pol. Philip Manow / Prof. Dr. med. Klaus Püschel / Prof. Dr. rer. nat. Gerd Glaeske / Dr. med. Martin Sprenger, MPH

Thesenpapiere

Thesenpapier 1: Schrappe, M., Francois-Kettner, H., Gruhl, M., Knieps, F., Pfaff, H., Glaeske, G.: Thesenpapier zur Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19. Datenbasis verbessern, Prävention gezielt weiterentwickeln, Bürgerrechte wahren. Köln, Berlin, Hamburg, Bremen 5.4.2020, Monitor Versorgungsforschung, online-first, doi: 10.24945/MVF.03.20.1866-0533.2224
Thesenpapier 2: Schrappe, M., Francois-Kettner, H., Knieps, F., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Thesenpapier 2.0 zur Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19. Datenbasis verbessern, Prävention gezielt weiterentwickeln, Bürgerrechte wahren. Köln, Berlin, Hamburg, Bremen 3.5.2020, https://www.monitor-versorgungsforschung.de/efirst/schrappe-etal_Covid-19-Thesenpapier-2-0, doi: 10.24945/MVF.03.20.1866-0533.2217
Thesenpapier 3: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Thesenpapier 3.0 zu SARS-CoV-2/Covid-19 – Strategie: Stabile Kontrolle des Infektionsgeschehens, Prävention: Risikosituationen verbessern, Bürgerrechte: Rückkehr zur Normalität. Köln, Berlin, Bremen, Hamburg, 28.6.2020, Monitor Versorgungsforschung, http://doi.org/10.24945/MVF.04.20.1866-0533.2231
Thesenpapier 4: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – der Übergang zur chronischen Phase (Thesenpapier 4.0, 30.8.2020). Verbesserung der Outcomes in Sicht; Stabile Kontrolle: Würde und Humanität wahren; Diskursverengung vermeiden: Corona nicht politisieren. Corona nicht politisieren. Köln, Berlin, Bremen, Hamburg, 30.8.2020, Monitor Versorgungsforschung, http://doi.org/10.24945/MVF.05.20.1866-0533.2248
Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – der Übergang zur chronischen Phase. Verbesserung der Outcomes in Sicht; Stabile Kontrolle: Würde und Humanität wahren; Diskursverengung vermeiden: Corona nicht politisieren (Überarbeitung als Thesenpapier 4.1, 5.10.2020). https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Abstract2020/MVF-05-20/Schrappe_etal_Thesenpapier_4-1_Corona-Pandemie
Thesenpapier 4.1: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – der Übergang zur chronischen Phase. Verbesserung der Outcomes in Sicht; Stabile Kontrolle: Würde und Humanität wahren; Diskursverengung vermeiden: Corona nicht politisieren (Überarbeitung als Thesenpapier 4.1, 5.10.2020). https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Abstract2020/MVF-05-20/Schrappe_etal_Thesenpapier_4-1_Corona-Pandemie
Ad-hoc-Stellungnahme: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Ad-hoc-Stellungnahme der Autorengruppe zur Beschlussfassung der Konferenz der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsident/innen der Länder am 14.10.2020: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – Gleichgewicht und Augenmaß behalten. Köln, Berlin, Bremen, Hamburg, 18.10.2020, https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Abstract2020/MVF-05-20/pdf_0520/Adhoc-Stellungnahme-Covid-19/view
Thesenpapier 5: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 - Spezifische Prävention als Grundlage der „Stabilen Kontrolle“ der SARS-CoV-2-Epidemie (Thesenpapier 5.0). Köln, Berlin, Bremen, Hamburg, 25.10.2020. Monitor Versorgungsforschung, https://www.monitor-versorgungsforschung.de/Abstracts/Abstract2020/mvf-0620/Schrappe_etal_Thesenpapier_5-0_Corona-Pandemie, doi: http://doi.org/10.24945/MVF.06.20.1866-0533.2266
Thesenpapier 6, Teil 6.1.: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Thesenpapier 6, Teil 6.1: Epidemiologie. Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19, Zur Notwendigkeit eines Strategiewechsels. Köln, Berlin, Bremen, Hamburg, 22.11.2020, http://doi.org/10.24945/MVF.06.20.1866-0533.2267
Thesenpapier 7: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 (Thesenpapier 7): Sorgfältige Integration der Impfung in eine umfassende Präventionsstrategie, Impfkampagne resilient gestalten und wissenschaftlich begleiten, Aufklärung und Selbstbestimmung beachten. Köln, Berlin, Bremen, Hamburg, 10.01.2021, Monitor Versorgungsforschung, http://doi.org/10.24945/MVF.01.21.1866-0533.2268
2. Ad-hoc-Stellungnahme: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Knipp-Selke, A., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Ad-hoc-Stellungnahme der Autorengruppe anlässlich des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens zum 4. Bevölkerungsschutzgesetz”, 14.04.2021: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – Zentralisierte Willkür: Über den Entwurf eines 4. Bevölkerungsschutzgesetzes. Monitor Versorgungsforschung, online first
3. Ad-hoc-Stellungnahme: Schrappe, M., François-Kettner, H., Gruhl, M., Hart, D., Knieps, F., Knipp-Selke, A., Manow, P., Pfaff, H., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/ Covid-19 - Zur intensivmedizinischen Versorgung in der SARS-2/Covid-19-Epidemie (16.5.2021 mit einem Update vom 17.5.2021). https://corona-netzwerk.info/autorengruppe-zur-intensivmedizinischen-versorgung/, Monitor Versorgungsforschung (ohne Co-Autor H. Pfaff) doi: http://doi.org/10.24945/MVF.03.21.1866-0533.2303
3. Ad-hoc-Stellungnahmem ergänzende Materialien Nr.1: Schrappe, M., François-Kettner, H., Knieps, F., Knipp-Selke, A., Manow, P., Püschel, K., Glaeske, G.: Die Pandemie durch SARS-CoV-2/ Covid-19: Zur intensivmedizinischen Versorgung in der SARS-2/ Covid-19-Epidemie, Dritte Adhoc-Stellungnahme der Autorengruppe vom 16./17.5.2021, ergänzende Materialien Nr. 1: Bettenverfügbarkeit (6.6.2021). https://corona-netzwerk.info/intensivmedizinische- Covid-19-versorgung-bettenverfuegbarkeit/, Monitor Versorgungsforschung doi: http://doi.org/10.24945/MVF.03.21.1866-0533.2335
Kurz-Stellungnahme der Autorengruppe zum Bericht des Bundesrechnungshofes mit dem Titel „Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19 – zur intensivmedizinischen Versorgung in der SARS-2/ Covid-19-Epidemie“: Schrappe, M., François-Kettner, H., Knieps, F., Knipp-Selke, A., Manow, P., Püschel, K., Glaeske, G., 11.06.2021, https://corona-netzwerk.info/intensiv-der-bundesrechnungshof-rechnet-nach/, Monitor Versorgungsforschung epub first: https://www.monitor-versorgungsforschung.de/efirst/Schrappe_AH_Addendum
Ergänzende Materialien Nr. 2 zur 3. Ad-hoc-Stellungnahme der Autorengruppe zur intensivmedizinischen Versorgung – Bettenverfügbarkeit auf Länderebene: Schrappe, M., François-Kettner, H., Knieps, F., Knipp-Selke, A., Manow, P., Püschel, K., Glaeske, G., 23.07.2021
Schrappe et al.: „Thesenpapier 8 – Die Pandemie durch SARS-CoV-2/Covid-19
„Pandemie als komplexes System – Steuerung der Epidemie durch Indikatoren-Sets – Kinder und Jugendliche in der Corona-Pandemie – Politik und Demokratie unter Pandemie-Bedingungen“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (Online First), S. 1-75. doi: http://doi.org/10.24945/MVF.05.21.1866-0533.2337
Müller, B.: „Zur Modellierung der Corona-Pandemie – eine Streitschrift“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (06/21), S. 68-79. doi: http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2354
„Pandemie als komplexes System – Steuerung der Epidemie durch Indikatoren-Sets – Kinder und Jugendliche in der Corona-Pandemie – Politik und Demokratie unter Pandemie-Bedingungen“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (Online First), S. 1-75. doi: http://doi.org/10.24945/MVF.05.21.1866-0533.2337
Müller, B.: „Zur Modellierung der Corona-Pandemie – eine Streitschrift“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (06/21), S. 68-79. doi: http://doi.org/10.24945/MVF.06.21.1866-0533.2354

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Zitationshinweis: Schrappe et al.: „Corona: Integration in die Routineversorgung“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (Online First), S. 1-5. doi: http://doi.org/10.24945/MVF.02.22.1866-0533.2397

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Corona: Integration in die Routineversorgung
Genuine Aufgabe medizinischer Differentialdiagnose und -therapie – symptomorientiertes statt anlassloses Testen – Beendigung der Quarantäneregeln

 

1. Aktuelle Situation und Handlungsbedarf
>> Exakt zwei Jahre nach dem Beginn ihrer Veröffentlichungen legt die Autorengruppe ihre 6. Adhoc-Stellungnahme zu SARS-CoV-2/
Covid-19 vor. Besonders durch die  Eigenschaft der asymptomatischen Übertragung hat die Epidemie den zu erwartenden Verlauf genommen und die einseitig auf containment beruhenden Maßnahmen bedeutungslos werden lassen. Das europäische Ausland hat (mit sehr wenigen Ausnahmen, s.u.) alle Beschränkungen eingestellt und belässt es bei der Kombination von Impfung und sich weiter verstärkender natürlicher Immunität.
Unabhängig von jeglicher politischer Wortwahl spiegelt die weitgehende Unbestimmtheit der Regelungen der Novelle des Infektionsschutzgesetzes vom 18.3.2022 diese Situation wieder und lässt nur die eine Schlussfolgerung zu, nämlich dass die maßgeblichen politischen Kräfte eine Exit-Strategie zu finden versuchen, die ihnen zugleich Gesichtswahrung und Nachvollzug der epidemiologischen Entwicklung ermöglicht.
Der Verzicht auf repräsentative Kohortenstudien und die Verwendung unsystematischer Tages-Stichproben hat dazu geführt, dass spätestens im Rahmen der Ausbreitung der Omikron-Variante von den vom RKI veröffentlichten Zahlen keinerlei Steuerungswirkung mehr ausgeht. Weder gibt es reliable Informationen zu zentralen Inputfaktoren wie der Impfquote oder der Bevölkerungs-bezogenen Immunität1 noch existieren verwertbare Output- und Outcomeparameter (z.B. Schwere der Erkrankung), da es offensichtlich in zwei Jahren nicht möglich war, zentrale Daten wie zur Komorbidität oder teilweise sogar zur Alterszusammensetzung zu integrieren und ein verlässlich arbeitendes Datenmonitoring aufzubauen. Durch die Quarantänisierung großer Bevölkerungsteile kommt es zwar zu erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Einbußen, Daten zur Charakterisierung dieser Personen (z.B. Alter, Impfstatus, Information, Betreuung) liegen jedoch nicht vor. Auch tägliche Angaben zur Sterblichkeit sind nicht verwertbar, weil nach wie vor die klassische infektiologische Differenzierung von durch bzw. mit SARS-CoV-2 verstorbenen Patienten nicht beachtet wird.
Eine zentrale Rolle spielt in dieser Situation das Umgehen mit den zur Verfügung stehenden Testverfahren, die von Beginn an unsystematisch eingesetzt wurden, eher den Quarantäne-Regeln als den medizinischen Erfordernissen gehorchend und nie kritisch hinsichtlich ihrer statistischen Aussagekraft bewertet. Wenn man zuletzt noch eine residuale Teststrategie zu erkennen glaubte („Freitesten“, G-Regelungen), dann sind selbst diese Reste zur Unkenntlichkeit verkümmert, indem mit Schnelltests falsche Sicherheit genauso wie falsche Betroffenheit insinuiert wird und Bestätigungstests nur dann eingesetzt werden, wenn man sich davon Vorteile verspricht. Unter dem Strich werden weiterhin tägliche Zahlen kreiert, die in erster Linie die Testfrequenz  widerspiegeln und zu allem Überfluss auf die Gesamtbevölkerung umgeschlagen werden, als ob dort keine weiteren Infektionen auftreten würden. Dabei stellt es nun wirklich einen naheliegenden Gedanken dar, dass man z. B. mit einer Verdopplung der jetzigen wöchentlichen Testpopulation von 2 Millionen Einwohnern auf 4 Millionen ungleich höhere Ergebnisse erhalten würde: Statt der Hälfte der derzeitigen 1.500er Melderate (wie über Weihnachten oder an den Wochenenden) hätte man dann mit Sicherheit Werte um 3.000 zu vergegenwärtigen. Auch ist wegen der unterschiedlichen Testregime der Vergleich der deutschen Melderaten mit internationalen Daten nicht aussagekräftig.
Unter den sich stellenden politischen Fragen sei hier nur ein einziger Punkt hervorgehoben, nämlich dass diese Situation sowohl von weiten Kreisen der Wissenschaft als auch im politischen Leben klaglos akzeptiert wurde. Jedem Beobachter und jedem Verantwortlichen müsste aufstoßen, dass eine Angabe wie „Anstieg von 15.000 im Vergleich zum Wert vor 7 Tagen“, so wie es immer in den Verlautbarun-
gen heißt, nicht nur keine Meldung wert ist, sondern wegen ihrer Haltlosigkeit einzig die Frage nach dem Rücktritt der Verantwortlichen auslösen sollte. Es ist eine Situation entstanden, in der eine Steuerung des Infektionsgeschehens, also eine Reaktion der zuständigen Stellen auf verlässlich erhobene Messwerte mit der Option, an diesen Messwerten auch einen Verlauf (im besten Fall den Erfolg der Maßnahmen) erkennen zu können, als reine Fiktion bzw. „kybernetische Illusion“ erscheinen muss. Die Szene, die sich vor unseren Augen abspielt, erhält unweigerlich einen geradezu paradigmatischen Anstrich: nicht die Fiktion ist das Problem, sondern die breite Bereitschaft, diese zu tolerieren.
2. Sieben Handlungsoptionen
Diese kurze Situationsdarstellung macht es recht einfach, über Alternativen zu diskutieren, denn diese liegen ebenfalls derart gut sichtbar an der Oberfläche, dass sie im Grunde spontan ergriffen werden könnten. Es genügt ein Blick in die europäischen Nachbarländer, denn mit Ausnahme von Österreich hat man längst von der epidemiologischen auf die medizinische Steuerung umgestellt. Der Zustand der epidemiologischen Instrumente wurde vorstehend geschildert, und auch die Steuerung nach medizinischen Kriterien basiert auf bekanntem Wissen, soll hier aber zur Verdeutlichung zusammenfassend dargestellt werden:
1. Einsatz diagnostischer Mittel (Testung, Antikörper-Serologie u.a.) gezielt zur Abklärung symptomatischer Patienten (z. B. mit grippalem Infekt, unklarem Fieber, interstitieller Pneumonie etc.) nach den bekannten medizinischen Kriterien;
2. Schließung der ambulant-stationären Lücke durch gezielten Ausbau der ambulanten Betreuung von Patienten mit erkannter SARS-CoV-2-Infektion, um z.B. anhand eines Risk-Scores2 den Zeit-
punkt für eine geregelte Hospitalisierung genau bestimmen zu können (einschließlich einer Klarstellung zur Behandlungspflicht von Corona-Patienten im Sinne der Sicherstellung der Krankenversorgung im ambulanten wie stationären Sektor);
3. Erstellung einer Leitlinie (u. U. zunächst auf der Basis von Exper-
tenwissen) zum Einsatz von diagnostischen Methoden zur Erkennung von SARS-CoV-2 in der  ambulanten und stationären Betreuung3.

Parallel müssen die Schutzmaßnahmen für vulnerable Bevölkerungs- und Patientengruppen ausgebaut und präzisiert werden:
4. Die wichtigsten vulnerablen Bevölkerungs- und Patientengruppen müssen unter Beachtung ihres Impfstatus spezifiziert werden (z. B. sind nicht alle Begleiterkrankungen und Prädispositionen gleichermaßen relevant);
5. Schutzmaßnahmen für institutionell untergebrachte, betreute und behandelte Personen sind unter Wahrung derer persönlichen Bedürfnisse und Erwartungen zu entwickeln, wobei universelle Maßnahmen möglichst differenziert werden sollten (z.B. entsprechend des Impf- und Immunstatus der Betroffenen). Verbindliche Regeln und Maßnahmen im Falle von Infektions- und Ausbruchsgeschehen (regelhafte Überprüfung und Durchführung von Qualifikationen und Übungsintervalle des Personals, Vorhaltung und Check erforderlicher Schutzmaterialien) sind zentrale Forderungen. Hygienekonzepte und Isoliermöglichkeiten dürfen jedoch nicht zu Abschottungen bei pflegebedürftigen Menschen führen, therapeutische Leistungen und freizeitliche Angebote sind (mit entsprechenden Hygieneregeln) fortzusetzen.

Die Steuerung des Infektionsgeschehens und der epidemiologischen Situation ist auf neue Füße zu stellen, insbesondere
6. ist von der Steuerung durch (nicht valide, nicht reliable) Einzelparameter und durch kumulativ nebeneinanderstehenden Einzelparameter (so wie jetzt Melderate plus Hospitalisierungsrate) zu sinnvollen Score-Systemen (s. Vorschläge der Thesenpapier- Autorengruppe4) überzugehen, und

7. endlich sind die sozialen und psychologischen Folgen jeglicher Maßnahmen gleichberechtigt neben den biologisch-epidemiologischen Parametern zu berücksichtigen (auch hier s. Vorschlag der Thesenpapier-AG5). In diesem Zusammenhang ein Wort zu den an bzw. mit Corona Verstorbenen: Letztlich gilt es, auch die positiv getesteten Verstorbenen wieder wie normale Tote und nicht wie Aussätzige zu behandeln. Die Versorgung erfolgt mit einfachem Hygienestandard. Persönliche Abschiednahme und Aussegnung sind ohne weiteres möglich.
3. Ausländische Beispiele und Analogie zu
nosokomialen Infektionen
Das hier vorgeschlagene Vorgehen kann sich auf zahlreiche Beispiele im europäischen Ausland beziehen. Die Webseite „Aktuelle Informationen zur Coronavirus-Situation in Dänemark“6 öffnet sich mit folgendem Hinweis: „Seit dem 1. Februar 2022 sind alle Corona-Beschränkungen aufgehoben. Restriktionen wie Maskenpflicht, Kontakt- Beschränkungen, Corona-Pass und Sperrstunden entfallen somit. Covid-19 wird nicht mehr als gesellschaftskritische Krankheit eingestuft“ (kursiv und Hervorhebung d. Verf.).
Zur Richtigstellung falscher Behauptungen, die häufig aus dem Ausland gegen die dänische Vorgehensweise vorgebracht wurde, hat das amtliche Statens Serum Institute eine eigene Faktencheck-Webseite eingerichtet.7 Auch die Niederlande haben am 23.3.2022 alle Maßnahmen (bis auf die Maskenpflicht im Flugzeug) fallen lassen8. In beiden Ländern besteht nur noch die Empfehlung zur Selbstquarantänisierung und zur Durchführung von Selbsttests. In Frankreich ist die Situation ähnlich, es besteht nur noch eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln, öffentlichen Gebäuden und in Krankenhäusern bzw. Pflegeheimen, und der „pass vaccinal est suspendu“ (der Impfpass ist aufgehoben).9 Auch in der Schweiz gelten keine Kontaktbeschränkungen mehr, für die Teilnahme am öffentlichen Leben sind weder Impfzertifikat noch Testnachweis notwendig.10
Allerdings gibt es auch hierzulande reichliche Erfahrung und gut ausgearbeitete Konzepte zur Kontrolle epidemischer Situationen, und zwar in anderen infektionsepidemiologisch relevanten Zusam-
menhängen. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass die Steuerung und Kontrolle von epidemisch auftretenden Infektionen in den Krankenhäusern und in der ambulanten Versorgung in Deutschland zur täglichen Routine gehört. Es besteht nicht nur eine breite Erfahrung im Einsatz der entsprechenden Methoden, sondern diese Methoden sind auch wissenschaftlich hervorragend evaluiert (zu der Rolle komplexer Interventionen in der Infektiologie s. zuletzt Thesenpapier 8, Kap. 25 und 2.611). Dies gilt gerade im Hinblick auf Infektionen mit z. B. Norovirus- oder MRSA-Infektionen mit ihrer hohen Morbidität und Mortalität. Wenn man im Überschlag in Deutschland von 600.000 nosokomialen Infektionen pro Jahr ausgeht (ein Drittel postoperative Wundinfektionen), dann sind 100.000 durch Wundkeime verursacht, die von asymptomatischen Keimträgern übertragen werden können (z.B. MRSA). Es handelt sich also epidemiologisch um
durchaus vergleichbare Situationen mit zahlreichen Parallelen: Es gibt zahlreiche symptomlose MRSA-Träger in der Bevölkerung, daher können sowohl eingewiesene Patienten als auch Besucher bzw. Mitarbeiter als Überträger in Frage kommen, und man muss mit Methoden arbeiten, die bei vernünftigem und gezieltem Einsatz von Screening-Methoden im Kontext von Programmen zur Verhaltensänderung (z. B. Händedesinfektion) eine möglichst weitgehende Kontrolle der Situation sicherstellen. Ähnlich wie bei Corona ist aber einer Eradikation von MRSA und anderen Erregern nicht möglich, auch wenn man Hotspots wie in der Tierhaltung durchaus erfolgreich angehen kann, indem man z. B. den Antibiotika-Verbrauch reduziert.
Leider ist es von Anfang an versäumt worden, das Knowhow der hier engagierten Krankenhaushygiene- und infection control-Experten in die Entwicklung einer tragfähigen Corona-Kontrolle („Stabile Kontrolle“, s. Thesenpapiere 3, 4 und 512) zu integrieren. Man hätte sehr viel aus diesen Erfahrungen lernen können, vor allem hinsichtlich des Einsatzes von Mehrfachinterventionen einschließlich der sozialen und verhaltenspsychologischen Komponenten und deren Evaluation sowie in der Risikokommunikation.
4. Schlussbemerkung
Wenn es also darum geht, „mit Corona leben zu lernen“, weil nun die sog. endemische Phase erreicht wurde, können aus den Erfahrungen im In- und Ausland entscheidende Anregungen übernommen werden. Insbesondere muss man in der öffentlichen Kommunikation die Option der Eradikation hintanstellen und offensiv den Standpunkt vertreten, dass das Auftreten von SARS-CoV-2-Infektionen und von kleineren Herdausbrüchen zum zukünftigen Alltag gehören wird. Vulnerable Personen müssen geschützt werden, allerdings ist dieser Schutz genauso wenig 100prozentig möglich wie der Schutz dieser Patientengruppen vor anderen infektiologischen Risiken. Die überbordende Quarantäne-Welle ist einer rationalen Handhabung der Situation nicht zuträglich, weil sie eher Ausweichphänomene induziert, ganz abgesehen von den enormen sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Auch in den Einrichtungen der Gesundheitsversorgung und Pflege wird es unumgänglich sein, über die Neuordnung von Isolation, Quarantäne und den Einsatz von (potenziell) asymptomatisch Infizierten nachzudenken, einen adäquaten Impfschutz von Mitarbeitern und Betreuten vorausgesetzt. Wie gesagt: es ist jedoch nicht möglich, alle Restrisiken für alle Beteiligten komplett auszuschließen.
Wie von zahlreichen Autoren und Wissenschaftlern immer wieder betont, geht eine Pandemie nicht schlagartig vorbei (s. „Freedom-Day-Diskussion), sondern „verdämmert“ langsam13. Die reale Beendigung erfordert „komplexe Kompromisse zwischen Todesfällen, der Wirtschaft, dem öffentlichen Wohlergehen und den verfassungsmäßigen Rechten“ und bedarf daher einer starken, erfahrenen politischen Führung. „Die Behörden müssen der Öffentlichkeit mitteilen, warum sie Einzelpersonen mehr Verantwortung übertragen, und im Idealfall die Bedenken derjenigen ansprechen, die möglicherweise noch nicht bereit dazu sind.“14. <<

Ausgabe 02 / 2022

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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