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Die Freiheit und das Gemeinwohl: Wie Corona Deutschland spaltet und auch eint

24.02.2021 12:19
Wie blicken die Menschen in Deutschland auf die Corona-Maßnahmen? Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt sieben verschiedene Wertemilieus in der Gesellschaft mit deutlichen Unterschieden bei der Abwägung zwischen Gemeinwohl und individueller Freiheit. Diese Unterschiede zeigen sich auch bei der Impfbereitschaft. Einigkeit herrscht beim Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung.

Ein Drittel der befragten Deutschen lehnt die Einschränkung von Freiheitsrechten in der Corona-Pandemie ab. 34 Prozent geben an, dass sie sich nicht impfen lassen wollen. Auf der anderen Seite sind aber rund zwei Drittel der Deutschen den Corona-Maßnahmen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Das zeigt eine Umfrage, die im Auftrag der Bertelmann Stiftung Ende 2020 mit über 1.012 Personen vom Norstat Institut online durchgeführt wurde. Die Studie „Zwischen individueller Freiheit und Gemeinwohl“ blickt aber auch genauer auf die Unterschiede, die es zu diesen Themen in der Corona-Debatte zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Wertemilieus gibt. Die Gruppe der besonders leistungs- und erfolgsorientierten Menschen lehnt mit 45 Prozent Freiheitseinschränkungen und Impfen überdurchschnittlich häufig ab.

Sieben Wertemilieus und ihre Sicht auf Corona

„Die Corona-Pandemie verschärft Wertekonflikte, die bereits vorher schwelten“, sagt Yasemin El-Menouar, Expertin für gesellschaftlichen Zusammenhalt bei der Bertelsmann Stiftung. Die aktuelle Studie untersucht sieben unterschiedliche Wertemilieus, die in Deutschland etwa gleich stark vertreten sind und sich in der Bewertung der aktuellen Pandemiemaßnahmen deutlich unterscheiden: kreative Idealist*innen, bescheidene Humanist*innen, individualistische Materialist*innen, unbeschwerte Beziehungsmenschen, sicherheitsorientierte Konservative, leistungsorientierte Macher*innen und unkonventionelle Selbstverwirklicher*innen.

So finden sich auf der einen Seite die Humanist*innen, die den Vorrang des Lebensschutzes und die pandemiebedingten Einschränkungen überzeugt mittragen. Auf der anderen Seite stehen die Leistungsorientierten, die Eingriffe in Freiheitsrechte als ausgesprochen problematisch empfinden. Während rund 80 Prozent der Humanist*innen zur Bekämpfung der Pandemie die Einschränkung von Freiheitsrechten akzeptieren, lehnt etwa die Hälfte der Leistungsorientierten solche Freiheitseinschränkungen „voll und ganz“ (19 Prozent) oder „eher“ (26 Prozent) ab. Besonders entschieden ist der Vorbehalt gegen die Beschneidung individueller Freiheiten in der Gruppe der stark materialistisch orientierten Personen: Hier lehnt fast jeder Vierte (24 Prozent) dies voll und ganz ab.

„Auch wenn solche gegensätzlichen Haltungen den Eindruck gesellschaftlicher Zerrissenheit vermitteln, sind sie doch zunächst Ausdruck unserer vielfältigen Gesellschaft“, erklärt Stephan Vopel, Experte für gesellschaftlichen Zusammenhalt bei der Bertelsmann Stiftung. „Für den richtigen Weg im Umgang mit der Pandemie müssen grundlegende Werte wie Gemeinwohl und Freiheit in einer lebendigen Demokratie sorgsam ausbalanciert werden. Positiv ist: Strittig sind zwischen den Wertemilieus nicht die Werte als solche, sondern ihre Abwägung in der aktuellen Krise.“

Wertemilieus, die eine Beschneidung von Freiheitsrechten kritisch sehen, zeigen sich auch skeptisch in der Frage von Impfungen: 44 Prozent der Leistungsorientierten und 40 Prozent der Materialist*innen geben an, sich auf keinen Fall gegen Corona impfen lassen zu wollen. In der Gruppe der Humanist:innen sind dagegen drei Viertel zu Impfungen positiv eingestellt.

Mit den Leistungsorientierten und den individualistischen Materialist:innen gibt es zwei Gruppen, die den aktuellen Corona-Maßnahmen insgesamt recht kritisch gegenüberstehen. Die leistungsorientierten Macher*innen haben den jüngsten Altersdurchschnitt aller Wertemilieus. Sie sind durchaus am Gemeinwohl orientiert, gewichten aber Werte rund um Leistung, Erfolg und Freiheit sehr hoch. Wenn dieses Wertemilieu in der aktuellen Debatte nicht angemessen berücksichtigt wird, kann dies langfristig den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden. „In dieser Gruppe finden sich starke gesellschaftliche Leistungsträger*innen“, erklärt El-Menouar. „Viele davon sehen ihre Werteprioritäten in der aktuellen Debatte nicht gebührend wider-gespiegelt.“

Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung und Chancen in der Krise

Insgesamt 45 Prozent der Befragten sind überzeugt, die Corona-Krise könne auch positive Wirkungen haben, etwa mit Blick auf Klimaschutz und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Bei den leistungsorientierten Macher*innen erwarten sogar 57 Prozent solche Positivaspekte. Hier zeigen sich klare Unterschiede zu den Materialist*innen, von denen nur gut ein Viertel positive Auswirkungen sieht.

Die Analyse der Einstellungen zu Corona zeigt zudem: Viele wollen kein einfaches Zurück zur „alten Normalität“. Über 80 Prozent der Befragten halten einen gesellschaftlichen Wandel für wichtig und sind der Meinung, die Corona-Pandemie habe dies noch klarer sichtbar gemacht. Dieser Veränderungswunsch zieht sich durch alle Wertemilieus.

„Unser Blick auf die Wertemilieus zeigt wichtige Unterschiede, aber ebenso Gemeinsamkeiten“, erklärt El-Menouar. „Wir müssen in Zeiten von Corona darauf achten, dass alle großen gesellschaftlichen Gruppen mit ihren Interessen gehört und in ihren Wertvorstellungen gewürdigt werden.“ So erleben etwa die leistungsorientierten Macher:innen und die individualistischen Materialist:innen, dass Freiheitsrechte, die für sie sehr wichtig sind, wegen Corona eingeschränkt werden. „Hier muss die Politik noch deutlicher machen, dass individuelle Freiheiten und Leistungsbereitschaft für unsere Gesellschaft weiter von entscheidender Bedeutung sind, und dass es sich bei den derzeitigen Einschränkungen um zeitlich klar begrenzte Maßnahmen handelt, die dazu dienen, schnell wieder ein freies und eigenbestimmtes Leben führen zu können.“, so El-Menouar.

 

Zusatzinformationen
Die Studie ist Teil einer Reihe zur Rolle von Werthaltungen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Datenerhebung fand in der letzten Novemberwoche 2020 statt. Das Norstat Institut hat im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Rahmen einer Online-Befragung 1.012 Personen ab 18 Jahren quantitativ befragt. Es handelt sich um eine nicht-randomisierte Quotenstichprobe; sie ist repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Bundesland.

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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