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Digitalisierung braucht Säulen

13.10.2022 15:58
Die Digitalstrategie 2.0 soll laut Bundesregierung einen „umfassenden digitalen Aufbruch“ darstellen. Darin enthalten sind auch Themen des Öffentlichen Sek-tors sowie des Gesundheitswesens. Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand für Personalwesen & Public Sector, und Michael Pfeil, Sprecher des Arbeitskreises Healthcare der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe e. V. (DSAG), sowie Sebastian Westphal, DSAG-Fachvorstand Technologie, ordnen die Pläne und Ziele aus DSAG-Sicht ein.

Hermann-Josef Haag, DSAG-Fachvorstand Personalwesen & Public Sector: „Wir sehen die Digitalstrategie 2.0 als ein positives Signal, dass die Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung weiter voranschreitet. Diese Entwicklung können wir als DSAG nur unterstützen. Aber: Die Ansätze in ihrer jetzigen Form müssen auf jeden Fall nachgeschärft werden, denn sie gehen zum einen nicht weit genug, zum anderen drängt sich sofort die Frage nach deren Umsetzung auf. Wir SAP-Anwender:innen fragen uns schlicht und ergreifend, wer die angekündigten Ziele und Aktionen umsetzen soll, schließlich kommen hier enorme Aufwände mit großem Ressourcenbedarf auf die Öffentliche Verwaltung zu. In ihrer jetzigen Form erwecken sie eher den Eindruck von Wünschen, die in der aktuellen Verwaltungsrealität schwer umzusetzen sind."

E-IDs oder digitale Identitäten seien nach wie vor die Grundlage für digitale Verwaltungsprozesse und damit auch für das Onlinezugangsgesetz (OZG), aber auch hier geben wir zu bedenken: Im ersten Schritt benötigt der Öffentliche Sektor endlich standardisierte, herstellerunabhängige und interoperable Datenmodelle, die verbindlich für alle gelten. Dies würde erstens Kommunen, Städte und Gemeinden befähigen, sich untereinander schnell und einfach austauschen und kommunizieren zu können. Zweitens würde es dabei unterstützen, die Kleinstaaterei, die unsere föderale Struktur bedingt, hinter uns zu lassen, ohne den politischen Sinn des Föderalismus auszuhebeln und stattdessen klare Strukturen und Formate vorgeben, die einen Nutzen für alle Beteiligten haben. Dann müsste nicht mehr jedes Bürger- oder Gesundheitsamt eigene Lösungen einsetzen oder gar entwickeln, wie es z. B. während der Pandemie der Fall war.

"Allerdings betonen wir noch einmal: Wir brauchen Technologien, deren Nutzen schnell einsetzbar ist und die sich einfacher in Fachverfahren integrieren lassen. Ein Beispiel dafür ist der elektronische Personalausweis (ePA): Der ePa funktioniert einwandfrei, aber die Angebote dahinter sind verschwindend gering – eines ist etwa die Abfrage von Punkten in Flensburg. Das mag teilweise interessant sein, für Bürger:innen wären aber volldigitalisierte An- und Abmeldeprozesse nützlicher, z. B. bei einem Umzug oder der Neuzulassung eines Pkw. Auch ist die einfache Nachnutzung für die Authentifizierung mit dem ePA an Fachverfahren aktuell nicht gegeben."

„Aus Sicht des Gesundheitswesen stellen sich uns als DSAG noch Fragen zur Digitalstrategie 2.0 und den darin beschriebenen Zielen bis 2025, etwa: Wer setzt sie um? Mit welchem Anbieter, welchen Softwarelösungen und mit welchen Ressourcen? Krankenhäuser haben schon heute mit vielen Inhouse-Problemen zu kämpfen und mit Blick auf die neuen Vorgaben und Ziele mangelt es nun mehr denn je an einer soliden Basis – sprich administrativen, betriebswirtschaftlichen und kaufmännischen Prozessen –  um sie realistisch umsetzen zu können. Innerhalb der Strategie 2.0 vermissen wir zusätzlich die eindeutige Benennung von Bereichen, die die Vorgaben realisieren müssen. Hier muss dringend nachgebessert werden", so Michael Pfeil, Sprecher DSAG-Arbeitskreis Healthcare.

Daher bedürfe der Healthcare-Sector einer übergeordneten Einheit, die strategisch steuert und die mit Softwareherstellern und staatlichen Institutionen verhandelt. Ein gutes Beispiel bzw. Einsatzgebiet wäre die aktuelle Diskussion um SAP IS-H und i.s.h.med, bei der anstelle der Krankenhäuser eine übergeordnete Stelle mit Softwareherstellern spricht und verhandelt. Schließlich sollten sich essenzielle Einrichtungen der öffentlichen Gesundheitsversorgung nicht dem Gebaren der relevanten Softwarehersteller, Softwareanbieter oder Dienstleister unterwerfen müssen.

"Eine solche Einheit würde auch zu einer schnelleren und realistischeren Transformation administrativer Prozesse im Gesundheitsbereich führen. Der momentane Stand bei z. B. der S/4HANA-Transformation widerspricht dem allerdings in Gänze: Viele Einrichtungen machen erst mal gar nichts und schauen zunächst links und rechts, was bei anderen passiert. Als DSAG wissen wir um die Notwendigkeit des Wegs in die Cloud und unterstützen hybride Modelle, um auch weiterhin internes, wichtiges Know-how aufbauen und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens bzw. deren Mitarbeitende fachlich auf dem Stand der Zeit halten zu können. Anstelle dessen müssen wir viel Aufwand und Kraft in Diskussionen zur Perspektive von SAP IS-H und i.s.h.med aufwenden und verschwenden wertvolle Zeit, die wir dringend für andere Bereiche wie etwa die Stärkung der Pflege bräuchten. Entscheidungen mit einer solchen Relevanz gehören auf anderen Ebenen besprochen und festgelegt, unter Einbeziehung der politischen Gremien. Ressourcen sind ein wertvolles Gut und müssen auch entsprechend geschützt werden", sagt Pfeil. "Was mich zu meinem nächsten Punkt bringt: Der überall dominierende Fachkräftemangel ist ein Pain Point, der innerhalb der Digitalstrategie 2.0 viel zu weit von den realen Bedingungen entfernt ist. Wir drehen uns hier thematisch im Kreis und niemand schlägt den Knoten durch. Als Interessenvertretung für mehr als 3.800 Unternehmen und Behörden in Deutschland, Österreich und der Schweiz, setzen wir uns bereits seit Jahren aktiv für eine schnellere und einfachere Digitalisierung mit klarem Nutzen für Endnutzer:innen und Bürger:innen ein. Den Worten und Plänen müssen nun aber endlich Taten folgen, denn Corona-Krise und Impfkampagne haben mehr als deutlich gemacht, welche Defizite Deutschland bezüglich der Digitalisierung aufweist. Andernfalls lesen wir in zwei Jahren in der Digitalstrategie 3.0 Ähnliches: quasi alter Wein in neuen Schläuchen.“

„Aus DSAG-Perspektive begrüßen wir es natürlich, dass innerhalb der Digitalstrategie 2.0 viele neue, technologiegetriebene Vorhaben auftauchen und Ziele genannt werden. Die meisten davon sind aber weder schnell noch praktikabel umsetzbar, denn es mangelt schlicht an den erforderlichen Voraussetzungen. Damit meinen wir z. B. Basisdienste für die Verwaltungsdigitalisierung, etwa die E-Akte oder E-Beschaffung, aber auch Angebote für hybride Systemarchitekturen. So hat z. B. auch das derzeitige SAP-Produktportfolio noch Luft nach oben, da das aktuell forcierte Angebot der S/4-Public-Cloud und die SAP BTP für einen Einsatz in öffentlichen Verwaltungsvorgängen und bspw. dem öffentlichen Gesundheitswesen gegenüber den bisherigen On-Premise-Lösungen noch keine vollwertige Alternative darstellt", erklärt Sebastian Westphal, DSAG-Fachvorstand Technologie. "Insgesamt existieren heute geschätzt > 200 Fachanwendungen, die eigens für Behörden entwickelt wurden, um bestimmte Verwaltungsvorgänge zu digitalisieren. Zielführender wäre hier aus Sicht der DSAG ein Standard-Set an Integrationslösungen und Programmierschnittstellen (APIs), die die Nutzung neuer Technologien zeitnah ermöglichen. Des Weiteren vermissen wir eine zügige Umsetzung der deutschen Verwaltungs-Cloud-Strategie (Initiative „Souveräne Cloud“), genauso wie Infrastrukturpartnerschaften, mit deren Hilfe öffentliche Einrichtungen wie Verwaltungen, Krankenhäuser und Schulen gebündelt mit Infrastruktur und Services versorgt werden könnten, was Beschaffungskonditionen erleichtern und das Umsetzungstempo erheblich beschleunigen würde."

Auch stelle sich die Frage nach dem Fachpersonal, welches alle in der Digitalstrategie 2.0 genannten Ziele umsetzen soll: Wer setzt was womit genau um? Westphal weiter: "Rahmenbedingungen und exakte Vorgaben sind hier einmal mehr als willkommen, die Konsolidierung der IT-Strategie beim Bund mit Wirkung für alle Länder ist aus unserer Sicht das Gebot der Stunde. So wie bei der DSAG ‚Wir für uns‘ gilt, ließe sich daraus für die Digitalisierung Deutschlands ‚Eine für alle‘ ableiten.“

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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