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Psychologische Begleitung während der Diabetestherapie ist wichtig

12.07.2022 13:05
Rund die Hälfte aller Deutschen trägt das Risiko, im Laufe des Lebens eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zu entwickeln. Etwa jeder Zehnte erkrankt tatsächlich daran. Die Ursachen einer PTBS sind vielzählig. Auch chronische Erkrankungen wie ein Diabetes mellitus können sie begünstigen. Umgekehrt kann aber auch eine traumatisierende Situation Risiko für einen Diabetes Typ 2 sein. Der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD) weist auf das gefährliche Wechselspiel zwischen PTBS und einer schlechten Stoffwechseleinstellung hin. Er rät Betroffenen, sich an diabetologische Einrichtungen mit entsprechend qualifizierten Diabetesberaterinnen und -beratern zu wenden sowie eine begleitende Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig müsse die Politik für mehr psychosoziale Angebote sorgen, um Patientinnen und Patienten besser aufzufangen.

„Die meisten denken bei den Ursachen einer PTBS vornehmlich an extreme Gewalterfahrungen. Krieg, Flucht und Naturkatastrophen“, so Professor Dr. habil. Claudia Luck-Sikorski, Präsidentin der SRH Hochschule für Gesundheit in Gera und VDBD-Expertin. „Doch inzwischen ist bekannt, dass nicht nur akute Extremerfahrungen PTBS auslösen können, sondern auch dauerhafte Krisen im sozialen Umfeld dafür verantwortlich sein können.“ Da chronisch Erkrankte sehr häufig mit Vorurteilen, Diskriminierung und Mobbing konfrontiert sind, sei das PTBS-Risiko bei ihnen höher als bei ihren gesunden Mitmenschen. „Umso wichtiger ist es, diese Patientinnen und Patienten frühzeitig zu identifizieren und einer geeigneten Psychotherapie zuzuführen“, so die Psychotherapeutin.

Stigmatisierung und fehlende Inklusion können PTBS auslösen

„Beispielsweise stehen Menschen mit einem Typ-1-Diabetes häufig unter einem Rechtfertigungsstress, da ihnen fälschlicherweise die Mitschuld an der Erkrankung durch einen schlechten Lebensstil gegeben wird“, betont Luck-Sikorski. Schon im Kindesalter erfahren viele Stigmatisierung und Diskriminierung durch Ausschluss von Klassenfahrten und anderen sozialen Aktivitäten. Hinzu komme oft, dass Betroffene aufgrund einer gescheiterten Eingliederung (Inklusion) in Schule und Gesellschaft einen Bildungs- und Berufsweg einschlagen, der nicht den persönlichen Fähigkeiten oder Interessen entspricht. „Nicht zu unterschätzen sind aber auch potentiell traumatisierende Erlebnisse wie etwa eine lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisung, die diabetische Ketoazidose. Sie ist bei Kindern häufig Anlass zu einer Diabetesdiagnose“, so Luck-Sikorski.

PTBS als Ursache und Folge eines Diabetes Typ 2

Noch häufiger scheinen Menschen mit einem Typ-2-Diabetes von PTBS betroffen zu sein. „Das liegt vermutlich daran, dass PTBS zugleich Ursache als auch Folge eines Diabetes Typ 2 sein kann“, erklärt Luck-Sikorski. Einerseits sind Betroffene noch häufiger als Menschen mit Diabetes Typ 1 Diskriminierung und Mobbing ausgesetzt, da die Stoffwechselerkrankung meist auch mit Übergewicht oder gar Adipositas einhergeht. Das schafft einen erheblichen Leidensdruck“, so die Expertin. Andererseits können traumatisierende Erfahrungen nachweislich einen Diabetes Typ 2 entstehen lassen. Frauen sind dabei doppelt so häufig betroffen wie Männer, wie eine Studie zeigt.1 „Es gibt inzwischen viele Hinweise darauf, dass sozial und emotional belastende Situationen auf Dauer auch körperliche Beeinträchtigungen wie chronische Erkrankungen nach sich ziehen“, weiß Luck-Sikorski, die sich mit ihrer Forschungsgruppe COPE in Gera mit dem Zusammenhang von chronischen Erkrankungen und psychischer Gesundheit befasst.

Gefährliches Zusammenspiel: PTBS und Diabetes

Klassische Symptome einer PTBS sind Vermeidungshaltungen, Flashbacks oder Alpträume. Betroffene sind durch diese ständigen Belastungen in ihrem sozialen und beruflichen Alltag sehr eingeschränkt. Auch auf die Stoffwechsellage hat dies einen gefährlichen Einfluss: Patientinnen und Patienten können sich oft kaum noch auf ein gutes Diabetesmanagement einlassen, vernachlässigen ihre Therapie und riskieren damit schwere gesundheitliche Schäden. „In einer Verhaltenstherapie versuchen wir, Betroffene aus dieser Spirale herauszuholen. Das ist nicht nur wichtig, um die emotinale Schieflage zu korrigieren, sondern auch, um die Diabtestherapie gewissenhaft weiterführen zu können“, sagt Luck-Sikorsik. PTBS sei sehr gut behandelbar – aber nur, wenn eine geeignete Therapie frühzeitig eingeleitet wird.

Unzureichende Finanzierung psychosozialer Angebote

Bei Verdacht auf PTBS rät der VDBD Diabetespatientinnen und -patienten daher, sich von ihrem Diabetesteam hinsichtlich einer Psychotherapie beraten zu lassen. Gleichzeitig weist der Verband darauf hin, dass sich PTBS-Betroffene unbedingt dem Zusammenhang zwischen ihrer psychischen Erkrankung und einem erhöhten Diabetesrisiko bewusst sein sollten. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen könnten eine sich abzeichnenede Stoffwechselerkrankung frühzeitig identifizieren. Darüber hinaus dürften psychosoziale Angebote nicht nur ein „Add-on“ sein, sondern müssten integraler Bestandteil der Diabetesbehandlung sein. Doch niederschwellige Beratungen außerhalb der Diabetesschulungen werden nicht oder nur unzureichend finanziert. Auch die sprechende Medizin sei nach wie vor unterfinanziert. „Viele PTBS-Betroffene bleiben vermutlich in unserem System unerkannt oder kommen zu spät in die Psychotherapie, da das vertrauliche Arzt-Patienten-Gespräch fehlt oder ihnen schlicht kein psychotherapeutisches Angebot zur Verfügung steht“, bedauert die stellvertretende VDBD-Vorstandsvorsitzende Kathrin Boehm. Hier gelte es, seitens der Politik nachzubessern.


Quellen/Literaturhinweise:

1 Andrea L. Roberts, PhD1; Jessica C. Agnew-Blais, ScD2; Donna Spiegelman, ScD2,3; et al.: Posttraumatic Stress Disorder and Incidence of Type 2 Diabetes Mellitus in a Sample of Women. A 22-Year Longitudinal Study https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/fullarticle/2088152

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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