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Service Innovation in der medizinischen Information

28.07.2020 10:20
Die Digitalisierung der Medizin macht es möglich, Krankheiten schneller zu erkennen, besser zu überwachen und neue Erkenntnisse bei der individuellen Therapieentscheidung zeitnah zu berücksichtigen. Auch die Chemie- und Pharmabranche stellt sich diesem Wandel, wenngleich sie bei der Digitalisierung in Deutschland eher im Mittelfeld der gewerblichen Wirtschaft liegt. Im Fokus der aktuellen Betrachtungen stehen dabei vorrangig die Aktivitäten der Big Tech Unternehmen oder Digital Healthcare Start-ups sowie deren Wege bei der Medikamentenentwicklung unter Einsatz von Big Data oder KI. Wenig beleuchtet wird dagegen, wie sich die Pharmabranche mit ihren oftmals erklärungsbedürftigen Produkten aufstellt, um mittels digitaler Tools und Service Innovationen die für Patienten und medizinische Fachkräfte relevanten Informationen zu ihren Produkten und Services zu kommunizieren. Die Sicht des Patienten ohne medizinische Vorbildung ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Bedarf für wissenschaftlich fundierte Information seitens der medizinischen Fachkräfte. Nachfolgende Ausführungen widmen sich deshalb diesen neuen Ansätzen in der medizinischen Information.

doi: 10.24945/MVF.03.20.1866-0533.2240

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Abstract

Welche neuen Wege geht die Pharmabranche, um mittels digitaler Tools und Service Innovationen die relevanten Informationen zu ihren oftmals erklärungsbedürftigen Produkten an Patienten und medizinische Fachkräfte zu kommunizieren? Nicht zuletzt durch die digitalen Möglichkeiten für Anbieter und Nachfrager eröffnet sich ein neues Feld für Service Innovationen in der medizinischen Information. Hauptanliegen ist es den „Kunden“ mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt aller Aktivitäten zu stellen („User or Patient Centricity“). Werthaltige, leicht zugängliche und verständlich vermittelte Informationen sowie neue Kommunikationskanäle und -medien werden immer wichtiger. Ziel ist es, den Anfragenden vor allem eine Vereinfachung z.B. über mobile Zugänge und digitale, effiziente Prozesse zu bieten, die neben einer hohen inhaltlichen Qualität und guten Lösungen eine zunehmend entscheidende Rolle für Komfort, Betreuung und Gesundheitszustand spielen. Am Fallbeispiel von Lilly Medical Affairs wird die Einführung eines globalen Innovationsprozesses, Rahmenbedingungen sowie wesentliche Voraussetzungen und Meilensteine beschrieben. Zu den Erfolgsfaktoren zählen klare Verantwortlichkeiten auf Seiten des Unternehmens und der Führungskräfte, Akzeptanz und Motivation auf Mitarbeiterseite und ein von Anfang an mitgeplantes KPI-System zur Steuerung und Erfolgsmessung der Innovationsinitiativen.

Service innovation in medical information matters
What new ways does the pharmaceutical industry undertake to use digital tools and service innovations to communicate the relevant information about its complex products to patients and medical professionals? New digital opportunities rise for demand and supply, a new field for service innovations in medical information is opening up. User or Patient Centricity should be put hereby at the centre of all activities. Valuable, easily accessible and comprehensibly conveyed information as well as new communication channels and media are becoming increasingly important. The aim is to offer inquirers above all a simplification, e.g. via mobile access and digital, efficient processes, which, in addition to high content quality and good solutions, play an increasingly decisive role in comfort, care and health status. The case study of Lilly Medical Affairs is used to describe the introduction of a global innovation process, general conditions as well as essential prerequisites and milestones. The success factors include clear responsibilities on the part of the company and the management, acceptance and motivation on the part of the employees and a KPI system for controlling and measuring the success of the innovation initiatives, which was planned from the very beginning.

Keywords
service innovation, medical information, patient centricity, digitization, innovation process, innovation controlling

Prof. Dr. rer. pol. Diane Robers / Dr. phil. nat. Sabine Lischka-Wittmann

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Zitationshinweis: Robers, D., Lischka-Wittmann, S.: „Service Innovation in der medizinischen Information“ in „Monitor Versorgungsforschung“ (04/20),  S. 57-61, doi: 10.24945/MVF.04.20.1866-0533.2240

Open Access

Plain-Text:

Service Innovation in der medizinischen Information

Die Digitalisierung der Medizin macht es möglich, Krankheiten schneller zu erkennen, besser zu überwachen und neue Erkenntnisse bei der individuellen Therapieentscheidung zeitnah zu berücksichtigen. Auch die Chemie- und Pharmabranche stellt sich diesem Wandel, wenngleich sie bei der Digitalisierung in Deutschland eher im Mittelfeld der gewerblichen Wirtschaft liegt. Im Fokus der aktuellen Betrachtungen stehen dabei vorrangig die Aktivitäten der Big Tech Unternehmen oder Digital Healthcare Start-ups sowie deren Wege bei der Medikamentenentwicklung unter Einsatz von Big Data oder KI. Wenig beleuchtet wird dagegen, wie sich die Pharmabranche mit ihren oftmals erklärungsbedürftigen Produkten aufstellt, um mittels digitaler Tools und Service Innovationen die für Patienten und medizinische Fachkräfte relevanten Informationen zu ihren Produkten und Services zu kommunizieren. Die Sicht des Patienten ohne medizinische Vorbildung ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie der Bedarf für wissenschaftlich fundierte Information seitens der  medizinischen Fachkräfte. Nachfolgende Ausführungen widmen sich deshalb diesen neuen Ansätzen in der medizinischen Information.

>> Arzneimittelhersteller haben zumeist einen wissenschaftlichen Informationsdienst („Medizinische Information“ oder „Medical Information“) etabliert, dessen eigentliche Funktion darin liegt, Fragen zur korrekten Verwendung der in Verkehr gebrachten Produkte zu beantworten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Beantwortung von regulatorischen Anforderungen seitens FDA, EMA, BfArM oder anderer Aufsichtsbehörden. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die zahlreichen Fragen, die von Angehörigen der Heilberufe (Healthcare Professionals, HCP) und von Patienten an die verschiedenen Fachabteilungen der Pharmaunternehmen gerichtet werden. In Deutschland sind dies ca. 750.000 Anfragen pro Jahr (vfa, 2018). Der Dienst sammelt und stellt Informationen über die eigenen Medikamente aus internen klinischen Datenbanken oder externen Quellen zusammen. Deren Produktexperten stellen auf Anfrage wissenschaftlich fundierte und ausgewogene Arzneimittel-Informationen zur Unterstützung therapeutischer Entscheidungen oder deren praktischem Einsatz zur Verfügung.
Neue Anforderungen an die medizinische Information und (digital) Patient-Centricity
Die Anforderungen an das hierfür notwendige State-of-the-Art Wissen, das immer umfangreicher wird und die gebotenen Reaktionszeiten, die immer kürzer werden, steigen stetig. So sind Pharmaunternehmen beispielsweise verpflichtet, unerwünschte Ereignisse aus allen Teilen der Welt innerhalb von 14 Tagen an die Europäische Arzneimittel-Agentur zu melden, um die Compliance zu gewährleisten. Technologische Fortschritte wie zentralisierte Datenbanken und Repositorien erleichtern dieses Maß an Transparenz und reduzieren Diskrepanzen oder Konflikte in medizinischen Informationen. Gleichzeitig steigt die Komplexität pharmazeutischer Produkte und ihre Etikettierung wird komplizierter. Medizinische Informationsteams müssen deswegen heute in der Lage sein, hochspezialisierte Antworten auf eine breitere Palette von Anfragen zu geben. Tatsächlich erwarten viele HCPs zunehmend medizinische Informationen „on demand“. Neben den klassischen Kanälen (wie Briefe oder Telefonate) gewinnt der digitale Austausch über Websites, Videokonferenzen oder Online-Chats weiter an Bedeutung. McKinsey sieht in der Vision 2025 für den Bereich „Medical Affairs“ weitere Potenziale, um die Leistungsfähigkeit von Datenanalyse- sowie Digital-Engagement-Techniken zu nutzen. Dabei steht das Sammeln, Integrieren und Interpretieren von Daten im Mittelpunkt: „Die schnellzyklische, integrierte Evidenzgenerierung in der Gesundheitsökonomie und Outcome-Forschung […] wird durch Mikroanalysen unterstützt, die die große Menge an verfügbaren Informationen auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zuschneiden. Die Teams von medizinischen Einrichtungen werden durch ihr tiefes Verständnis der Wissenschaft, ihrer Datenkapazitäten und ihres Dialogs mit den Interessengruppen in der Lage sein, zu verstehen, wie sie die erforderlichen Beweise für die Unterstützung des gesamten Lebenszyklus des Angebots zur Optimierung der Patientenergebnisse suchen können“(McKinsey.com, 2020).
Während sich durch die digitalen Möglichkeiten auf Anbieterseite Anpassungen für die zukünftige Ausprägung der medizinischen Information ergeben, verändert sich gleichzeitig die Seite der Anfragenden durch zunehmende Transparenz über das Web und besser aufgeklärte Patienten. So verweist die Roadmap „Digitale Gesundheit“ der Bertelsmann Stiftung mit Fokus „digitaler Patient“ bei ihren Handlungsempfehlungen auf die Wichtigkeit von Kommunikation und Information (wie „Informationskompetenz stärken – Ärzte befähigen gute Online Gesundheitsinformationen zu empfehlen“, oder „mehr Reichweite für hochwertige Gesundheitsinformationen schaffen“) (Bertelsmann Stiftung, 2018). Kommunikation wird als einer der großen Treiber für die digitale Transformation in der Pharmabranche gesehen. Dies erfordert eine stärkere Ausrichtung an den immer individueller werdenden Bedürfnissen der Patienten im Sinne einer Patient-Centric-Kommunikation. Die Kluft zwischen den Erwartungen der Patienten und dem, was die HCPs derzeit bieten, wird größer. Aus diesem Grund kontaktieren die Patienten die Pharmaindustrie zunehmend durch direkte Anrufe, um die Lücke zu füllen. Die Patienten wünschen sich Hilfe bei den Grundlagen – aber auch Unterstützung und Ermutigung während der gesamten Behandlung. So erlebten Patienten mit chronisch entzündlicher Darmerkrankung, die mit ihren ärztlichen Konsultationen unzufrieden waren, eine größere Auswirkung ihrer Krankheit auf ihr Leben und ihre Arbeit (Siegel, 2016).
Studien zeigen, dass Patienten bereit sind, sich an das Pharmaunternehmen zu wenden, um Unterstützung bei der Therapie und beim Selbstmanagement ihrer Erkrankung zu erhalten: 70 Prozent der Patienten mit chronischer Krankheit glauben, dass das Pharmaunternehmen ihnen bei der Einnahme ihrer Medikamente helfen sollten; 89 Prozent der Patienten mit einer chronischen Krankheit glauben, dass das Pharmaunternehmen ihnen helfen sollte, ihre Therapie zu verstehen; 76 Prozent der Patienten glauben, dass die Pharmaindustrie eine Verantwortung für die Bereitstellung von Informationen und Dienstleistungen hat, die ihnen helfen, ihre eigene Gesundheit zu managen (Veeva.com, 2020). Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen sich Healthcare-Unternehmen entsprechend aufstellen, indem sie die notwendigen Technologien sowie geeignete Plattformen und werthaltige Inhalte für die Nutzer bereitstellen (McKinsey.com, 2020).
Service Innovationen – Spektrum und
Ansatzpunkte
Die zunehmende Dienstleistungsorientierung von Anbietern wird im Kontext der Forschung zu Dienstleistungsinnovation und Geschäftsmodellinnovation unter den Begriffen „Servitization“ verstärkt seit dem Jahr 2010 diskutiert: „[the] service-dominant logic, is applied which re-frames both product and services as „service” where value is co-created between parties“ (Barnett, 2013). Ziel ist es dabei, den Kunden bzw. Nutzer in den Mittelpunkt der Innovationsentwicklung zu stellen. Dienstleistungen werden üblicherweise in Abgrenzung zum Produkt durch die Kriterien immaterieller Beschaffenheit, Gleichzeitigkeit von Produktion und Verbrauch und nicht Lagerfähigkeit definiert. Sie entstehen durch die Interaktion von Leistungserstellung und Leistungskonsum, d.h. Anbieter und Nachfrager/Anfragende sind beide in den Dienstleistungsprozess involviert und tragen zum Ergebnis bei. Üblicherweise werden Service Innovationen auf Basis ihrer Input-, Prozess- und Outputkomponenten definiert; entsprechend breit ist das Spektrum: „Service innovation comprises new or significantly improved service concepts and offerings as such […], as well as innovation in the service process, service infrastructure, customer processing, business models, commercialisation (sales, marketing, delivery), service productivity and hybrid forms of innovation serving several user groups in different ways simultaneously” (European Commission, 2012). Beschäftigt man sich mit Zukunftstrends im Kontext der neuen technologischen Möglichkeiten, so werden vier wesentliche Entwicklungen für die Dienstleistungsgestaltung relevant: Personalisierung, Virtualisierung, Hybridisierung und Automatisierung (Spath, 2010). Die Dimensionen beschreiben Gestaltungsmöglichkeiten für die Leistung als solche und die Auswirkungen auf den Prozess der Leistungserstellung. Service Innovationen nutzen häufig neue technologische Möglichkeiten, um einen bestehenden Prozess zwischen Nutzer und Anbieter zu optimieren oder einen neuen Prozess zu realisieren. Die dahinter liegende infrastrukturelle Basis oder Technik wird vom Nutzer häufig nicht explizit wahrgenommen, sie dient eher dazu, den Zugang zu Informationen zu erleichtern, Kundenfeedback einzuholen oder Individualisierung zu ermöglichen und damit das Leistungserlebnis für den Kunden zu verbessern. Ziele, die Unternehmen mit digitalen (Service-)Innovationen verfolgen, sind neben Umsatzsteigerung und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auch Effizienzsteigerung, Qualitätsverbesserungen und eine bessere Kundenbindung (Lünendonk, 2019).
Was bedeuten Service Innovationen im Kontext des Marktes für Gesundheitsinformationen? Dieser Markt wächst zunehmend, wenngleich er durch eine große Vielzahl unterschiedlicher Anbieter, Komplexität und teilweise sogar Intransparenz gekennzeichnet ist. Die digitale Interaktion wird durch Smartphones, Wearables und Sprachassistenten immer leichter. USA und Großbritannien machen es vor – immerhin hat die britische Gesundheitsbehörde (NHS) im Sommer angekündigt, mit dem US-Technologiekonzern Amazon zusammenzuarbeiten, um ihre Gesundheitsinformationen zu transportieren (KMA-online.de, 2020).
Die Bertelsmann Stiftung hat hierzulande untersucht, wie Patienten bei der Suche nach Gesundheitsinformationen (Informationen zu Symptomen, Erkrankungen, Diagnosen) vorgehen. Für die breite Bevölkerung gelten Ärzte und Ärztinnen sowie traditionelle Massenmedien nach wie vor als wichtige und vertrauenswürdige Quellen. Das Internet und vor allem die Nutzung von Suchmaschinen hat jedoch für die aktive Informationssuche an Bedeutung gewonnen  (Bertelsmann Stiftung, 2018).
Eine weitere Studie von PwC unterstreicht, dass jeder vierte Bundesbürger an einer verbesserten Patientenberatung über das Internet interessiert ist. Beliebt sind dabei Gesundheitsportale, Internetseiten von Gesundheitsmagazinen oder auch Foren und Blogs zu Gesundheitsthemen. Weniger häufig werden in diesem Zusammenhang Seiten von Krankenhäusern, Ärzten, Krankenkassen oder Behörden aufgerufen (PwC, 2018). Dies zeigt die Notwendigkeit für die Experten in diesem Feld, die Informationsversorgung der Zielgruppen über neue Medien besser zu gestalten und den Wert medizinischer Informationen aktiv zu propagieren.
Ein besseres Verständnis und eine bessere Akzeptanz digitaler Kanäle bei HCPs, Gesundheitssystemen und Patienten bedeuten nämlich auch, dass Anfragen zu medizinischen Informationen über mehrere Kanäle kommen. Während direkte Telefonate nach wie vor von großer Bedeutung sind, werden digitale Kanäle wie firmeneigene Websites, Videokonferenzen und Online-Chats von den Interessengruppen häufiger genutzt, um Informationen anzufordern und spezifische Produktanfragen zu stellen. In einer McKinsey Befragung wurde unterstrichen, dass persönliche Beziehungen zwischen HCPs und MSLs zwar nach wie vor von großer Bedeutung für allgemeine Aktualisierungen und allgemeine Informationen sind, HCPs aber zunehmend auch digital interagieren (McKinsey, 2015).
Use Case (Lilly Medizinische Information)
Lilly hat im Jahr 2019 einen globalen Innovationsprozess aufgesetzt, um die 127 Mitarbeiter im Bereich Medical Affairs Central Capabilities auf die Transformationsreise im Bereich Medizinische Information mitzunehmen. Ziel war dabei, den Anteil der Service Innovationen bezüglich Angebots-, Prozess- und Ergebniskomponenten zu erhöhen. Dabei sollten die Vorteile eines globalen Unternehmens mit interkulturellem Wissen und einer pragmatischen Vorgehensweise genutzt werden. Eine Herausforderung war hierbei, einen Innovationsprozess einzuführen, ohne auf eine Innovationsabteilung mit entsprechenden Ressourcen oder spezifischem Fachwissen zurückgreifen zu können. Die Initiative wurde von den verantwortlichen Direktoren der Länder in Abstimmung mit dem Leadership Team aufgesetzt. Im Rahmen eines Kick-off Workshops wurden erste Ideen gesammelt und ein Prototyp für einen globalen Innovationsprozess für den Bereich Medical Affairs Central Capabilities entwickelt. Die Konzeptionierung, Pilotierung und Einführung des Prozesses wurde an den Kundenbedürfnissen (wie einfacher Zugang zu Information über mobile Geräte oder Sprachassistenten, reibungslose zeitsparende Prozesse oder einfache komfortable Lösungen bereitstellen) ausgerichtet. „Innovationsprozesse werden […] nur dann erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Einbettung neuer […] Dienstleistungen in organisationale […] Zusammenhänge zu verbessern.“ (Fraunhofer, 2011). Bei der Gestaltung des Prozesses zur Ideeneinreichung und -evaluierung wurde darauf geachtet, dass dieser globale Aspekt berücksichtigt, das Tool einfach zu bedienen ist und Entscheidungen zur Weiterführung von Ideen schnell getroffen werden können. Entsprechend schlank wurde der zweistufige Prozess mit zwei Entscheidungs-Gates aufgesetzt. Das Prozesstool wird sowohl für Einreichungen als auch zur Dokumentation der Entscheidungsfindung verwendet. Die Bewertung der Ideen erfolgt nach Kriterien wie Strategischer Fit, Relevanz/Kundenwert, technische Machbarkeit und Realisierungswahrscheinlichkeit. Beispiele für neue Servicekomponenten sind neue digitale Kanäle (Smart TV, Multimedia) und Self-Services für Kunden und Stakeholder sowie Automatisierung repetitiver Aufgaben durch RPA (Bots) als auch die Bereitstellung virtueller Meetingräume und Avatare für Events und Schulungen.
Von Anfang an wurden Controllingaspekte in Form von wesentlichen Messkriterien (KPIs) zur Steuerung und Erfolgsmessung der Innovationsaktivitäten mitgedacht. Hierunter fallen sowohl KPIs, die Zielerreichung (z.B. auf Projekt- oder Portfolioebene) abbilden als auch Kennzahlen, die die Effektivität und Effizienz des Innovationsprozesses selbst bewerten. Beispiele für entsprechende KPIs sind „Employee Acceptance“, „Number of overall Ideas per quarter“, „Portfolio Balance“ oder „Customer satisfaction increase“. Die KPIs werden  für die Management-Berichterstattung zur Erläuterung von Gründen und Erfolgen (wenige, wert- und effizienzgetriebene KPIs) verwendet, dienen aber auch zur Messung der Erfüllung der vorrangigen Ziele von Medical Affairs Central Capabilities, die sich an den Hauptkategorien Kunde/Markt sowie internen Effizienzen orientieren, um das Innovationsportfolio zu steuern (richtige Projekte, richtiges Timing). Der Innovationsprozess wurde im ersten Quartal 2019 global in 32 Ländern ausgerollt. Ein Globales Steering Team der Direktoren aus den Regionen fungiert als Entscheidungsträger, erstellt Leitfäden für die Priorisierung und ist verantwortlich für die Beschaffung von Ressourcen.
Erfolge und Lessons learned
Wenn ein Unternehmen beschließt, sich der Entwicklung von (Service-)Innovationen professionell anzunehmen, sollte die Kommunikation zu den (betroffenen) Mitarbeitern von Beginn an eingeplant werden. Grundlegend und entscheidend für den Erfolg ist letztendlich die Akzeptanz der Mitarbeiter, sich aktiv am Ideenprozess zu beteiligen. Schließlich sind die Mitarbeiter quasi als „Dienstleistungsproduzenten“ verantwortlich für die vom Kunden empfundene Qualität und Innovativität der Services. Sie brauchen ein klares „Go“ der Führungskraft, um ihre Mitwirkung zu legitimieren, sollten aber auch in den erforderlichen Kompetenzen (Fach- und Sozialkompetenz, hohe Dienstleistungs- und Kundenorientierung sowie ggfs. technisches Know-how) weitergebildet werden. Häufig ist im Kreis der Initiatoren klar, welche Anstöße und Ideen sie erwarten. Die Übersetzung aber, was genau mit „Service Innovation“ oder dem Ideenprozess gemeint ist und in welcher Form die Mitarbeiter daran mitwirken können, bedarf jedoch verschiedener (nachhaltiger) Impulse und Erklärungen, damit sie bei den Adressaten ankommt. Damit die Innovationsinitiative „lebt“ sollte den Mitarbeitern neben dem Tagesgeschäft entsprechend Freiraum und Zeit für die Ideenentwicklung eingeräumt werden. Bei Lilly bekamen die Mitarbeiter dafür jeweils freitags ein entsprechendes Zeitkontingent („thinking time“). Dennoch traf die Anzahl der eingereichten Ideen in den ersten Wochen nach Start der Initiative nicht die Erwartungen der Initiatoren. Das Beispiel reflektiert ein häufig auftretendes Phänomen bei der Initiierung von Innovationsinitiativen bei Mitarbeitern. Zu Beginn werden die Erklärungsbedürftigkeit des Themas und die erforderliche Kommunikation (in Art und Frequenz) oftmals unterschätzt. Ähnlich wie bei Change Programmen sollte der Leitsatz „communicate seven times in seven different ways“ gelten, durch persönliche Kommunikation, etwa bei Führungskräfte- und Mitarbeiterveranstaltungen, Workshops, in Memos oder über Newsletter und natürlich das persönliche Vorleben durch die Führungskraft selbst (Kotter, 1990).
Um den Bereich Medical Affairs Central Capabilities bei Lilly dazu zu bewegen, sich mit dem neuen Innovation Submission Process und Tool stärker zu beschäftigen, wurde eine wöchentliche E-Mail-Kampagne namens SPARK implementiert, die zum Ziel hat,  innovatives Denken und eine kreative Einstellung zu fördern. Im Idealfall soll die Kraft aller Köpfe genutzt werden. Im Rahmen der Kommunikation wurden deswegen Elemente digitaler Bildung und Lernmöglichkeiten integriert, damit die Mitarbeiter verstehen, was Innovation ist und was neue Angebote, Prozess- oder Technologiekomponenten für Lilly und seine Kunden bringen. Die SPARK Kampagne wurde in vier Phasen geplant und begleitet die Mitarbeiter in verschiedenen Stufen über die Sensibilisierung für das Thema („Awareness“) in die Ideengenerierung („Engaged“) und aktive Ausarbeitung („Energized“) bis hin zur Implementierung und Pilotierung („Involved“). Das Projektengagement wird durch anonymisierte Metriken über die Interaktion mit der E-Mail-Kommunikationskaskade gemessen. Wichtig ist dabei, transparent zu machen, was die Vorteile für den Mitarbeiter und das Unternehmen sind und dass die Beiträge der Mitarbeiter wertgeschätzten und wertvollen Input für den Bereichs- und Unternehmenserfolg darstellen. So konnte die Beteiligung der Mitarbeiter auf rund 78 Prozent gesteigert werden. Mittlerweile gibt es fünf Champions, die sich zusätzlich zu ihrer Tätigkeit für SPARK eigenmotiviert engagieren und über entsprechende Freiheitsgrade in der Umsetzung verfügen. Die Mitwirkenden werden für ihr Engagement entsprechend ausgezeichnet und gewürdigt: Für Ideeneinreichungen und das Passieren des ersten Meilensteins (Gate 1) bekommen sie eine monetäre Anerkennung und Visibilität im Team. Ab Gate 2 können sie die Projektleitung für ihre Ideenausgestaltung übernehmen und bekommen ggfs. einen Mentor zur Seite gestellt für die Erstellung und Einreichung eines Business Case und erhalten für die eigene Entwicklung freie Zeit (Freistellung vom Job bis Projektumsetzung).
Zum Jahresende 2019 konnten bereits erste Erfolge sowohl intern als auch extern nachgewiesen werden: So wurden von der Mannschaft 31 Ideen eingereicht, von denen sich vier in der Umsetzung befinden. Dabei stammen 95% der Ideen aus der Region Europa. Die Zufriedenheit der Kunden wird in einer regelmäßigen Kundenbefragung anhand der Frage „Würden Sie den (neuen) Service weiterempfehlen?“ gemessen. Dabei wird die Methode „Top2 Boxes“ verwendet. Die Top2Box ist der Prozentsatz der Befragten, die entweder die oberste Box (extrem zufrieden) oder die zweite Box (zufrieden) ausgewählt haben. Die Kundenzufriedenheit stieg von 68 Prozent im Jahr 2018 auf 71 Prozent in 2019 (Response Rate 20%).
Fazit/Ausblick
Ein Jahr nach Einführung des Innovationsprozesses kann die Initiative, Service Innovation im Bereich Medical Affairs Central Capabilities systematisch aufzusetzen, insgesamt als Erfolg gewertet werden. Sie wird somit weiter verfolgt und hinsichtlich des Bedarfs von Mitarbeitern und Kunden stetig verbessert. Wesentliche „Lessons learned“ und Erfahrungen aus dem ersten Jahr werden dabei eingearbeitet: Neben der weiteren regionalen Implementierung in einzelnen Ländern bedeutet Innovation zu betreiben, auch Mitarbeiter abzuholen und Kultur zu verändern. So bedarf es zur zielgerichteten Ideenentwicklung einerseits thematisch fokussierter spezifischer Problem- und Fragestellungen (bspw. als Wettbewerb Challenge zu einem Thema), andererseits soll der Wunsch der Mitarbeiter, sich aktiv einzubringen und Kampagnen selber zu tragen, stärker berücksichtigt werden. Innovation ist eine Top Priorität des Unternehmens; dies trifft auch auf die medizinische Information zu, die sich speziell zum Ziel gesetzt hat, Services schneller und kundenorientierter anzupassen. Hierzu braucht es sowohl verschiedene Methoden der Kreativität als auch Führungskräfte als Treiber und eine klare Ausgestaltung und Messung von Erfolgskomponenten.
Das Thema Service Innovation mit werthaltigen, leicht zugänglichen und verständlich vermittelten Informationen wird immer wichtiger, für Angehörige der Heilberufe ebenso wie für Patienten. Generell gilt: Guter Service mit hochwertiger qualitativer Information unterstützt die Betreuung und somit den Gesundheitszustand des Patienten. Ein gut informierter Patient hat bessere Aussichten, mit seiner chronischen Krankheit umzugehen, und stellt beim Arzt die relevanten Fragen. (Accenture-patient-services, 2016). Leider verlassen immer noch mehr als 40-70% der Patienten die Praxis, ohne zu verstehen, was ihnen gerade gesagt wurde. (Kessels, 2003)
So überrascht es nicht, dass nur 20% der Verordnungen tatsächlich eingelöst werden. Von den Menschen, die ihre Therapie beginnen, brechen 50% die Behandlung nach 6 Monaten ab (Viswanathan, 2012). In den USA betragen die Kosten aufgrund der schlechten medizinischen Adhärenz jedes Jahr fast 300 Milliarden US-Dollar (New England Healthcare Institute; O Luga & McGuire, 2014). Ein bescheidener Anstieg der Adhärenzraten hat erhebliche klinische Vorteile und wirtschaftliche Auswirkungen für alle Beteiligten. So zeigten Studien, dass eine hohe Patientenaktivierung mit besseren Gesundheitsergebnissen, besseren Patientenerfahrungen und niedrigeren Kosten in Verbindung gebracht werden können. Dies kann durch eine ausgewogene medizinische Information und Aufklärung unter Einbezug der Möglichkeiten der Digitalisierung erreicht werden. <<

Ausgabe 04 / 2020

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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