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Die Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige - eine Online-Befragung

04.06.2018 10:20
Eine besondere Herausforderung stellt für jeden Arzt die Überbringung schlechter Nachrichten dar. Wir möchten pointiert argumentieren, dass ein Arzt, der die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen zwar beherrscht, aber nicht in der Lage ist, dem Patienten sein Mitgefühl und seine Unterstützungsangebot zu vermitteln, einen wesentlichen Teil seiner professionellen Aufgaben nicht erfüllt. Die Realität des ärztlichen Alltags in Praxis und Klinik zeigt allerdings, dass der Arzt die erforderliche Zeit kaum aufbringen kann, um den Hilfesuchenden aussprechen zu lassen und das geschilderte Problem des Patienten in ein abrechnungsfähiges Format zu übersetzen. Diese ärztliche Limitation ist umso kritischer zu bewerten, als durch zahlreiche Studien gezeigt wurde, dass die professionelle Arzt-Patient-Kommunikation den Erfolg der Versorgung positiv beeinflusst (1,2). Die Placebo-Forschung zeigt zudem, dass alles, was der Arzt in der Interaktion mit dem Patienten unternimmt, einen therapeutischen Effekt hat, dazu gehört insbesondere die Kommunikation (3). Die „Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige“ wurden bisher kaum durch Befragungen untersucht. Für sie ist die Übermittlung einer schlechten Nachricht eine psychische Ausnahmesituation, welche besondere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit erfordert (3, 4). Eine der ersten Erhebungen zum Thema wurden an iranischen Krankenschwestern durchgeführt, die auch die Übermittlung von Krebsdiagnosen beinhaltet (5). Mit der hier vorliegenden Befragung wollen wir zeigen, dass letztlich die Wahrnehmung des Gesprächs durch den Patienten und/oder dessen Angehörige und nicht das Gespräch selbst der Indikator für den Wert des Geprächs sein sollte.

http://doi.org/10.24945/MVF.06.18.1866-0533.2109

Abstract

Hintergrund: Kommunikationsfehler in der Gesundheitsversorgung reduzieren die Chancen und steigern die Risiken der Gesundheitsversorgung.
Methode: In der vorliegenden Analyse wurden 294 Online-Fragebögen von 5.000 eingeladenen Versicherten einer Krankenkasse bearbeitet, in welchem sie zur Wahrnehmung negativer Nachrichten ihres Arztes befragt wurden.
Ergebnisse: Die Antworten der Versicherten beschreiben die Rahmenbedingungen und die Ergebnisse der Arzt-Patienten-Gespräche. Beunruhigend ist, dass sich 40 Prozent der ärztlichen Vorhersagen zur Lebenserwartung nicht bestätigt haben. Unter den Vorhersagen zur Lebenserwartung waren Mitteilungen über unheilbare Erkrankungen, ausgeschöpfte Behandlungsmöglichkeiten und Erkrankungen, die weniger weit fortgeschritten waren als vom Arzt mitgeteilt wurde.
Schlussfolgerungen: Unter der Einschränkung, dass nur 6% der in einem Online-Verfahren Befragten geantwortet haben, lässt sich bestätigen, dass die Patienten durch das Gespräch „Gefühlte Sicherheit“, aber keine Verunsicherung erwarten. Die wissenschaftliche und ethische Legitimation, „Gefühlte Sicherheit“ zu finanzieren, wird diskutiert..

The perception of life-changing diagnoses by patients and their relatives. A online survey
Background: Communication errors in healthcare reduce the chances, increase the risks, and miss the progress of healthcare.
Method: The current analysis includes the results of a questionnaire completed by 294 of 5.000 health insured persons.
Results: These people described their perceptions about bad doctors news. The answers represent the framework conditions and the outcomes of the doctor-patient interaction. It is disturbing that 40 percent of the physicians predicted life expectations were wrong. Among the disturbing news were incurable diseases, limited treatment possibilities and diseases that were more advanced than expected.
Conclusions: Considering the limitation of a response rate of only 6% to our online survey it can be confirmed that patients expect to get „Perceived Safety” but not uncertainty als a result of the consuotation. The scientific and ethical legitimation to pay for „perceived safety” is discussed.

Keywords
bad news, life expectancy, communication, placebo effect, mindset, perceived safety, safety loop

Prof. Dr. med. Franz Porzsolt / Prof. Dr. sc.hum. habil. Christel Weiß

Literatur:1 Haskard Zolnierek K. B., Dimatteo M. ”Physician Communication and Patients Adherence to Treatment: A Meta –Analysis”, Medical Care 47, 2009: 826-834
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3 Ofri D., „What Patients Say, What Doctors Hear, Beacon Press, Boston 2017: 71-81
4 Naimer SA, Prero M. „Delivering Bad News: An Approach According to Jewish Scriptures.” Rambam Maimonides Med J 2014;5: e0020. Doi:10.5041/RMMJ.10154
5 Abbaszadeh A, Ehsani SR, Begjani J, Kaji MA, Dopolani FN, Nejati A, Mohammadnejad E. „Nurses‘ perspectives on breaking bad news to patients and their  families: a qualitative content analysis.” J Med Ethics Hist Med. 2014;7: 18. eCollection 2014.
6 Jatoi I, Miller AB. „Breast Cancer Screening in Elderly Women: Primum Non Nocere,” JAMA Surg. 2015 Oct 14. doi: 10.1001/jamasurg.2015.2663. [Epub ahead of print]
7 Roloff C., „Primun nil nocere”, Urologie A. 2015;54:1433-1434. doi: 10.1007/s00120-015-3939-4.
8 Schulz von Thun, F. „Miteinander Reden, Band 1, Störungen und Klärungen: Allgemeine Psychologie der Kommunikation“, 2010, Reinbeck bei Hamburg: 25-30
9 Mercer, S.W. & Reynolds, W.J. „Empathy and Quality of Care”; British Journal of General Practice, 2002; 52: 9-12
10 Gray JA Muir. “Evidence-based policy making – is about taking decisions based on evidence and the needs and values of the population”. BMJ 2004;329: 988–989
11 Porzsolt F, Kilian R, Eisemann M. Gefühlte Sicherheit – Ein neuer gesellschaftlicher Wert. Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement  2007;12: 7-10
12 Porzsolt F, Polianski I, Görgen A, Eisemann M. „Safety and Security: The Valences of Values”. Journal of Applied Security Research 2011,6:4,483-490. http://dx.doi.org/10.1080/19361610.2011.604069
13 Porzsolt F. Clinical Economics – It is about Values not about Money. Brazil J Medicine Human Health 2016;4 (3). DOI: http://dx.doi.org/10.17267/2317-3386bjmhh.v4i3.1052
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17 Alston C, Pagetl, Halvorson GC, Novelli B, Guest J, McCabe P, Hoffman K, Koepke C, Simon M, Sutton S, Okun S, Wicks P, Undem T, Rohrbach V, von Kohorn I. Communicating with patients on health care evidence. Discussion Paper, Institute of Medicine, Washington, DC, 2012. http://nam.edu/wp-content/uploads/2015/06/
18 Gampert L. Entwicklung und Validierung eines psychometrischen Messinstrumentes zur Messung der ›Gefühlten Sicherheit‹ von Patienten nach dem Lesen einer Arzneimittelgebrauchsinformation. 2010. Dissertationsarbeit zur Erlangung des Doktorgrades der Humanbiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm.
19 Knie A. Gefühlte Sicherheit bei älteren Menschen. Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zur Messung der gefühlten Sicherheit bei älteren Menschen. 2011. Dissertationsarbeit zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm.
20 Popp RI. Entwicklung eines Messinstruments zur Erfassung der Gefühlten Sicherheit bei Schülerinnen und Schülern an Realschulen in Baden-Württemberg, 2009. Dissertationsarbeit zur Erlangung des Doktorgrades der Humanbiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm.
21 Rochau, Ursula 2009: Gefühlte Sicherheit in Selbsthilfegruppen nach Brustkrebs. 2009. Dissertationsarbeit zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm.
22 Vangberg, Hans Christian Bones 2008: Perceived safety in mining: a development of the (Vangberg-Eisemann) Perceived Safety Scale (VEPSS), Master Thesis, Tromsø.
23 Riethmüller G et al. Randomised trial of monoclonal antibody for adjuvant therapy of resected Dukes‘ C colorectal carcinoma. The Lancet 1994;343:1177 – 1183
24 Porzsolt F. Ein Interview mit Peter Stegmaier.zur PREFERE Studie. Pleitgen: „Eine gehörige Herausforderung“. Monitor Versorgungsforschung 2013; 01:16-17
25 Tannock I. personal communication „Review of the PREFERE study”
26 Ulm K. PREFERE-Studie Zu wenig statistische Power? Kommentar aus der Sicht des Statistikers, URO-NEWS 2013;17:15
27 Porzsolt F. Prostatakrebs-Studie. Keine Schuldzuweisungen. Dtsch Ärztebl 2017;114:A228-229

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Zitationshinweis: Porzsolt, F., Weiß, C.: „Die Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige. Eine Online-Befragung“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ 06/18, S. 44-48, doi: 10.24945/MVF.06.18.1866-0533.2109

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Die Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige - eine Online-Befragung

Eine besondere Herausforderung stellt für jeden Arzt die Überbringung schlechter Nachrichten dar. Wir möchten pointiert argumentieren, dass ein Arzt, der die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen zwar beherrscht, aber nicht in der Lage ist, dem Patienten sein Mitgefühl und seine Unterstützungsangebot zu vermitteln, einen wesentlichen Teil seiner professionellen Aufgaben nicht erfüllt. Die Realität des ärztlichen Alltags in Praxis und Klinik zeigt allerdings, dass der Arzt die erforderliche Zeit kaum aufbringen kann, um den Hilfesuchenden aussprechen zu lassen und das geschilderte Problem des Patienten in ein abrechnungsfähiges Format zu übersetzen. Diese ärztliche Limitation ist umso kritischer zu bewerten, als durch zahlreiche Studien gezeigt wurde, dass die professionelle Arzt-Patient-Kommunikation den Erfolg der Versorgung positiv beeinflusst (1,2). Die Placebo-Forschung zeigt zudem, dass alles, was der Arzt in der Interaktion mit dem Patienten unternimmt, einen therapeutischen Effekt hat, dazu gehört insbesondere die Kommunikation (3). Die „Wahrnehmung lebensverändernder Diagnosen durch Patienten und deren Angehörige“ wurden bisher kaum durch Befragungen untersucht. Für sie ist die Übermittlung einer schlechten Nachricht eine psychische Ausnahmesituation, welche besondere Aufmerksamkeit und Achtsamkeit erfordert (3, 4). Eine der ersten Erhebungen zum Thema wurden an iranischen Krankenschwestern durchgeführt, die auch die Übermittlung von Krebsdiagnosen beinhaltet (5). Mit der hier vorliegenden Befragung wollen wir zeigen, dass letztlich die Wahrnehmung des Gesprächs durch den Patienten und/oder dessen Angehörige und nicht das Gespräch selbst der Indikator für den Wert des Geprächs sein sollte.

>> Die BKK ProVita hat das Institute of Clinical Economics (ICE) e.V. beauftragt, eine Umfrage bei ihren Versicherten zum Thema „Mitteilung schlechter Arztnachrichten“ durchzuführen. Speziell war die Frage zu beantworten, wie häufig Patienten belastende Nachrichten erhalten, die der Arzt nur vermuten, aber nicht sicher wissen kann, wie z.B. konkrete Aussagen zur Lebenserwartung.
An je 2500 Frauen und Männer, die bei der BKK ProVita versichert sind und dort eine E-Mail Adresse angegeben hatten, wurde der beiliegende Fragebogen (Appendix) elektronisch versandt. Wir haben in dieser Studie aus Kostengründen in Kauf genommen, dass durch diese Art der Befragung nicht alle Versicherten erreicht werden können. Aus den anonymen Antworten sollten lediglich Hinweise auf Fehler bei der Übermittlung negativer Arztnachrichten gewonnen werden. Mehr als Hinweise lassen sich nicht gewinnen, weil dazu eine repräsentative Umfrage erforderlich wäre, die jedoch eine weitgehend uneingeschränkte Bereitschaft der Befragten zu antworten voraussetzt. Diese Bereitschaft kann beim Inhalt unserer Befragung nicht vorausgesetzt werden.  
Ergebnisse
Befragte Personen
In der Zeit vom 07.04.2015 bis 22.06.2015 haben 294 von 5000 Versicherten der BKK ProVita einen Fragebogen im Internet elektronisch ausgefüllt und an uns zurückgesandt. Die Antworten konnten vom Patient selbst (66%) oder von einem Angehörigen (33%) gegeben werden. 75% der Antworten kamen von Personen im Alter zwischen 51 und 70 Jahren. 62% waren Männer. Der häufigste Ausbildungsabschluss (37%) war eine Lehre. 49% aller Antwortenden waren Arbeiter oder Angestellte.

Rahmenbedingungen der Arzt-Patient-Gespräche
Etwa 60% aller Gespräche waren vorab angekündigt oder wurden sogar mehrfach angeboten. Allerdings fanden aber auch 35% aller Gespräche unangekündigt statt; 5% der Gespräche waren vom Patienten nicht erwünscht. Nur in 28% aller Gespräche wurde gefragt, ob das Gespräch erwünscht sei; in 56% wurde diese Frage nicht gestellt und in 16% konnte die Frage nicht beantwortet werden. 84% aller Gespräche haben ohne Anwesenheit fremder Personen stattgefunden; bei 61% aller Gespräche stand aus Sicht der Betroffenen genügend Zeit zur Verfügung und bei einem Viertel aller Gespräche wurde die verfügbare Zeit als zu knapp empfunden. Bei 34% aller Gespräche wurde die Aufmerksamkeit des Arztes als zu gering empfunden und in 36% empfanden die Betroffenen die übermittelte Information nicht als angemessen.

Unabhängige Ergebnisse der Arzt-Patient-Gespräche
In 61% der Fälle wurde das Gespräch als beruhigend, aber in 39% eher als beunruhigend empfunden. Um die Frage zu beantworten, was am meisten zur Beruhigung beigetragen hat, konnten mehrere Optionen angegeben werden. Am häufigsten (120 Nennungen) wurde die Erreichbarkeit des Arztes erwähnt, gefolgt von dem Angebot, bei auftretenden Problemen zu helfen (108 Nennungen) und der positiven Vorhersage, dass ein beschwerdefreies Leben mit der Erkrankung möglich sei (78 Nennungen). Am seltensten wurde die Aussage als beruhigend empfunden, dass die Erkrankung zwar nicht heilbar sei, aber für jedes Problem eine Lösung angeboten werden könne (46 Nennungen).
Unter den Antworten auf die Frage, welche Nachricht am meisten Verunsicherung verursacht hat, wurden genannt: Die Erkrankung sei nicht mehr heilbar (48 Nennungen), die Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft (40 Nennungen), die Erkrankung sei weiter fortgeschritten als vermutet (30 Nennungen), die Lebenserwartung sei geringer als angenommen (21 Nennungen).
Eines der bedeutendsten Ergebnisse der Studie ist, dass nach Aussagen der Betroffenen die Vorhersage des Arztes bezüglich der Lebenserwartung in nahezu 40% der Fälle falsch war. 40% der Patienten, welchen eine kurze Lebenserwartung vorhergesagt war, lebten definitiv länger als vorhergesagt.
Unter den negativen Vorhersagen, die sich später als zutreffend erwiesen haben, wurden 69% als bedeutend und wertvoll, aber 8% als unbedeutend empfunden, auf welche man auch hätte verzichten können. 23% diese Vorhersagen waren zwar bedeutend, die Art der Mitteilung war aber unbefriedigend. Unter den negativen Vorhersagen, die sich später als unzutreffend erwiesen, wurde in 3% der Fälle eine konkrete Lebenserwartung vorhergesagt. In 78% der Fälle war der erlebte Krankheitsverlauf günstiger als vorhergesagt und in 19% der Fälle ist nahezu das Gegenteil des vorhergesagten Krankheitsverlaufs eingetreten (Tab. 1).
Von den vielfältigen Wechselwirkungen, die durch die zahlreichen Faktoren bedingt sind, die das Arzt-Patient-Gespräch beeinflussen, werden nur jene berichtet, die uns am bedeutendsten erschienen. Von den Arzt-Patienten-Gesprächen wurden 72% als beruhigend, von den Gesprächen der Ärzte mit Angehörigen wurden 61% als verunsichernd empfunden. Männer empfanden das Gespräch in 68% der Fälle als beruhigend, während das nur für 50% der Frauen zutraf. Gespräche, die angekündigt waren oder mehrfach angeboten wurden, haben in 75% der Fälle zur Beruhigung beigetragen, während nicht angekündigte oder nicht erwünschte Gespräche in 63% verunsichernd wirkten. Wenn die Personen vorab zum Gesprächsbedarf gefragt wurden, war das Gespräch in 81% der Fälle beruhigend, während es in 53% verunsichernd war, wenn vorab nicht gefragt wurde. Bei Personen, die nicht mehr wussten, ob sie wegen des Gesprächsbedarfs vorab gefragt wurden, war das Gespräch in 73% der Fälle beruhigend.
Diskussion
Die Analyse der „Überbringung lebensverändernder Diagnosen“ hat als bedeutendstes Ergebnis gezeigt, dass absolute und unausweichlich formulierte Nachrichten über eine Erkrankung nicht angebracht sind. Sie sind anhand unserer Daten häufig unzutreffend und nehmen den Patienten die erwartete positive Lebensperspektive. Die Zerstreuung von Hoffnung widerspricht dem ethischen Grundsatz „nil nocere“ (6,7). Wir Ärzte sollten daran denken, stets eines der bedeutendsten Versorgungsprinzipien („nil nocere“) zu berücksichtigen. Dazu gibt es zahlreiche Daten (8, 9), die bestätigen, dass Menschen, welchen die Hoffnung auf Genesung genommen wird, eine deutlich schlechtere Prognose haben als Menschen, die durch Zuwendung und Hoffnung unterstützt werden.
In verschiedenen Wissenschaftsbereichen, z.B. in der evidenz-basierten Medizin (10), in der Risiko- und Sicherheitsforschung (11, 12, 13, 14), in der Placebo -Forschung (15) sowie in wissenschaftlichen Studien über Mindset (16) setzt sich zunehmend die Auffassung durch, dass Entscheidungen letztlich auf Basis individueller Einstellungen und persönlicher Werte beruhen. Deshalb lässt sich übereinstimmend mit den Empfehlungen eines Diskussionspapiers des Institute of Medicine als neue Hypothese formulieren, dass die Qualität der Versorgung durch die Einhaltung der empfohlenen Kriterien der Arzt-Patient-Gespräche verbessert werden kann, wenn drei notwendige Änderungen berücksichtigt werden (17):
• Eine Änderung der Kommunikationskultur
Das Kommunikationsangebot der Ärzte sollte mit den Erwartungen der Patienten zur Kommunikation übereinstimmen.
• Eine Änderung der Infrastruktur
Es sollten Anreize zur Kommunikation angeboten werden, anstatt eine Behinderung der Kommunikation durch die Limitation der vergüteten Gesprächsminuten verursacht werden.
• Eine Änderung der Qualitätsstandards und der Verantwortlichkeit
Die Versorgungsforscher sind aufgerufen, dazu für die politischen Entscheider sinnvolle und praktikable Vorschläge zur erarbeiten.  

Wenn man berücksichtigt, dass nicht die objektiven Risiken, sondern deren subjektive Wahrnehmung (= Gefühlte Sicherheit) die abgeleiteten Entscheidungen beeinflusst (11, 12, 13, 14), wird klar, dass die Arzt-Patient-Kommunikation eine der bedeutendsten Stellschrauben der Versorgungsqualität ist. Die wissenschaftlichen Grundlagen zum Nachweis der „Gefühlten Sicherheit“ wurden in vier Dissertationsarbeiten (18 – 21) und in einer Masterarbeit (22) beschrieben.    
Limitationen und Schlussfolgerungen
Die Aussagekraft der vorgestellten Daten ist zum einen aus methodischen Gründen limitiert, weil nur 6% der Befragten geantwortet haben. Diese Einschränkung ist bei der Interpretation der Daten und bei Ableitung von Schlussfolgerungen zu berücksichtigen. Ob sich verlässlichere Daten durch Interviews gewinnen lassen, bleibt dahingestellt, weil dazu ein erheblich höherer finanzieller und personeller Aufwand erforderlich ist.
Die Aussagekraft unserer Daten ist aber auch durch bestehende Überzeugungen limitiert. Die Effekte der Kommunikation werden erheblich unterschätzt, nicht nur hinsichtlich weicher Indikatoren wie Wohlbefinden. Wir beginnen zu verstehen, dass klinische relevante Effekte aus der Arzneimittelforschung, die  nicht weiter verfolgt wurden, wertvolle Informationen für das Verständnis kausaler Effekte beinhalten. Diese Effekte beruhen meist auf wenig beachteten psychologischen Interventionen und wurden als „confounder“
bewertet. Das Problem wird sich nur klären lassen, wenn unter Wissenschaftlern die Bereitschaft besteht, Fehler aufzudecken, die zu einer inkorrekten Information von Patienten und Kollegen führen. Diese Forderung lässt sich anhand konkreter Beispiele zur Therapie mit dem monoklonalen Antikörper 17-1A (23) und zur PREFERE-Studie (24 - 27) belegen, deren Diskussion aber den Rahmen dieser Publikation sprengen würde.
Übereinstimmend mit Daten aus verschiedenen Forschungsfel-dern ist davon auszugehen, dass unsere Entscheidungen generell nicht von objektivierbaren Risiken, sondern von der subjektiven Wahrnehmung dieser objektiven Risiken abhängen. Dieser Zusammenhang ist in der Sicherheitsschleife (13,14) beschrieben, aus der sich die Rolle der Kommunikation für die getroffenen Entscheidungen und indirekt damit auch für die Änderung unserer objektiven Risiken ableiten lässt (Abb. 1).
Die neuen Daten könnten ein Grund sein, den ethischen, medizinischen, ökonomischen und legalen Aspekten der Kommunikation mehr Aufmerksamkeit als bisher zu schenken. Es darf angenommen werden, das kaum ein Patient wiederholt zum Arzt gehen wird, wenn er dort nicht mehr als nur inhaltsleere Gesprächsminuten angeboten bekommt. Das Risiko der Krankenversicherungen, sinn- und zwecklose Gesprächsminuten zu bezahlen, wird durch die Patienten limitiert, die sich solche Konsultationen selbst ersparen werden. <<

Ausgabe 06 / 2018

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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