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OA MVF 01/11: Vorschläge für eine effiziente Arzneimittelversorgung in der Onkologie

05.10.2012 12:20
Als „wichtige Diskussionsgrundlage für die weitere Arbeit im Nationalen Krebsplan“ bezeichnete Staatssekretär Stefan Kapferer das eben vorgelegte Gutachten zur „Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie“. Er sei sich, so der Staatssekretär, sicher, dass das unter der fachlichen Leitung von Prof. Dr. Gerd Glaeske erstellte Gutachten wichtige Impulse für die weitere Ausgestaltung der onkologischen Arzneimittelversorgung geben werde. In dem Gutachten, an dem die Professoren Höffken, Ludwig, Schrappe, Weißbach und Wille (siehe auch aktuelles Titelinterview) sowie die wissenschaftliche Mitarbeiterin Maike Rehrmann mitwirkten, wird der „Lebenszyklus“ eines Krebsmedikaments von der Entwicklung über die Zulassung bis hin zur Versorgung dargestellt und unter medizinischen, arzneimittelrechtlichen, sozialrechtlichen und ökonomischen Aspekten beleuchtet.

>> Besonders interessant neben den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Sicherstellung einer effizienten und evidenzbasierten Arzneimittelversorgung in der Onkologie, zur Finanzierung von hochpreisigen onkologischen Arzneimitteln, zur Erforschung des Nutzens im Versorgungsalltag und zur Sicherstellung einer neutralen Informationsvermittlung, ist, dass die Gutachter betonen, die oft unzureichende Studien-Evidenz in der Onkologie sei auch auf „Einschränkungen der Aussagefähigkeit der RCTs“ zurückzuführen. Der Grund: Mit randomisiert-klinischen Studien (randomized clinical trials) gehe eine hohe Selektion, die Patienten und Ärzte bzw. Studienzentren betreffe, einher, was sich wiederum in geringer externer Validität niederschlage. Dem gegenüber stünden die Vorteile der Nicht-Interventionellen Studien (NIS), die die Versorgungsrealität besser abbilden würden als RCTs. Andererseits aber sei das Studiendesign der RCTs sehr ausgereift, während in der Methode der NIS noch erheblicher Entwicklungsbedarf zu erkennen sei, was - so die Gutachter - bereits im Beitrag „Versorgungsforschung versus RCT“ im „Monitor Versorgungsforschung“ 01/2009 nachzulesen ist.
Von den Befürwortern der RCTs werden freilich NIS abgelehnt, auch weil mit ihnen letztlich einfach nicht die höchste Evidenzklasse zu erreichen ist. Deshalb die Forderung der Gutachter: „Soll sich aber eine durch ein RCT in ihrer Wirksamkeit experimentell nachgewiesene Innovation als relevant herausstellen, so muss sie sich im Versorgungsalltag unter realen Bedingungen bewähren.“
Da aber in der Onkologie Innovation und RCTs eine wichtige Rolle spielen, aber auch die Bewährung eines Medikaments im Alltag unter Forschungsbedingungen „ein hohes Motivations- und Innovationspotential“ habe, sollte nach Meinung der Gutachter „eine grundsätzliche Diskreditierung des Begriffs ‚Anwendungsbeobachtung‘“ - weil gut definierte und von Marketingstrategien zu differenzierende Anwendungsbeobachtungen Bestandteil der NIS seien - vermieden werden. Statt dessen sollten angemessene Regeln für ihre Durchführung geschaffen werden, so dass es nicht länger zu „kritikwürdigen Praktiken von Industrie und Ärzten“ kommen könne, die die Gutachter unter „gekaufte Verordnungen“ subsummieren. Darum würden im Rahmen der Produktverbreitung Anwendungsbeobachtungen eine eher unrühmliche Rolle spielen.
Doch allein mit den durch den Studienansatz vorgegebenen „Einschränkungen der Aussagefähigkeit der RCT“ erklärt sich die vorliegende Qualität der Studien nicht, die in der Onkologie sowohl vor als auch nach der Zulassung dringend verbessert werden müsse, was bekanntlich besonders Gutachter Ludwig seit längerem ein Anliegen ist. Obwohl die Qualität der Planung, Durchführung und Auswertung von RCTs in der klinischen Onkologie (beispielsweise durch größere Patientenkollektive, Angabe klinisch relevanter Endpunkte, „Intention-to-Treat“ (ITT)-Auswertung) nach Analysen von RCTs verbessert werden konnte, fanden sich laut Gutachten „weiterhin erhebliche Defizite“. Bemängelt werden besonders:
• keine Angabe primärer Endpunkte in fast einem Drittel der Studien
• unzureichende Berücksichtigung aller randomisierten Patienten in den ITT-Analysen
• vorzeitiger Abbruch der RCTs, („Sponsorship Bias“, vorzeitiger Studienabbruch).
All das würde die Aussagekraft der Studien für die Bewertung des Patientennutzens, aber auch für die Entwicklung evidenzbasierter Leitlinien und eine gerechte Allokation neuer, häufig sehr kostenintensiver Wirkstoffe stark einschränken.


Die richtigen Endpunkte
Aber auch das Fehlen primärer Endpunkte bei fast einem Drittel der untersuchten Studien wird gerügt. Der Nutzen einer medikamentösen Therapie für onkologische Patienten bestehe nun einmal im Idealfall in der Heilung und bei palliativen Therapien in einer verlängerten Überlebenszeit oder verbesserten Lebensqualität beziehungsweise der Linderung krankheitsbedingter Symptome. Als harter und besonders aussagekräftiger Endpunkt in klinischen Studien zur Wirksamkeit medikamentöser Therapien in der Onkologie gelte die Überlebensdauer, da dieser Endpunkt den Patientennutzen eindeutig abbilde. Als Surrogatparameter und somit weiche Endpunkte würden in klinischen Studien jedoch häufig progressionsfreies oder krankheitsfreies Überleben, früher häufig auch das Ansprechen auf die medikamentöse Therapie (Ansprechrate, „Response Rate“), untersucht. Eingeräumt wird im Gutachten aber auch, dass es durchaus sein kann, dass beisielsweise im Rahmen der palliativen Therapie fortgeschrittener, bereits medikamentös vorbehandelter Krebserkrankungen die Endpunkte Lebensqualität, Symptomkontrolle und Toxizität der medikamentösen Therapie mitunter aussagekräftiger als der Endpunkt Überleben sein könnten. Doch leider würden dann oftmals die das Überleben analysierenden Endpunkte in der Onkologie nicht einheitlich definiert und Ergebnisse klinischer Studien deshalb falsch interpretiert.
Grundsätzlich sollten alle Wege der Evidenzgenerierung (Register, Nichtinterventionelle Studien, Horizon Scanning Systeme (HSS), Mini-HTA, kontrollierte klinische Studien) und mögliche Datenlieferanten (Kliniken, Ambulanzen in Kliniken, ambulante Schwerpunktpraxen) sowie Sponsoren (Industrie und industrieunabhängige Sponsoren) in Betracht gezogen werden, um Evidenz über den Nutzen und das Risiko von neuen onkologischen Arzneimitteln so rasch wie möglich zu generieren. Ausschlaggebend sei aber, dass „ein Kriterienkatalog definiert wird, der die Anforderungen an qualitative Aspekte und die Defizite der Evidenzgenerierung benennt, und der Fragestellungen, Studiendesign, primäre und sekundäre Endpunkte festlegt“. Doch auch damit wird die „Zeit der Unsicherheit“ über die „Effectiveness“ onkologischer Arzneimittel laut Gutachten mit mindestens zwei Jahren kalkuliert - auch wenn Qualitätskriterien von klinischen Studien eingehalten und eine große Anzahl an Patienten in Studien eingeschlossen werden sollen.
Empfohlen wird zur Verbesserung von RCTs in der Onkologie weiterhin, dass sich Prüf-ärzte an die CONSORT-Empfehlungen zum Studiendesign und zur Veröffentlichung von Studienergebnissen halten, ihre Beteiligung an Phase-II-Studien reduzieren und stattdessen verstärkt an jenen Phase-III-Studien erweitern sollten, die Surrogatparameter beziehungsweise Biomarker nur dann an Stelle des Goldstandards „Überlebenszeit“ nutzen, wenn deren Korrelation mit der Überlebenszeit wissenschaftlich belegt wurde, sowie angemessene und in klinischen Studien validierte Parameter zur Messung der Lebensqualität verwenden.
Generell wird angesichts zunächst fehlender Evidenz empfohlen, dass Entscheidungen zur Finanzierung von Innovationen, aber auch neuer Technologien im Gesundheitswesen in einen breiteren Kontext der Forschungspolitik eingegliedert werden sollten. In diesem Zusammenhang gewinnt natürlich die Versorgungsforschung zusammen mit der klinischen Forschung und dem HTA an Bedeutung, denn im Fokus der Versorgungsforschung stehe der Bedarf, die Qualität (Prozess, Ergebnis) und die Verbesserung der im Alltag des Systems erbrachten Versorgung. Hier lautet die Forderung des Gutachtens, dass es den Krankenkassen künftig erlaubt werde, einen bestimmten Betrag (z.B. 0,1 % der Leistungsausgaben) für Versorgungsforschung zur Verfügung zu stellen.
Darüber hinaus müssten Krankenkassen in Zukunft vor allem solche Studien finanzieren dürfen, die außerhalb des Interesses von pharmazeutischen Herstellern lägen, aber gleichwohl von erheblicher Relevanz im Versorgungsalltag sind. Dabei geht es laut den Gutachtern um den direkten Vergleich unterschiedlicher therapeutischer Interventionen oder gleichartig wirkender verschiedener Arzneimittel. Es sei im Rahmen der deutschen Gesetzgebung bereits nach §35c SGB V gesetzlich möglich, dass der „zulassungsüberschreitende Einsatz von Arzneimitteln in klinischen Prüfungen“ auf Antrag nicht-industrieller Sponsoren und nach Prüfung durch den G-BA erstattet wird.
Doch solle die Erstattung an mehrere Bedingungen geknüpft sein:
• Es ist eine „therapierelevante Verbesserung der Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung“ im Vergleich zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten zu erwarten.
• Die damit verbundenen Mehrkosten stehen in einem angemessenen Verhältnis zum erwarteten medizinischen Zusatznutzen.
• Die Behandlung erfolgt durch einen Arzt, der an der vertragsärztlichen Versorgung oder an der ambulanten Versorgung nach den §§116b und 117 SGB V teilnimmt.

Da letztlich das Ziel in einer Zulassungserweiterung bestünde, die aber wiederum dem pharmazeutischen Unternehmen zu Gute kommen würde, ist bekanntlich für diesen Fall auch durch den §35c SGB V die Regelung eingeführt worden, dass die pharmazeutische Industrie die Kosten an die Krankenkasse zurückerstattet. Die Durchführung und Finanzierung von klinischen Studien mit Arzneimitteln durch die Krankenkassen war jedoch zuvor mit der Begründung, dass dies Aufgabe der pharmazeutischen Industrie sei, nicht möglich.
In der Onkologie gebe es aber nun nicht nur Bedarf an Studien, die ein Arzneimittel außerhalb seiner zugelassenen Indikation testen, sondern auch nach vergleichenden Studien mit Arzneimittel innerhalb der Zulassungsgrenzen.
Die Forderung der Gutacher lautet deshalb: „Durch die Neufassung des §35c SGB V soll die Finanzierung von Arzneimittelstudien durch nicht-industrielle Sponsoren grundsätzlich für zugelassene Arzneimitteln möglich sein, unabhängig von der zugelassenen Indikation, wobei die bisherigen im §35c SGB V genannten Voraussetzungen bestehen bleiben.“
Dabei solle sich die pharmazeutische Industrie sowohl an den Kosten der Studienmedikation beteiligen, als auch an den Overhead-Kosten der Studien. Der Vorteil wäre, dass damit sowohl Krankenkassen ebenso wie die pharmazeutische Industrie in die Verantwortung zur Durchführung klinisch relevanter Studien gezogen und überkommene Auseinandersetzungen über Verantwortungszuweisungen überwunden würden. Finanziert werden soll das Ganze, indem die Krankenkassen für die Studienmedikation einen Abschlag von 50 % von den Herstellern erhalten sowie die Finanzierung des Studien-Overheads solcher Studien durch einen Studienfonds erfolgt solle, in den die Krankenkassen als auch die pharmazeutische Industrie einzahlen.
Ergänzend sollten Krankenkassen oder stellvertretend der G-BA entscheiden, die Erstattung neuer onkologischer Arzneimittel von der Durchführung von Studien zur Evidenzgewinnung abhängig zu machen. Ebenso sollte ein gesetzlicher Auftrag an die Krankenkassen ergehen, versorgungsrelevante Studien zu initiieren. Von dem Evidenzgewinn, der durch die GKV finanziert wird, profitierten aber letztlich auch privat versicherte Patienten und ihre Kassen. Damit die private Krankenversicherung (PKV) und das Land bzw. der Bund für die Beihilfeempfänger nicht als „free-rider“ von diesen Daten profitieren, könnte ein gemeinsamer Studienfonds eingerichtet werden, an dem sich die PKV, sowie die Länder und der Bund anteilig - gemessen an der betroffenen Population der Privatversicherten und Beihilfeempfänger - beteiligen sollten.
Einrichtung einer Kommission der Versorgungsforschung
Damit auch das erforscht wird, was wirklich wichtig ist, bedarf es laut Gutachten einer eigenen Kommission, die als „Koordinierungsgremium im Sinne eines Clearing-Houses“ die Aufgabe der Forschungskoordinierung und -genehmigung zwischen der Neuzulassung onkologischer Arzneimittel bis zur Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen auf Grundlage vorab abgestimmter Regeln und Kriterien übernimmt.

Ein solches „Clearing-House“ bietet sich nach Meinung der Gutachter als Anlaufstelle an, an dem die im AMNOG vorgesehene Schnellbewertung (z.B. mit Hilfe von HSS) für das Indikationsfeld „Onkologie“ durchgeführt werden könnte. Zugleich sollte die Kommission mit der pharmazeutischen Industrie Studien zur Versorgungsforschung planen, die für die gesundheitsökonomische Bewertung eines Arzneimittels benötigt werden.Die Anforderungen an die Evidenzgenerierung sollten von der Kommission ausgearbeitet und bestimmt werden, die direkt als eine Untergruppe im G-BA oder in einer G-BA nahen Institution eingerichtet werden könnte und sich aus Fachleuten wie Vertretern aus Studiengruppen (wie Kompetenznetzwerken), Klinikern, Patientenvertretern, dem Krebsinformationsdienst (KID), dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und Vertretern der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zusammensetzen sollte. Darüber hinaus könne das Gremium dann - jeweils indikationsorientiert - Experten aus der ambulanten und stationären Versorgung zur Beratung hinzuziehen. So könne gewährleistet werden, dass praxisnaher medizinischer Sachverstand in die Entscheidungen über die Fragestellungen und das Design von Studien einfließe. <<von:

von:

Peter Stegmaier

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Open Access-PDF zum Zitieren (Zitationshinweis: Stegmaier, P.: "Vorschläge für eine effiziente Arzneimittelversorgung in der Onkologie“. In: "Monitor Versorgungsforschung" (MVF) 01/11, S. 14 ff.)

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Ausgabe 01 / 2011

Editorial

RoskiHerausgeber
Prof. Dr.
Reinhold
Roski

 

 

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