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Kausalität, Zusammenhang, Koinzidenz. Alles kann uns weiterbringen

05.04.2018 17:20
Prof- Dr. Bertram Häussler, Vorsitzender der Geschäftsführung des IGES Instituts

Die Überlegenheit von randomisiert-kontrollierten Studien (RCT) beim vergleichenden Wirksamkeitsnachweis wird häufig mit dem Argument begründet, dass nur RCTs in der Lage seien, die Kausalität eines Zusammenhangs zu belegen. Es wird unterstellt, dass nur „Kausalität“ eine „wissenschaftliche Seriosität“ begründen könne. Studien ohne randomisierte Zuweisung könnten lediglich Korrelationen aufzeigen, die von Schein-Korrelationen nicht zu unterscheiden seien. Die Vernachlässigung des Strebens nach kausalen Erklärungen ginge einher mit der Missachtung wissenschaftlicher Qualitätskriterien, ohne dass dem ein Erkenntnisgewinn gegenüberstünde.

Ohne die Leistungsfähigkeit von RCTs im oben genannten Sinne in Zweifel zu ziehen, beruht die Formulierung das Antagonismus „kausal – nicht kausal“ (bzw. „seriös – nicht seriös“) auf einem Denkfehler: Die durch Randomisierung erzeugte Parallelisierung mehrarmiger Populationen dient primär nicht der Offenlegung von Kausalität, sondern der Reduzierung von Irrtümern, die in einer Studie bewusst oder unbewusst begangen werden. Sie basiert auf dem sehr breiten Konsens, dass die Randomisierung die derzeit bestmögliche Methode darstellt, Irrtümer zu vermeiden. Damit handelt es sich im klassischen Sinne um die „Legitimation durch Verfahren“, die bekanntlich nicht dazu geeignet ist, „wahre“ bzw. „richtige“ Ergebnisse von Entscheidungen zu liefern. Das Fluidum des Kausalitätsbeweises ist letztlich der Claim einer Community, der die Unterscheidung zwischen sogenannter seriöser und vermutet nicht seriöser Wissenschaft wichtig ist.

Was wir heute im Bereich der „life sciences“ (in dieser Welt sind RCTs angesiedelt) für kausal halten, sind in aller Regel Zusammenhänge zwischen Interventionen und Outcomes, zwischen denen eine kaum zu determinierende Zahl von einzelnen Interaktionen abläuft. Forscher können ihre wissenschaftlichen Gegenstände heutzutage nicht mehr sinnlich erfahren, sondern müssen ihre Messungen als Reaktionen in einem hypothetischen Modell interpretieren. In dieser multifaktoriellen Welt ist der Zusammenhang zwischen actio und reactio von einem Rauschen überlagert, das durch die jeweilige Versuchsanordnung reduziert werden soll. Häufig gelingt es in biomedizinischen Experimenten aber nicht, signifikante Ergebnisse zu erzielen, weil entweder das Rauschen zu groß oder die untersuchte Population zu klein ist.

Hier schlägt die Stunde von Studien, die mit großen oder sehr großen Stichproben arbeiten können: Sie reduzieren das Verhältnis zwischen Signal und Rauschen und können Zusammenhänge entdecken, die bislang nicht sichtbar waren. Sie steigern schlicht unsere „power“. Auch wenn wir zunächst nicht wissen, ob diese Zusammenhänge „kausal“ bedingt sind oder nicht, öffnen große Datensätze ein Fenster in eine Welt der Interaktionen, die weitere Forschungen anleiten können. Sie sind das „Hubble-Teleskop“ der Biomedizin. Der Streit um die „Seriosität“ von Forschung lenkt nur ab von den Möglichkeiten, die sich bieten.